Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragspsychotherapeutische Versorgung. bedarfsunabhängige Zulassung. Zeitfenster. Mindestzahl an Behandlungsstunden. Übergangs- und Härteregelung. keine weiteren Regelungen zum Schutz der Familie
Orientierungssatz
1. Das Erfordernis einer Mindestzahl an Behandlungsstunden im Zeitfenster beruht auf dem Gedanken, dass bereits in dieser Zeit eine schutzwürdige Praxisstruktur, deren wirtschaftlicher Ertrag annähernd das für eine Berufstätigkeit typische Ausmaß erreichte, vorhanden gewesen sein muss (vgl zuletzt BSG vom 11.9.2002 - B 6 KA 41/01 R = MedR 2003, 359, 360).
2. Der Gesetzgeber hat mit den Bestimmungen für bedarfsunabhängige Zulassungen (§ 95 Abs 10 SGB 5) und bedarfsunabhängige Ermächtigungen (§ 95 Abs 11 SGB 5) schon sehr weit gehende Übergangs- und Härteregelungen erlassen. Einer weiteren Regelung zum Schutz der Familie bedurfte es nicht (vgl BSG vom 18.3.1998 - B 6 KA 37/96 R = BSGE 82, 41 = SozR 3-2500 § 103 Nr 2).
Normenkette
SGB 5 § 95 Abs. 10 S. 1 Nr. 3, Abs. 11; GG Art. 6 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die 1953 geborene Klägerin, Psychologische Psychotherapeutin, hat seit Oktober 1997 in eigener Praxis Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Kostenerstattungsverfahren der Krankenkassen (KKn) und seit Oktober 1998 im Delegationsverfahren behandelt. Ihr Antrag auf bedarfsunabhängige Zulassung hat weder im Verwaltungsverfahren noch im vorinstanzlichen Gerichtsverfahren Erfolg gehabt. Im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) ist ausgeführt, die Klägerin habe keine "Teilnahme" an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung iS des § 95 Abs 10 Satz 1 Nr 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) aufzuweisen. Sie habe in dem dreijährigen Zeitfenster (Juni 1994 bis Juni 1997) keine Behandlungsstunden an Versicherten der gesetzlichen KKn erbracht. Sie habe solche Behandlungen in eigener Praxis erst seit Oktober 1997 im sog Kostenerstattungsverfahren und seit Oktober 1998 im Delegationsverfahren durchgeführt. Diese Regelung und die Auslegung durch das Bundessozialgericht (BSG) seien verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die vorgenommene Neuordnung zum 1. Januar 1999 genüge den Anforderungen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit. Weiter gehende Übergangs- und Härteregelungen seien nicht erforderlich gewesen. Auch der in der Regelung festgelegte Endstichtag unterliege keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits entschieden habe. Der von der Klägerin vorgetragene individuelle Härtegesichtspunkt, nämlich dass sie ihre Ausbildung wegen der notwendigen Pflege ihrer Mutter nicht wie geplant im August 1996 habe abschließen und dann schon seit dem Quartal III/1996, spätestens seit dem Quartal IV/1996, Versicherte der gesetzlichen KKn hätte im Beauftragungsverfahren behandeln können, könne keine Ausnahme begründen. Dieses Vorbringen nütze zudem deshalb nicht, weil diese Tätigkeit mangels Eigenverantwortlichkeit keine Vortätigkeit iS des § 95 Abs 10 Satz 1 Nr 3 SGB V darstelle. Ferner scheitere ihre Zulassung daran, dass sie eine Teilzeitbeschäftigung mit zuletzt 19,5 Stunden je Woche ausübe. Dadurch stehe sie nicht in dem erforderlichen Maß für eine vertragspsychotherapeutische Tätigkeit zur Verfügung.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Ihr Vorbringen, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu, ist hinsichtlich einer von ihr aufgeworfenen Rechtsfrage zulässig, aber unbegründet; die übrigen Rügen sind unzulässig.
Hinsichtlich der Rechtsfrage,
ob bei der Auslegung des Begriffs der bestandsgeschützten "Teilnahme" iS des § 95 Abs 10 Satz 1 Nr 3 SGB V bei den im sog Zeitfenster nachzuweisenden Behandlungsstunden die von der Klägerin vorgetragenen Umstände eines Härtefalls hätten Berücksichtigung finden müssen (Beschwerdebegründung S 11),
hat sie die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) zwar entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt. Es fehlt aber an der Erfüllung der inhaltlichen Voraussetzungen für eine Revisionszulassung. Diese setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; s auch BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; Nr 30 S 57 f mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, falls sich die Antwort auf die Rechtsfrage ohne weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt, ebenso dann, wenn zwar keine ausdrückliche normative Regelung dieses Falles und auch noch keine Rechtsprechung zu dieser Konstellation, aber Rechtsprechung bereits zu Teilaspekten vorliegt und sich hieraus ohne weiteres die Beantwortung der Rechtsfrage ableiten lässt (zur Verneinung der Klärungsbedürftigkeit im Falle klarer Antwort s zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl zB BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 29. Mai 2001 - 1 BvR 791/01 -, und früher schon BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f; Nr 7 S 14; s auch BVerfG ≪Kammer≫, DVBl 1995, 35).
