Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegung der Abweichung. grundsätzliche Bedeutung
Orientierungssatz
1. Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nicht ausreichend dargelegt, wenn sich die Beschwerde mit der Feststellung begnügt, beide Vorinstanzen hätten die bezeichnete Rechtsprechung des BSG unbeachtet gelassen oder ihr keinerlei verfahrenserhebliche Bedeutung beigemessen.
2. Zur grundsätzlichen Bedeutung von Fragen zur Familienwohnung iS von § 550 Abs 3 RVO.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 2, § 160 Abs 2 Nr 1, § 160a Abs 2 S 3; RVO § 550 Abs 3
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 18.10.1988; Aktenzeichen L 3 U 13/87) |
Gründe
Die Klägerinnen sind mit ihrem Begehren ohne Erfolg geblieben, aus Anlaß des Verkehrsunfalltodes ihres Ehemannes und Vaters am 20. Mai 1980 in Jugoslawien von der Beklagten Hinterbliebenenrenten aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu erhalten (Bescheid vom 16. September 1981, Widerspruchsbescheid vom 27. November 1981; Urteile des Sozialgerichts -SG- Landshut vom 16. November 1984 - S 8 U 3/82 - und des Bayerischen Landessozialgerichts -LSG- vom 18. Oktober 1988 - L 3 U 13/85 -).
Ihre Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) festgelegten gesetzlichen Form. Die Beschwerde war deshalb entsprechend § 169 SGG und mit der Kostenfolge entsprechend § 193 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.
Die Beschwerdeführerinnen weisen zwar auf Zulassungsgründe hin, die in § 160 Abs 2 SGG aufgeführt sind. Sie machen geltend, das angegriffene Urteil beruhe auf Verfahrensfehlern iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG und auf Abweichungen iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG und die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Damit sind aber die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht so "bezeichnet" und "dargelegt", wie dies § 160a Abs 2 Satz 3 SGG verlangt. Nach der ständigen Rechtsprechung verlangt diese Vorschrift, daß die Zulassungsgründe schlüssig dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47, 54, 58). Daran fehlt es der Beschwerde.
I.
Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zur Zulässigkeit einer auf diese Vorschrift gestützten Beschwerde gehört ferner, daß die Beschwerdeführerinnen den Beweisantrag, dem das LSG nicht gefolgt ist, so genau bezeichnen, daß er für das Bundessozialgericht (BSG) ohne weiteres auffindbar ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5).
Bereits der letztgenannten Voraussetzung genügt die Beschwerde nicht. Ihr fehlt der Vortrag, unter welchem Datum die Beweisanträge gestellt sind oder unter welcher Blattzahl sie in den Gerichtsakten zu finden sind. Außerdem fehlt es an der Darlegung, daß die Anträge auch beweiserheblich sind. Dazu ist sachlich-rechtlich von der Rechtsmeinung des LSG auszugehen. Sie ist dahin ausgerichtet, daß die Familienwohnung des Verstorbenen noch nicht in Jugoslawien begründet gewesen sei, weil sowohl er als auch die Klägerinnen tatsächlich noch nicht nach Jugoslawien umgesiedelt seien, sondern noch in S gewohnt und gearbeitet hätten oder zur Schule gegangen seien. Von diesem Rechtsstandpunkt aus ist es rechtlich unerheblich, wie vollständig das neue, tatsächlich von der Familie noch nicht bewohnte Haus in Jugoslawien möbliert und eingerichtet gewesen ist.
II.
Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann ausreichend dargelegt, wenn erklärt wird, mit welchem genau bestimmten, entscheidungserheblichen Rechtssatz das angegriffene Urteil von welcher genau bestimmten rechtlichen Aussage des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 21, 29, 54). Daran fehlt es der Beschwerde.
Sie stellt keinen genau bestimmten, entscheidungserheblichen Rechtssatz des angefochtenen Urteils dar, mit dem das LSG von den dargestellten rechtlichen Aussagen des BSG abweicht. Die Beschwerde begnügt sich stattdessen mit der Feststellung, beide Vorinstanzen hätten die bezeichnete Rechtsprechung des BSG unbeachtet gelassen oder ihr keinerlei verfahrenserhebliche Bedeutung beigemessen. Das jedoch reicht für die vorgeschriebene schlüssige Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht aus. Im übrigen enthält das herausgestellte Urteil des Senats vom 30. März 1982 (- 2 RU 53/80 - in USK 82107) die rechtliche Aussage, für den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse, der eine Familienwohnung bestimme, seien die sozialen Kontakte des Versicherten zu anderen Personen mitbestimmend. Das Urteil des LSG beruht darauf, daß es diese sozialen Kontakte noch nicht in Jugoslawien begründet sah.
