Leitsatz (amtlich)

Die Geltendmachung eines Rentenanspruchs gegen einen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung gehört nicht zu den Angelegenheiten, für deren Wahrnehmung dem nichtehelichen, minderjährigen Kind ein Pfleger bestellt werden muß.

 

Normenkette

SGG § 71 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; BGB § 1705 Fassung: 1969-08-19, § 1706 Nr. 2 Fassung: 1969-08-19

 

Tenor

Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht das Armenrecht bewilligt und Rechtsanwalt Dr. H... S..., K..., W...), zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung ihrer Rechte beigeordnet.

 

Gründe

Die am ... 1965 nichtehelich geborene Klägerin erstrebt die Gewährung einer Waisenrente aus der Rentenversicherung. Als ihr Vormund hat die Jugendbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg am 3. Juli 1969 gegen das - den Anspruch verneinende - Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Hamburg vom 29. Mai 1969 Revision eingelegt. - Den unter Hinweis auf das Gesetz über die rechtliche Stellung, der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 (-Nichtehelichengesetz-, BGBl 1969 I, 1243) - in Kraft getreten am 1. Juli 1970 (Art. 12, § 27 des Gesetzes) - vorgelegten Armenrechtsgesuch der Klägerin muß entsprochen werden. Die Klägerin steht seit dem 1. Juli 1970 unter der elterlichen Gewalt ihrer Mutter (§ 1705 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB- in der Fassung des Nichtehelichengesetzes). Diese Vorschrift findet nach Art. 12, § 1 Nichtehelichengesetz auch auf solche Kinder Anwendung, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes geboren sind. Damit ist die Vertretung des minderjährigen nichtehelichen Kindes grundsätzlich der Mutter übertragen (vgl. § 1705 BGB in Verbindung mit § 1626 Abs.2 BGB). Die gesetzliche Vertretung durch die Jugendbehörde käme in dem vorliegenden Fall nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 1706 BGB in der Fassung des Nichtehelichengesetzes erfüllt wären (vgl. auch Art. 12, § 7 Nichtehelichengesetz). In Erwägung zu ziehen ist in diesem Zusammenhang nur § 1706 Nr. 2 BGB. Hiernach erhält das Kind einen Pfleger u.a. “für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen einschließlich der Ansprüche auf eine anstelle des Unterhalts zu gewährende Abfindung„. In dem vorliegenden Fall handelt es sich um die Geltendmachung einer Waisenrente. Rentenansprüche sind in § 1706 BGB nicht erwähnt. Sie können zwar - wie hier - an die Stelle eines Unterhaltsanspruchs treten, sind jedoch auch dann mit diesem nicht identisch. Gleichwohl ist zu prüfen, ob eine weite Auslegung des § 1706 Nr. 2 BGB den Vorstellungen des Gesetzgebers entspricht und diese Vorschrift auf solche Rentenansprüche, denen Unterhaltsersatzfunktion zukommt, entsprechend Anwendung zu finden hat. Für eine solche Auslegung bietet sich aber kein hinreichender Anhalt. Ihr steht schon der Wortlaut des § 1705 BGB im Wege. Er besagt, daß das nichteheliche Kind, solange es minderjährig ist, unter der elterlichen Gewalt der Mutter stehe und daß in der Regel die Vorschriften über die elterliche Gewalt über eheliche Kinder im Verhältnis zwischen dem nichtehelichen Kind und seiner Mutter entsprechend anzuwenden seien. Damit ist ein bedeutsamer Hinweis auf den Zweck, der mit der Neuregelung verfolgt wird, gegeben.

Die Mutter des nichtehelichen Kindes soll in ihren Rechten und Pflichten dem Kind gegenüber den Eltern des ehelichen Kindes - so weit es irgend geht - gleichgestellt, werden.

Die Normierung von Ausnahmevorschriften läßt sich in diesem Zusammenhang nur rechtfertigen, wenn sie im Interesse des Kindes geboten ist. Der Inhalt des § 1706 BGB trägt diesen Erwägungen Rechnung. Er zielt in erster Linie dahin, der Mutter des nichtehelichen Kindes bei dessen Vertretung Konfliktsituationen zu ersparen, die zu einer unsachgemäßen Vertretung des Kindes und damit zu seiner Benachteiligung führen könnten. In diese Richtung deuten - mehr noch als § 1706 Nr. 2 BGB - die Nrn. 1 und 3 dieser Vorschrift. Hiernach ist die Bestellung eines Pflegers erforderlich für die Feststellung der Vaterschaft und alle sonstigen Angelegenheiten, die die Feststellung oder Änderung des Eltern-Kindes-Verhältnisses oder des Familiennamen des Kindes betreffen (§ 1706 Nr. 1 BGB), sowie für die Regelung von Erb- oder Pflichtteilsrechten, die dem Kind im Falle des Todes des Vaters und seiner Verwandten zustehen (§ 1706 Nr. 3 BGB). Die Auseinandersetzung mit dem Vater und dessen Verwandten soll der Mutter des nichtehelichen Kindes - im Interesse des Kindes - erspart bleiben. Gleichwohl gelten die vorbezeichneten Beschränkungen der elterlichen Gewalt in der Regel nur dann, wenn sie auch dem Willen der Mutter entsprechen. Es steht ihr frei, die uneingeschränkte Vertretungsbefugnis zu erwirken oder den Wirkungskreis des Pflegers einzuschränken. Einem darauf gerichteten Antrag muß das Vormundschaftsgericht stattgeben, es sei denn, die beantragte Anordnung widerspräche dem Wohle des Kindes (§ 1707 BGB).

Diese Erwägungen lassen eher eine einengende Auslegung des § 1706 Nr. 2 BGB zu, dahingehend nämlich, daß mit “Unterhaltsansprüchen„ nur diejenigen gegen den Kindesvater und dessen Verwandte gemeint sind. Dies kann jedoch offenbleiben. Immerhin wird hierdurch deutlich, daß eine extensive Anwendung über den Wortlaut des Gesetzes hinaus nicht in Betracht kommen soll. Rentenansprüche sind in § 1706 BGB nicht genannt. Ihre Geltendmachung gehört nicht zu den Angelegenheiten, für deren Wahrnehmung es der Bestellung eines Pflegers bedarf.

Die gesetzliche Vertretung der Klägerin ist daher in dem anhängigen Verfahren Aufgabe ihrer Mutter. Diese muß sich - anders als das Jugendamt - vor dem Bundessozialgericht durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten lassen (§ 166 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung des Armenrechts (§ 167 SGG in Verbindung mit den dort bezeichneten Vorschriften der Zivilprozeßordnung -ZPO-) sind erfüllt. Die Klägerin ist außerstande, die Kosten des Prozesses zu bestreiten; ihre Rechtsverfolgung bietet eine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 Abs. 1 ZPO).

 

Fundstellen

NJW 1971, 2095

MDR 1971, 957

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