Die Möglichkeiten der Anerkennung eines Härtefalls sind nicht klärungsbedürftig, denn dies lässt sich anhand der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten. Die Grundlinien, an denen sich die Auslegung des § 95 Abs 10 Satz 1 Nr 3 SGB V orientieren muss, ergeben sich aus der Rechtsprechung des BSG und des BVerfG (s zB BSGE 87, 158, 171, 175 ff = SozR 3-2500 § 95 Nr 25 S 118 f, 122 ff; BVerfG ≪Kammer≫, NJW 2000, 3416, 3416 f = SozR 3-2500 § 95 Nr 24 S 102 f; zuletzt BSG, MedR 2003, 359 = GesR 2003, 42, s dazu die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde durch BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 6. Dezember 2002 - 1 BvR 2021/02 -):
Das Erfordernis einer Mindestzahl an Behandlungsstunden im Zeitfenster beruht auf dem Gedanken, dass bereits in dieser Zeit eine schutzwürdige Praxisstruktur, deren wirtschaftlicher Ertrag annähernd das für eine Berufstätigkeit typische Ausmaß erreichte, vorhanden gewesen sein muss (dazu zuletzt BSG MedR 2003, 359, 360; in GesR 2003, 42 insoweit nicht abgedruckt). Denn nur wenn eine selbst aufgebaute Praxis mit bereits schutzwürdiger Substanz sonst aufgegeben werden müsste, ist eine Zulassung in dem überversorgten Planungsbereich ausnahmsweise gerechtfertigt (s BSGE 87, 158, 165, 166 = SozR 3-2500 § 95 Nr 25 S 112, 113).
Geklärt ist in der Rechtsprechung auch, dass weiter gehende Härte- bzw Übergangsregelungen nicht verfassungsrechtlich geboten sind (dazu zuletzt BSG, Beschluss vom 28. April 2004 - B 6 KA 75/03 B -, in Juris dokumentiert). Der Gesetzgeber hat, auch wenn er zur Schaffung von Übergangsregelungen verpflichtet ist, bei deren Ausgestaltung eine weite Gestaltungsfreiheit (stRspr des BVerfG, vgl zB BVerfGE 43, 242, 288 f; 67, 1, 15 f; BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 16. März 2000, NJW 2000, 1779 ≪unter 1.b und 2.b mwN≫; vgl dazu auch BSG SozR 3-2500 § 72 Nr 11 S 32 f). Eine besonders weite Gestaltungsfreiheit hat er bei der Neuordnung von Berufsfeldern und Festlegung von Berufsbildern (s BSGE 90, 111, 114 und 116 = SozR 3-2500 § 85 Nr 49 S 418 und 420, mit Hinweis auf BVerfGE 44, 1, 20 f; 78, 179, 193). Eine solche Neuordnung lag hier vor. Erstmals hatte der Gesetzgeber die berufsrechtlichen Voraussetzungen für die Ausübung der heilkundlichen Psychotherapie durch Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten geschaffen sowie eine Approbation als Voraussetzung der Berufsausübung und der Einbeziehung der Psychotherapeuten in das System der vertragsärztlichen Versorgung mit der Berechtigung zu unmittelbarer Behandlung - dh ohne Zwischenschaltung eines Vertragsarztes - eingeführt (vgl dazu BSGE 90, 111, 111 f = SozR 3-2500 § 85 Nr 49 S 415). Bei solcher Neuordnung ist ohne weiteres klar - ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf -, dass der Gesetzgeber, der mit den Bestimmungen für bedarfsunabhängige Zulassungen (§ 95 Abs 10 SGB V) und bedarfsunabhängige Ermächtigungen (§ 95 Abs 11 SGB V) schon sehr weit gehende Übergangs- und Härteregelungen erlassen hatte, nicht außerdem weitere Sondervorschriften schaffen musste. Insbesondere bedurfte es keiner weiteren Regelungen zum Schutz der Familie (Art 6 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫). Das BSG hat im Urteil vom 18. Mai 1998 (BSGE 82, 41 = SozR 3-2500 § 103 Nr 2) unter Anführung der Rechtsprechung des BVerfG ausgeführt, dass Art 6 GG den Gesetzgeber nicht verpflichtet, alle mit der Mutterschaft und/oder Kindererziehung zusammenhängenden wirtschaftlichen und beruflichen Belastungen auszugleichen (BSGE aaO S 49 bzw SozR aaO S 18). Ihm steht vielmehr bei seiner Entscheidung, in welchem Umfang und mit welchen Mitteln er dem Schutzauftrag des Art 6 GG nachkommt, eine weite Gestaltungsfreiheit zu. Bei seiner Abwägung kann und muss er andere öffentliche Belange mit berücksichtigen, zB den Gemeinwohlbelang der finanziellen Stabilität und Funktionsfähigkeit der GKV, das Interesse an praktikablen und überschaubaren Zulassungsregelungen - dh mit