Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsbegründung
Orientierungssatz
1. Die Revisionsbegründung muß grundsätzlich von tatsächlichem Vorbringen frei sein; sie muß bei materiell-rechtlichen Rügen darlegen, daß und warum eine revisibele Rechtsvorschrift auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (§ 550 ZPO), dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen zu dieser Vorschrift geschehen.
2. Eine für verletzt erachtete Vorschrift braucht allerdings nicht genau nach Gesetz und Paragraphennummer bezeichnet zu werden. Es reicht aus, wenn sie sich deutlich aus dem Inhalt der Darlegungen des Revisionsklägers ergibt (vgl BSG vom 2.1.1979 11 RA 54/78 = SozR 1500 § 164 Nr 12).
Normenkette
ZPO § 550; SGG § 164 Abs 2 S 3
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 02.06.1987; Aktenzeichen L 5 Kr 15/85) |
Tatbestand
Der an Mongolismus (Down-Syndrom) erkrankte Kläger begehrt von der Beklagten Übernahme der durch seine Behandlung mit Frischzellen entstandenen Kosten.
Der am 15. Dezember 1981 geborene Kläger ist seit seiner Geburt Mitglied der Beklagten. Er wurde vom 19. bis zum 21. April 1982 und vom 3. bis zum 5. Oktober 1982 in der Kinderklinik A. von Prof. Dr. S. stationär mit einer Zelltherapie behandelt. Diese Behandlung wurde in etwa halbjährigen Abständen wiederholt. Die Beklagte beglich zwar den stationären Pflegesatz, lehnte aber die Kostenübernahme für die Zelltherapie - diese war nicht im Pflegesatz enthalten - ab.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und ausgeführt, der bei der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) gebildete Ausschuß für Untersuchungs- und Heilmethoden habe sich nicht dazu geäußert, ob die Zelltherapie, insbesondere bei mongoloiden Kindern im Sinn der Krankheitserkennung, -heilung oder - linderung wirksam sei. Dagegen habe der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer im Jahr 1982 erklärt, daß ein nach wissenschaftlichen Regeln geführter Beweis für die Wirksamkeit der Zelltherapie nicht erbracht worden sei. Den von den gerichtlichen Sachverständigen im vorliegenden Verfahren dargestellten wissenschaftlichen Streit über die Wirksamkeit der Methode könne und brauche der Senat nicht generell und endgültig zu entscheiden. Die von den Sachverständigen Prof. Dr. B. und Prof. Dr. S. geförderte Behandlung mit Frischzellen sei bisher keine allgemein anerkannte Behandlungsmethode geworden. Der Senat könne nicht feststellen, daß die Frischzellentherapie bei Mongolismus in einer einen Erfahrungssatz rechtfertigenden Anzahl von Fällen nachweislich wirksam geworden sei. Mit der Zelltherapie seien nicht vertretbare Gefahren für die Patienten verbunden. Darüber hinaus gebe es bei Mongolismus eine anerkannte konservative Heilmethode, vorwiegend bestehend aus sozialpädagogischen, bewegungstherapeutischen, aber auch medizinischen Maßnahmen (Gabe von Hormonen und Vitaminen). Diese gebündelte - allerdings langwierige - Methode zeige Erfolge und sei auch von Prof. Dr. S. im Rahmen seiner so bezeichneten ganzheitlichen integrierten Behandlung verwendet worden. Beim Kläger habe die Frischzellentherapie nicht wenigstens annähernd gleichwertig neben anderen mitwirkenden Bedingungen mitursächlich zum eingetretenen Heilerfolg beigetragen. Seine recht erfreuliche Entwicklung sei ganz überwiegend auf die angewandte konservative Heilmethode und die persönliche Zuwendung der Eltern und Behandler zurückzuführen. Dagegen sei ein durch Frischzellengaben beflügeltes Hirnwachstum, wie von Prof. Dr. S. postuliert, beim Kläger nicht zu bestätigen.
Der Kläger macht mit der Revision geltend, die Anwendung der Zelltherapie sei nicht mit zusätzlichen unvertretbaren Gefahren für den Patienten verbunden. Bei Mongolismus gebe es keine anerkannte Heilmethode. Die vom LSG als wirksam angenommene Methode sei erst in Verbindung mit der Zelltherapie eine gegenüber dem bisherigen Behandlungsverfahren überlegene Behandlung. Es sei nach Sachlage nicht auszuschließen, daß beispielsweise die erfreuliche Entwicklung des Immunsystems des Klägers und seine geringe Erkrankung auf die ganzheitliche integrierte Behandlung einschließlich Zelltherapie zurückzuführen sei. Das LSG mißverstehe das Postulat von Prof. Dr. S., daß die Frischzellengabe das Hirnwachstum beflügele, insofern, als diesbezüglich erst die weitere Entwicklung des Klägers beobachtet werden müsse. Soweit ersichtlich, hätten auch das SG Freiburg und das SG Mannheim, die gleichgelagerte Fälle zugunsten des mongoloiden Klägers entschieden hätten, nicht auf derartige konkrete und zeitlich eingegrenzte "Behandlungserfolge" wie zB das Wachstum des Gehirns abgestellt. Der Bundesgerichtshof (BGH) und das Bundessozialgericht (BSG) hätten bei der Bejahung von "vertretbaren Behandlungshilfen" nicht auf den Nachweis einer konkreten Wirksamkeit des strittigen Mittels abgehoben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht zulässig, denn sie ist nicht hinreichend begründet.