III.
Zur Begründung der Grundsätzlichkeit einer Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG muß erläutert werden, daß und warum in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Rechtsfrage erheblich sein würde, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 39). Eine vom Revisionsgericht bereits geklärte Rechtsfrage ist im Regelfall nicht mehr klärungsbedürftig. Machen die Beschwerdeführerinnen gleichwohl eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend, so haben sie zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der Rechtssache vorzutragen, ob und von welcher Seite der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfange widersprochen worden ist und welche Einwendungen gegen sie vorgebracht worden sind (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 13). Daran fehlt es der Beschwerde.
Die Beschwerdeführerinnen messen folgenden Fragen grundsätzliche Bedeutung bei:
"1.
Umfaßt der Schutz des § 550 Abs 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) nur den Weg zwischen dem Arbeitsort und einer langjährig bewohnten, aber vor dem Versicherungsfall als Familienwohnung aufgegebenen Wohnung oder auch den Weg zwischen dem Arbeitsort und der neuen zukünftigen, aber noch nicht gänzlich bewohnten Wohnung?
2.
Ist eine durch ihre (Teil-) Räumung nachweislich auf Dauer aufgegebene Wohnung noch "Familienwohnung" iS von § 550 Abs 3 RVO?
3.
Ist eine auf Dauer geschaffene und eingerichtete und somit bezogene neue Wohnung nicht Familienwohnung iS von § 550 Abs 3 RVO?
4.
Wann endet bei einem Umzug eines Versicherten die Eigenschaft seiner aufgegebenen Wohnung, "Familienwohnung" iS von § 550 Abs 3 RVO zu sein?
5.
Wann beginnt eine neue Wohnung eines Versicherten seine neue vom Schutz des § 550 Abs 3 RVO umfaßte "Familienwohnung" zu sein?"
Indessen können diese Fragen entweder in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht erheblich sein (zu 1, 2 und 4) oder sie sind nicht mehr klärungsbedürftig (zu 3 und 5). Die Anwendung des § 550 Abs 3 RVO hängt in jedem Fall ua davon ab, daß es sich bei dem Ziel des Weges oder seinem Ausgangspunkt um die ständige Familienwohnung des Versicherten handelt (BSG vom 30. März 1982, aaO). Solange das nicht positiv beantwortet werden kann, ist die Beurteilung früherer Familienwohnungen an anderen Orten unerheblich. Von der Rechtsprechung ist zu dem Begriff Familienwohnung längst geklärt, daß die Wohnung den Mittelpunkt der tatsächlichen Lebensverhältnisse des Versicherten bilden muß (BSG vom 30. März 1982, aaO, mwN). Diese Erkenntnis stellt zwar auch die Beschwerde ihren geltend gemachten Fragen voran. Das BSG hat aber darüber hinaus den weiteren Punkt geklärt, daß zur Beantwortung dieser Frage die sozialen Kontakte des Versicherten mitbestimmend sind, zu denen bei Verheirateten mit Kindern vor allem diejenigen zur Ehefrau und zum gemeinsamen Kind gehören. Daraus beantworten sich zwanglos die übrigen Fragen der Beschwerdeführerinnen. Solange sie alle, der Versicherte, seine Ehefrau und das gemeinsame Kind, noch nicht persönlich in die umstrittene Wohnung umgezogen gewesen sind, sondern noch am anderen Ort der bisherigen Familienwohnung gewohnt, gearbeitet haben und zur Schule gegangen sind, kann der Mittelpunkt der tatsächlichen Lebensverhältnisse des Verstorbenen noch nicht in der umstrittenen Wohnung gelegen haben, selbst wenn die neue Wohnung voll eingerichtet und polizeiliche Ummeldungen schon vorgenommen worden sein sollten.
Die Beschwerdeführerinnen haben nicht dargelegt, daß dieser Rechtsprechung über den tatsächlichen Mittelpunkt der Lebensverhältnisse, aus der sich alle weiteren Fragen zwanglos beantworten, in nicht geringfügigem Umfange widersprochen worden ist.
Fundstellen