nur wenigen Ausnahmetatbeständen - sowie das Interesse anderer Zulassungsbewerber, nach Maßgabe des noch bestehenden Bedarfs eine Zulassung zu erlangen. All dies berechtigt den Gesetzgeber, Ausnahmetatbestände zu Gunsten familiär betroffener Zulassungsbewerber in engen Grenzen zu halten oder auf Ausnahmen zu Gunsten familiär betroffener Zulassungsbewerber uU sogar gänzlich zu verzichten (ebenso Beschlüsse vom 5. Februar 2003 - B 6 KA 74/02 B -, vom 16. Juli 2003 - B 6 KA 78/02 B - und vom 27. April 2004 - B 6 KA 117/03 B -). Der Senat hat auch darauf hingewiesen, dass das BVerfG (≪Kammer≫, NVwZ 1997, 54) die Regelung des § 125b Abs 1 Beamtenrechtsrahmengesetz nicht für geboten hält, wonach bei Verzögerungen einer Beamtenbewerbung durch Kinderbetreuung eine Verschärfung der Einstellungsvoraussetzungen unberücksichtigt bleibt (BSGE aaO S 49 f bzw SozR aaO S 18-20). Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass die Klägerin nicht beanspruchen kann, dass ihre besondere Lage durch die notwendige Pflege ihrer Mutter - mit der Folge der Verzögerung von Ausbildungsabschluss und Praxiseröffnung sowie Aufnahme von Behandlungen gesetzlich Versicherter in eigener Praxis - Berücksichtigung finden müsse.
Die Nichtzulassungsbeschwerde kann zudem aus einem weiteren Grund keinen Erfolg haben. Das LSG hat sein Urteil auf mehrere Gesichtspunkte gestützt, die jeder für sich die Zurückweisung des Klagebegehrens tragen. Ist ein Berufungsurteil aber auf mehrere Begründungen gestützt, so setzt die Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) voraus, dass auch alle anderen Begründungen mit einer Grundsatz-, Divergenz- oder Verfahrensrüge angegriffen werden (vgl zB BSG, Beschlüsse vom 31. Januar 2001 - B 6 KA 54/00 B -, vom 13. November 2002 - B 6 KA 47/02 B -, vom 11. Dezember 2002 - B 6 KA 18/02 R -, vom 22. Januar 2004 - B 6 KA 111/03 B -, vom 6. Mai 2004 - B 6 KA 77/03 B -, vom 3. Juni 2004 - B 6 KA 20/04 B - und vom 13. Juli 2004 - B 6 KA 19/04 B -; vgl ferner - mit weiteren Rspr-Angaben - Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl 2002, Kapitel IX RdNr 51, 69, 188, 199). In der Beschwerdebegründung wird indessen lediglich angeführt, es habe grundsätzliche Bedeutung, ob bei der Auslegung des Begriffs der "Teilnahme" iS des § 95 Abs 10 Satz 1 Nr 3 SGB V die von der Klägerin angeführten Härteumstände hätten Berücksichtigung finden müssen. Das LSG hat die Zurückweisung des Begehrens der Klägerin aber außerdem darauf gestützt, dass sie nur geltend mache, sie hätte ohne die Pflege der Mutter bereits im Zeitfenster Versicherte im Beauftragungsverfahren behandeln können, solche Behandlungen könnten gemäß der Rechtsprechung des BSG indessen für eine "Teilnahme" nicht ausreichen (stRspr, s zB BSGE 87, 158, 173 bis 175 = SozR 3-2500 § 95 Nr 25 S 121 f; ebenso BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 4. Dezember 2002 - 1 BvR 2039/02 -). Ferner hat das LSG die Zurückweisung darauf gestützt, dass ihrer Zulassung auch entgegenstehe, dass sie eine Teilzeitbeschäftigung mit zuletzt 19,5 Stunden je Woche ausübte, sodass sie nicht in dem erforderlichen Maß iS des § 20 Abs 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte für eine vertragspsychotherapeutische Tätigkeit zur Verfügung gestanden habe und stehen würde (vgl hierzu BSGE 89, 134 = SozR 3-5520 § 20 Nr 3 ≪PP≫; BSG SozR 3-5520 § 20 Nr 4 ≪KJP≫; BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 2 ≪Arzt≫; diese Rspr bestätigend BVerfG ≪Kammer≫, Beschlüsse vom 23. September 2002 - 1 BvR 1315/02 - und vom 12. Februar 2003 - 1 BvR 59/03 -). Diese weiteren je selbstständig für sich tragenden Ausführungen des Urteils werden in der Beschwerdebegründung nicht in Frage gestellt. Die Klägerin erhebt insoweit weder eine Grundsatz-, noch eine Divergenz- oder Verfahrensrüge. Sie befasst sich mit diesen Ausführungen des LSG überhaupt nicht.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG (in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung).
Fundstellen