Die Begründung der Revision muß einen bestimmten Antrag enthalten sowie die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Diesem Erfordernis ist allein mit der Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm und dem Zusatz, es werde die Verletzung materiellen Rechts gerügt, nicht genügt. Die Revisionsbegründung muß vielmehr erkennen lassen, daß der Prozeßbevollmächtigte das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft hat, um so dem gesetzgeberischen Zweck des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG, aussichtlose Revisionen nach Möglichkeit von vornherein zu verhindern, zu genügen. Deswegen muß die Revisionsbegründung die Gründe aufzeigen, die nach Auffassung des Prozeßbevollmächtigten das Urteil unrichtig erscheinen lassen; dazu bedarf es einer zumindest kurzen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung (BSG SozR 1500 § 164 SGG Nr 28 mwN). Bei alledem sind stets die Voraussetzungen im Auge zu behalten, unter denen das Gesetz dem Revisionsgericht überhaupt eine Korrektur von unrichtigen Urteilen erlaubt; die Revisionsbegründung muß daher grundsätzlich von tatsächlichem Vorbringen frei sein; sie muß bei materiell-rechtlichen Rügen darlegen, daß und warum eine revisibele Rechtsvorschrift auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (§ 550 Zivilprozeßordnung -ZPO-), dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen zu dieser Vorschrift geschehen (vgl RGZ 117, 168, 171; BVerwG Buchholz 310 § 139 VwGO Nr 34). Die für verletzt erachtete Vorschrift braucht allerdings nicht genau nach Gesetz und Paragraphennummer bezeichnet zu werden. Es reicht aus, wenn sie sich deutlich aus dem Inhalt der Darlegungen des Revisionsklägers ergibt (BSG SozR 1500 § 164 SGG Nr 12 mwN).
Die Revisionsbegründung des Klägers enthält weitgehend nur tatsächliches Vorbringen, ohne daß hinsichtlich der gemäß § 163 SGG bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG Verfahrensmängel gerügt würden.
Dem Vorbringen des Klägers, es sei nicht auszuschließen, daß seine erfreuliche Entwicklung auf die ganzheitliche integrierte Behandlung einschließlich der Zelltherapie zurückzuführen sei, mag zwar eine rechtliche Erwägung entnommen werden, nämlich dies müsse für den Anspruch auf Gewährung der Heilmaßnahmen genügen. Indessen fehlt insoweit jede Auseinandersetzung mit dem Urteil des LSG. Das LSG hat die Gründe dargelegt, aus denen es im vorliegenden Fall darauf ankommt, ob die Frischzellenbehandlung des Klägers jedenfalls mitursächlich zum Heilerfolg beigetragen habe (vgl dazu auch Urteil des Senats vom 23. März 1988 - 3/8 RK 5/87).
Mit dem Satz, das LSG mißverstehe das Postulat von Prof. Dr. S., hat der Kläger keinen Verfahrensmangel - etwa Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG - gerügt, zumindest fehlt es an der Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben. Bei welcher Feststellung das LSG das Postulat des Prof. Dr. S. mißverstanden haben soll, hat der Kläger nicht angegeben. Sein Vorbringen könnte sich auf die Feststellung des LSG beziehen, ein durch Frischzellengabe beflügeltes Hirnwachstum wie von Prof. Dr. S. postuliert, lasse sich gerade beim Kläger nicht bestätigen. Damit hat das LSG aber nicht die Meinung vertreten, daß Prof. Dr. S. ein Hirnwachstum in zeitlich bestimmten Grenzen postuliert habe. Das LSG hat das Gutachten dieses Sachverständigen dahin wiedergegeben, Injektions-Implantation von fetalem Gewebe diene speziell zur Nachreifung des Gehirns. Beim Kläger ist dieses Ziel nach den Feststellungen des LSG nicht erreicht worden, dh das Hirnwachstum ist bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem LSG nicht eingetreten. Der Kläger hat keine Umstände vorgetragen, aus denen sich etwa ergeben könnte, das LSG habe den Sachverständigen dahin mißverstanden, daß das Wachstum nach der Zelltherapie schon in kürzerer Zeit auftrete. Nach dem Vortrag des Klägers haben mehrere Gerichte bei der Bejahung von "vertretbaren Behandlungshilfen" nicht auf den Nachweis einer konkreten Wirksamkeit des strittigen Mittels abgehoben. Inwiefern das LSG eine davon abweichende Meinung vertreten haben soll, hat der Kläger nicht dargelegt. Lediglich hat er an anderer Stelle ausgeführt, das LSG verneine die Relevanz der Zelltherapie für die erfreuliche Entwicklung des Klägers mit dem Hinweis auf dessen Kopfumfang. Es fehlt aber auch insoweit an jeder Auseinandersetzung mit den Gründen des LSG-Urteils. Das LSG hat eingehend die Gründe dargelegt, weshalb es geprüft hat, ob die Frischzellenbehandlung des Klägers jedenfalls mitursächlich zum Heilerfolg beigetragen habe. Zu diesen Gründen hat der Kläger keine Stellung genommen.
Die Revision ist aus diesen Gründen durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG). Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen