Orientierungssatz
1. Zur Anwendung der §§ 1247 und 1246 RVO gehört die Tatsachenfeststellung, daß der Versicherte in der Lage ist, eine konkrete Tätigkeit zu verrichten, die bezeichnet werden muß. Auf eine etwaige Gerichtskunde von den Anforderungen einer Verweisungstätigkeit muß hingewiesen werden.
2. Ein Verstoß gegen Denkgesetze ist nicht den Verfahrensmängeln, sondern den sachlich-rechtlichen Mängeln des Berufungsurteils zuzuordnen, wenn dieser Verstoß bei der Feststellung des dem sachlichen Recht zu subsumierenden Sachverhalts erfolgt ist. Grundsätzlich kann ein Verfahrensmangel damit nicht begründet werden.
Normenkette
RVO §§ 1247, 1246; SGG § 160 Abs 2 Nr 3
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 29.03.1990; Aktenzeichen L 12 J 2934/86) |
Gründe
Mit der Beschwerde wird geltend gemacht, es handele sich um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). In der Beschwerdebegründung muß die grundsätzliche Bedeutung dargelegt werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Dabei sind bestimmte formale Voraussetzungen zu erfüllen, die der wesentlichen Aufgabe des Bundessozialgerichts (BSG), das Recht zu wahren und fortzuentwickeln, entsprechen (vgl Bundesverfassungsgericht - BVerfG - in SozR 1500 § 160a Nr 48). Der Beschwerdeführer hat zunächst eine Rechtsfrage klar zu bezeichnen (BSG aaO Nr 11). Außerdem ist aufzuzeigen, warum die Rechtsfrage von grundsätzlicher Art ist. Das ist dann der Fall, wenn die Frage über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt, die Entscheidung der Frage also im allgemeinen Interesse liegt, weil das Recht fortentwickelt oder vereinheitlicht wird. Schließlich muß noch dargelegt werden, wieso die Rechtsfrage klärungsbedürftig und im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig ist (vgl BSG aaO Nrn 17, 39 und 54). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung hier nicht.
Der Kläger beansprucht Versichertenrente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit. Er trägt zur Beschwerdebegründung vor, soweit das Landessozialgericht (LSG) in seinem Schreiben vom 2. Februar 1990 an den Bevollmächtigten des Klägers als Verweisungsberuf die Tätigkeit eines Registrators benannt habe, sei es von grundsätzlicher Bedeutung, ob ein Gericht einen Verweisungsberuf selbst benennen dürfe oder ob nach den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast die Beklagte hierzu verpflichtet sei. Eine Rechtsfrage, die das BSG entschieden hat, ist im allgemeinen nicht mehr klärungsbedürftig, und sie ist somit nicht mehr von grundsätzlicher Bedeutung, es sei denn, die Beantwortung der Frage ist klärungsbedürftig geblieben oder es erneut geworden (so BSG aaO Nr 65).
Von den Beteiligten des sozialgerichtlichen Verfahrens verlangen § 92 Satz 2 SGG für die Klage und § 151 Abs 3 SGG für die Berufung nur, daß die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angegeben werden sollen. Das BSG hat eine Beweisführungs- und eine Darlegungspflicht der Beteiligten verneint, die es dem Gericht gestatten würde, von den Beteiligten nicht vorgebrachte Tatsachen auch nicht zu berücksichtigen und nicht in die Ermittlungen sowie in die Feststellungen einzubeziehen. Eine Darlegungspflicht in diesem Sinne bestehe in dem von der Untersuchungsmaxime beherrschten sozialgerichtlichen Verfahren nicht (vgl BSG in SozR Nr 51 zu § 103 SGG; SozR 1500 § 103 Nr 27). Zur Anwendung der §§ 1247 und 1246 Reichsversicherungsordnung (RVO), um die es im Falle des Klägers geht, gehört nach der Rechtsprechung des BSG die Tatsachenfeststellung, daß der Versicherte in der Lage ist, eine konkrete Tätigkeit zu verrichten, die bezeichnet werden muß (vgl BSG in SozR 2200 § 1246 Nr 98 mwN). Auf eine etwaige Gerichtskunde von den Anforderungen einer Verweisungstätigkeit muß hingewiesen werden (vgl BSG SozR 1500 § 62 Nr 11). Der Kläger hätte sich mit dieser Rechtsprechung befassen und in der Beschwerdebegründung aufzeigen müssen, inwieweit ein weiterer oder ein erneuter Klärungsbedarf besteht. Das ist nicht geschehen.
Der Kläger trägt vor, das Gericht habe mit der Benennung eines Verweisungsberufs gegen allgemein gültige Verfahrensgrundsätze verstoßen, da es nicht im Wege der Amtsermittlung Tatsachen festgestellt, sondern diese selbst in den Prozeß eingeführt habe. Mit diesem Vorbringen ist kein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG bezeichnet worden. Wie bereits aufgezeigt, zwang die in § 103 SGG normierte Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, das Gericht zur Feststellung, ob mindestens eine zumutbare Verweisungstätigkeit vorhanden ist.
Außerdem macht der Kläger geltend, das LSG habe "unter Heranziehung eines nicht vergleichbaren Sachverhalts ein Urteil gefällt, das im Ergebnis auf der rechtlichen Würdigung eines tatsächlich nicht vergleichbaren angeblichen Parallelverfahrens" beruhe. In diesem Zusammenhang wird in der Beschwerdebegründung nicht verdeutlicht, auf welchen Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 SGG der Kläger sich berufen möchte. Offenbar will er einen Verfahrensmangel rügen; denn er trägt vor, es handele "sich hierbei um einen Verstoß gegen auch für das Gericht geltende allgemeine Erfahrungssätze und Grundsätze der Logik", worunter ein Verstoß gegen Denkgesetze zu verstehen ist. § 160 Abs 2 Nr 3 SGG bestimmt ausdrücklich, der mit der Beschwerde gerügte Verfahrensmangel könne nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Wie das BSG bereits entschieden hat, bedeutet die Verletzung von Erfahrungssätzen oder von Denkgesetzen bei der Ermittlung des Sachverhalts (bei der Tatsachenfeststellung) nach ständiger Rechtsprechung ein Überschreiten der Grenzen, die der freien richterlichen Beweiswürdigung gezogen sind. Daraus kann kein Zulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG hergeleitet werden (so BSG in SozR 1500 § 160 Nr 26).
Ein Verstoß gegen Denkgesetze ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) nicht den Verfahrensmängeln, sondern den sachlich-rechtlichen Mängeln des Berufungsurteils zuzuordnen, wenn dieser Verstoß bei der Feststellung des dem sachlichen Recht zu subsumierenden Sachverhalts erfolgt ist. Grundsätzlich könne ein Verfahrensmangel damit nicht begründet werden (vgl BVerwG in Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 117, 448.0 § 34 WPflG Nr 44 und 401.84 Nr 35). Entweder betrifft die Rüge des Klägers folglich eine Verletzung des sachlichen Rechts und keinen Verfahrensmangel oder er greift die Beweiswürdigung des LSG an. In beiden Fällen kann das nicht zur Zulassung der Revision führen.
Die nach alledem nicht formgerecht begründete Beschwerde mußte als unzulässig verworfen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen