Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.02.2017; Aktenzeichen L 13 R 4329/14) |
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 25.09.2014; Aktenzeichen S 9 R 4505/12) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Februar 2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Urteil vom 21.2.2017 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich auf Verfahrensmängel.
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung vom 22.5.2017 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil der Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der hierfür erforderlichen Weise bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Klägerin nicht gerecht:
Die Klägerin trägt vor, sie habe in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 21.2.2017 beantragt, "die Zeugin Frau Dipl. Psychologin A. persönlich zu vernehmen in Anwesenheit des Prof. Dr. E. zum Beweis der Tatsache, dass sie während der von ihr durchgeführten Sitzungen leistungsrelevante Feststellungen zu einer erheblichen Antriebsminderung der Klägerin getroffen hat" und "(s)odann (…) Prof. Dr. E. ein ergänzendes Sachverständigengutachten zur Leistungsfähigkeit der Klägerin erstatten zu lassen". Diesem Antrag sei das LSG zu Unrecht nicht nachgekommen.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BSG, dass - unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, zur weiteren Sachaufklärung von Amts wegen das Erscheinen des Sachverständigen bzw sachverständigen Zeugen zur mündlichen Verhandlung anzuordnen - jedem Beteiligten das Recht zusteht, einem Sachverständigen bzw sachverständigen Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet (vgl § 116 S 2, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4, 414 ZPO; stRspr, zB BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7, Nr 2 RdNr 5; Senatsbeschlüsse vom 26.5.2015 - B 13 R 13/15 B - Juris RdNr 9; vom 17.4.2012 - B 13 R 355/11 B - Juris RdNr 13, jeweils mwN; s auch BVerfG ≪Kammer≫ vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273 - Juris RdNr 11 f). Dies gilt auch dann, wenn der Sachverständige ein Gutachten auf Antrag des Beteiligten gemäß § 109 SGG erstellt hat (BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1 S 5 f). Sachdienliche Fragen iS von § 116 S 2 SGG liegen dann vor, wenn sie sich im Rahmen des Beweisthemas halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 10). Hierbei müssen keine Fragen formuliert werden; es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen (vgl zB Senatsbeschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 355/11 B - Juris RdNr 15; BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1). Hingegen fehlt es an der Sachdienlichkeit, wenn der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen bzw sachverständigen Zeugen rechtsmissbräuchlich gestellt ist, insbesondere wenn die Notwendigkeit einer Erörterung überhaupt nicht begründet wird oder nur beweisunerhebliche Fragen angekündigt werden (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 29.8.1995 - 2 BvR 175/95 - NJW-RR 1996, 183 = Juris RdNr 29). Da das Fragerecht an den Sachverständigen bzw sachverständigen Zeugen der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs dient, ist weiterhin erforderlich, dass der Beteiligte alles getan hat, um dessen Anhörung zu erreichen. Dieser Obliegenheit ist er jedenfalls dann nachgekommen, wenn er einen darauf gerichteten Antrag rechtzeitig gestellt, dabei schriftlich objektiv sachdienliche Fragen angekündigt und das Begehren bis zuletzt aufrechterhalten hat (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7).
Zur schlüssigen Bezeichnung (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) einer Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen bzw sachverständigen Zeugen muss sich hiernach aus der Beschwerdebegründung ergeben, (1) dass der Beschwerdeführer einen Antrag auf Befragung des Sachverständigen bzw sachverständigen Zeugen gestellt und bis zum Schluss aufrechterhalten hat; (2) welche einer Erläuterung durch den Sachverständigen bzw sachverständigen Zeugen bedürftigen Punkte der Beschwerdeführer gegenüber dem LSG benannt hat; (3) aufgrund welcher Umstände die benannten Punkte sachdienlich waren, insbesondere ist bei einem Antrag auf wiederholte Befragung desselben Sachverständigen bzw sachverständigen Zeugen zu erläutern, weshalb die Punkte noch nicht durch bereits vorliegende Stellungnahmen des Sachverständigen bzw sachverständigen Zeugen geklärt waren; (4) aufgrund welcher Umstände der Antrag als rechtzeitig zu werten ist; (5) aufgrund welcher Umstände die angefochtene Entscheidung auf der unterlassenen Befragung des Sachverständigen bzw sachverständigen Zeugen beruhen kann (vgl Senatsbeschlüsse vom 26.5.2015 - B 13 R 13/15 B - Juris RdNr 10; vom 25.4.2013 - B 13 R 29/12 B - Juris RdNr 13).
Der Vortrag der Klägerin entspricht diesen Anforderungen nicht. Zwar trägt sie vor, sie habe in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich den Antrag gestellt, die sachverständige Zeugin Diplom-Psychologin A. in Gegenwart des Sachverständigen Prof. Dr. E. zu vernehmen. Sie legt jedoch nicht in der gebotenen Weise dar, welche konkreten Punkte sie im Hinblick auf die bereits vom Berufungsgericht eingeholten schriftlichen Stellungnahmen der bereits als sachverständige Zeugin gehörten Frau A. (Befundbericht vom 21.3.2016 und Auskunft vom 20.10.2016) und des gehörten Sachverständigen Prof. Dr. E. (ergänzende gutachterliche Stellungnahmen vom 1.9., 15.9. und 8.12.2016) im Einzelnen noch für erläuterungsbedürftig erachtet habe. Allein der pauschale Hinweis, Frau A. zu "leistungsrelevante(n) Feststellungen zu einer erheblichen Antriebsminderung der Klägerin" im Beisein von Prof. Dr. E. zu hören, reicht vor diesem umfassenden sozialmedizinischen Hintergrund nicht aus. Vielmehr hätte die Klägerin schon gegenüber dem LSG konkrete noch erläuterungsbedürftige und entscheidungserhebliche Punkte bezeichnen müssen. Daran fehlt es.
Dass die Klägerin im Kern ihres Vorbringens mit der vom LSG vorgenommenen Auswertung und Würdigung des eingeholten Gutachtens des Prof. Dr. E. nebst ergänzenden Stellungnahmen zu den schriftlichen Berichten bzw Auskünften von Frau A. sowie der sonstigen aktenkundigen medizinischen Unterlagen nicht einverstanden ist und sie sich insoweit gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts in ihrem Einzelfall wendet, ist - wie oben bereits erwähnt - nach der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung in § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 iVm § 128 Abs 1 S 1 SGG für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich.
Soweit die Klägerin darüber hinaus einen Verstoß des LSG gegen seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) darin sehen wollte, dass das LSG kein ergänzendes Sachverständigengutachten von Prof. Dr. E. eingeholt habe, erfüllt ihr Vortrag auch die Darlegungsanforderungen an eine solche Sachaufklärungsrüge nicht (vgl hierzu zB Senatsbeschlüsse vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5; vom 26.9.2016 - B 13 R 234/16 B - BeckRS 2016, 73667 RdNr 7). Denn die Darlegungen der Klägerin lassen bereits nicht erkennen, dass sie beim LSG einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag angebracht hat. Die Klägerin führt aus, insoweit beantragt zu haben, von Prof. Dr. E. "ein ergänzendes Sachverständigengutachten" zu ihrer "Leistungsfähigkeit" erstatten zu lassen. Ein Beweisantrag im Rentenstreitverfahren muss sich möglichst präzise mit den Folgen dauerhafter Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene berufliche Leistungsvermögen befassen. Je mehr Aussagen eines oder mehrerer Sachverständigen zu dem Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller von ihm behauptete Unterschiede zu diesen Gutachten (einschließlich bereits erfolgter ergänzender Stellungnahmen) zum Gegenstand des Beweisthemas machen (vgl Senatsbeschlüsse vom 11.1.2017 - B 13 R 359/16 B - Juris RdNr 9; vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 ff; vom 26.9.2016 - B 13 R 234/16 B - BeckRS 2016, 73667 RdNr 7). Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich, dass das Berufungsgericht bereits (mehrfach) ergänzende Stellungnahmen des Sachverständigen Prof. Dr. E. (auch) zu den Auskünften bzw Berichten der sachverständigen Zeugin Frau A. eingeholt hat und Prof. Dr. E. auch auf Grundlage dieser Unterlagen zu keiner anderslautenden sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung (zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des noch Vorliegens der besonderen rentenversicherungsrechtlichen Voraussetzungen) als die in seinem psychiatrischem Gutachten vom 27.8.2015 gekommen ist. Dann aber muss ein Antrag auf Durchführung einer weiteren ergänzenden sachverständigen Begutachtung bzw Stellungnahme sowohl die noch nicht ausreichend gewürdigten Gesundheitsbeeinträchtigungen möglichst genau beschreiben als auch vortragen, welche zusätzlichen Einschränkungen für das Leistungsvermögen (zum maßgeblichen Zeitpunkt) daraus folgen (Senatsbeschluss vom 11.1.2017 - B 13 R 359/16 B - Juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 25.4.2016 - B 5 R 6/16 B - BeckRS 2016, 69047 RdNr 9). Dem wird das pauschale Begehren auf Einholung eines weiteren ergänzenden Gutachtens des Prof. Dr. E. "zur Leistungsfähigkeit der Klägerin" nicht gerecht und ist vor dem hier vorliegenden gutachterlichen Hintergrund zur Bezeichnung des Beweisthemas nicht ausreichend.
Überdies ist dem Senat eine Prüfung, ob das Urteil auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruht, bereits deshalb nicht möglich, weil die Klägerin die Tatsachenfeststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) nicht in nachvollziehbarer und verständlicher Weise darlegt, sondern allenfalls bruchstückhaft Teile des festgestellten Sachverhalts wiedergibt. In der vorgelegten Beschwerdebegründung wird der zugrunde liegende Sachverhalt nicht in geordneter Weise geschildert; es bleibt im Wesentlichen unklar, wie im Einzelnen das LSG aufgrund welcher tatsächlichen Feststellung entschieden hat. Keinesfalls gehört es zu den Aufgaben des BSG als Beschwerdegericht, sich die maßgeblichen Tatsachen aus der angegriffenen Entscheidung oder den Akten selbst herauszusuchen (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 9.10.2014 - B 13 R 157/14 B - Juris RdNr 10).
Der Senat war nicht verpflichtet, die Klägerin entsprechend der Bitte ihres Prozessbevollmächtigten um einen richterlichen Hinweis, falls "weitere Darlegungen" erforderlich seien, vorab auf die Unzulänglichkeit des Beschwerdevortrags aufmerksam zu machen. Das Gesetz unterstellt, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, die Formerfordernisse einzuhalten; gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG. § 106 Abs 1 SGG gilt insoweit nicht. Ein Rechtsanwalt muss in der Lage sein, ohne Hilfe durch das Gericht eine Nichtzulassungsbeschwerde ordnungsgemäß zu begründen (BSG Beschluss vom 21.7.2010 - B 7 AL 60/10 B - Juris RdNr 7; Senatsbeschluss vom 28.1.2014 - B 13 R 31/13 R - Juris RdNr 10 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10970244 |