Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionszulassung. absoluter Revisionsgrund. Verfahrensfehler. Verkürzung der Stellungnahmefrist. Zurückverweisung
Orientierungssatz
Weist ein Berichterstatter am LSG auf ein Vorgehen gem § 153 Abs 4 SGG hin und setzt in seiner Verfügung eine Frist zur Äußerung, kann sich ein Kläger auf Grund der Verfügung darauf verlassen, dass er bis zum Fristablauf Gelegenheit zur Stellungnahme hat. Eine - durch nichts begründete - Abkürzung dieser Äußerungsfrist stellt einen Verstoß gegen § 153 Abs 4 SGG und somit einen absoluten Revisionsgrund dar.
Normenkette
SGG § 153 Abs. 4, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 202; ZPO § 547
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 16.04.2009; Aktenzeichen L 1 AS 4124/07) |
SG Stuttgart (Urteil vom 13.08.2007; Aktenzeichen S 2 AS 1161/07) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt für den Zeitraum ab 1. Januar 2007 einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung.
Der im September 1945 geborene Kläger bezog seit 1. Januar 2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch. Bis zum 31. Dezember 2006 erhielt er Leistungen unter Einschluss eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 51,13 Euro monatlich. Mit Bescheid vom 4. Dezember 2006 wurden ihm für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Mai 2007 diese Leistungen ohne den Mehrbedarf bewilligt. Mit einem weiteren Bescheid vom 9. Januar 2007 lehnte der Beklagte die Übernahme eines Mehrbedarfzuschlags ab, weil aus ärztlicher Sicht eine kostenaufwändige Ernährung für einen Diabetes mellitus Typ IIa, Hypercholesterinanämie und arterieller Hypertonie nicht erforderlich sei. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 8. Februar 2007; Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. August 2007). Der Kläger hat Berufung eingelegt. Unter dem Datum des 6. April 2009 wies der Berichterstatter am Landessozialgericht (LSG) den Kläger darauf hin, dass der Senat nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung auch ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zurückweisen könne, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Diese Verfahrensweise sei auf Grund des derzeitigen Sach- und Streitstandes beabsichtigt. Weiterhin heißt es in dem Schreiben: "Sie erhalten Gelegenheit, zur Sache und zum beabsichtigten Verfahren bis spätestens 30.04.2009 Stellung zu nehmen."
Das LSG entschied durch Beschluss vom 16. April 2009, ohne dass zwischenzeitlich eine Äußerung des Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangen war, dass die Berufung zurückgewiesen werde. Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, es könne letztlich dahinstehen, ob es sich bei den Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Gewährung von Krankenkostzulagen um ein antizipiertes Sachverständigengutachten handele und ob insoweit eine Abweichung von der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. Februar 2008 (SozR 4-4200 § 21 Nr 2) vorliege. Denn auch nach den medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Klageverfahren sowie den vom Kläger im Berufungsverfahren ergänzend vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen sei aus medizinischen Gesichtspunkten bei dem Kläger eine andere als Vollkost nicht geboten. Weitere medizinische Ermittlungen seien daher nicht angezeigt gewesen.
Dieser Beschluss wurde dem Kläger am 22. April 2009 zugestellt. Mit Schreiben vom 21. April 2009 - beim LSG eingegangen am 23. April 2009 - teilte der Kläger mit, dass er mit einer Entscheidung im Beschlussverfahren nicht einverstanden sei. Es sei seine persönliche Anhörung erforderlich. Insbesondere nach der Entscheidung des BSG vom 27. Februar 2008 gelte, dass die Verwaltung und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit verpflichtet seien, bei der Frage des ernährungsbedingten Mehrbedarfs die Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts von Amts wegen aufzuklären.
Entscheidungsgründe
Der Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 16. April 2009 ist in verfahrensfehlerhafter Weise zu Stande gekommen. Da ein Verfahrensfehler gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegt, konnte das BSG gemäß § 160a Abs 5 SGG den angefochtenen Beschluss aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
Der Berichterstatter am LSG hat auf ein Vorgehen gemäß § 153 Abs 4 SGG hingewiesen und dem Kläger in seiner Verfügung vom 6. April 2009 eine Frist zur Äußerung bis 30. April 2009 gesetzt. Das LSG hat, ohne dass eine entsprechende Äußerung des Klägers eingegangen war, jedoch bereits am 16. April 2009 durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 SGG entschieden. Es ist hier nicht darüber zu befinden, ob die Frist vom 6. April 2009 bis 16. April 2009 unangemessen kurz gewesen wäre (vgl hierzu BSG, Beschluss vom 12. Februar 2009, B 5 R 386/07 B, mwN), denn der Kläger konnte sich auf Grund der Verfügung des Berichterstatters darauf verlassen, bis zum 30. April 2009 Gelegenheit zur Stellungnahme zu haben. Die - durch nichts begründete - Abkürzung dieser Äußerungsfrist stellt einen Verstoß gegen § 153 Abs 4 SGG dar. Bei einem Verstoß gegen § 153 Abs 4 SGG liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ein sog absoluter Revisionsgrund vor, bei dem eine Kausalität des Verfahrensfehlers für die Entscheidung (Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensverstoß) nicht mehr vorgetragen werden muss (vgl hierzu grundlegend BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 5, mwN).
Die Sache war daher gemäß § 160a Abs 5 SGG an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits unter Beachtung des Ausgangs der Nichtzulassungsbeschwerde zu befinden haben.
Fundstellen