Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestellung eines besonderen Vertreters. Bildungsstand. Berufliche Befähigung. Prozessfähigkeit. Anwalt. Offensichtliche Haltlosigkeit. Unstatthaftigkeit. Gerichtskosten. Entscheidungen vor Einleitung eines Rechtsmittelverfahrens. Isolierte Prozesskostenhilfe-Verfahren. Beiordnung eines Notanwalts
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Antrag auf Bestellung eines besonderen Vertreters ist abzulehnen, wenn der Antragsteller angesichts seines Bildungsstandes und seiner beruflichen Befähigung in vertragszahnarztrechtlichen Angelegenheiten prozessfähig und insbesondere in der Lage ist, wirksam einen Anwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen, oder bei Anlegung eines strengen Maßstabs das Verfahren „offensichtlich haltlos” ist und deshalb die Genehmigung durch einen besonderen Vertreter von vornherein ausgeschlossen erscheint.
2. Eine offensichtliche Haltlosigkeit liegt vor, wenn ein Rechtsmittel unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Erfolg haben kann, weil es bereits an sich nicht statthaft ist.
3. Gerichtskosten fallen für Entscheidungen vor Einleitung eines Rechtsmittelverfahrens – wie für isolierte Prozesskostenhilfe-Verfahren oder für Verfahren auf Beiordnung eines Notanwalts oder auf Bestellung eines besonderen Vertreters – nicht an.
Normenkette
SGG § 72 Abs. 1, § 73a Abs. 1 S. 1, § 202 S. 1; GKG § 66 Abs. 3 S. 3; ZPO §§ 78b, 114
Verfahrensgang
Thüringer LSG (Beschluss vom 29.07.2019; Aktenzeichen L 1 SF 481/19 E) |
Tenor
Das Begehren des Antragstellers, ihm für ein beabsichtigtes Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Thüringer Landessozialgerichts vom 29. Juli 2019 - L 1 SF 481/19 E - einen besonderen Vertreter zu bestellen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Die Urkundsbeamtin des Thüringer LSG hat mit Schreiben vom 18.2.2019 dem Antragsteller für die Herstellung und Überlassung von Kopien im Verfahren L 11 KA 364/12 Auslagen nach Nr 9000 der Anlage 1 zum GKG in Höhe von insgesamt 40,60 Euro in Rechnung gestellt. Die vom Antragsteller im Vollstreckungsverfahren erhobenen Einwendungen hat das LSG mit Beschluss vom 29.7.2019 - L 1 SF 481/19 E - gemäß § 8 Abs 1 JBeitrG iVm § 66 Abs 1 GKG zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung möchte der Antragsteller mit einer "Nichtzulassungsbeschwerde" zum BSG vorgehen. Im Schreiben vom 4.8.2019 betont er aber, dass er prozessunfähig sei, sodass weder er selbst noch seine Helfer rechtsverbindliche Schreiben erstellen könnten. Dies sei vielmehr seiner besonderen Vertreterin vorbehalten, die das Gericht zu bestellen habe, um ihn vor Gewalt und Willkür zu schützen.
II
Das Begehren des Antragstellers ist als Antrag auf Bestellung eines besonderen Vertreters (§ 72 Abs 1 SGG) für ein von ihm beabsichtigtes Verfahren vor dem BSG gegen eine Entscheidung des Thüringer LSG im Verfahren über die Beitreibung von Gerichtskosten auszulegen. Über ihn entscheidet der Vorsitzende des Prozessgerichts (Straßfeld in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 72 RdNr 35).
Dieser Antrag kann keinen Erfolg haben. Der Senat lässt dahingestellt, ob das auf Bestellung eines besonderen Vertreters gerichtete Begehren des Antragstellers bereits deshalb unzulässig ist, weil es vor Einlegung der beabsichtigten Beschwerde beim BSG geltend gemacht wird (gegen die Zulässigkeit einer Bestellung vor Rechtshängigkeit: B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 72 RdNr 2; Arndt in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 72 RdNr 6). Jedenfalls geht der Senat nach wie vor davon aus, dass der Antragsteller angesichts seines Bildungsstandes und seiner beruflichen Befähigung in vertragszahnarztrechtlichen Angelegenheiten prozessfähig und insbesondere in der Lage ist, wirksam einen Anwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen (vgl BSG Beschluss vom 14.8.2017 - B 12 KR 103/14 B - Juris; Beschlüsse des Senats vom 26.1.2017 - B 6 KA 94/16 B - Juris und vom 5.5.2010 - B 6 KA 36/09 B; vgl auch Beschlüsse vom 5.8.2015 - B 6 KA 54/15 B - und vom 24.3.2016 - B 6 KA 3/16 B). Davon ist im Übrigen auch das BVerfG in einem Beschluss vom 8.4.2016 (1 BvR 661/16, 1 BvR 662/16, 1 BvR 663/16) ausgegangen, in dem es Anträge des Antragstellers auf Bestellung eines Prozesspflegers abgelehnt hat. Anhaltspunkte für eine Änderung der Sachlage diesbezüglich liegen nicht vor.
Darüber hinaus dürfte ihm für das hier von ihm erstrebte Verfahren kein besonderer Vertreter bestellt werden, weil auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs das Verfahren "offensichtlich haltlos" ist (vgl BSG Beschluss vom 3.7.2003 - B 7 AL 216/02 B - BSGE 91, 146 = SozR 4-1500 § 72 Nr 1, RdNr 8 ff) und deshalb die Genehmigung durch einen besonderen Vertreter von vornherein ausgeschlossen erscheint. Eine offensichtliche Haltlosigkeit liegt auch vor, wenn ein Rechtsmittel unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Erfolg haben kann, weil es bereits an sich nicht statthaft ist (BSG Beschluss vom 18.1.2017 - B 1 KR 1/17 S - Juris RdNr 4). So verhält es sich hier: Gegen einen Beschluss des LSG im Vollstreckungsverfahren ist, worauf das LSG zutreffend hingewiesen hat, kein Rechtsmittel zum BSG statthaft (vgl § 66 Abs 3 S 3 GKG: "Eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes findet nicht statt"). Diese Vorschrift gilt auch für den Antragsteller. Würde eine solche Beschwerde dennoch für ihn eingelegt, müsste sie vom BSG ohne inhaltliche Prüfung als unzulässig verworfen werden.
Gerichtskosten fallen für diese Entscheidung vor Einleitung eines Rechtsmittelverfahrens nicht an; insoweit gilt dasselbe wie für isolierte PKH-Verfahren (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114 ff ZPO) oder für Verfahren auf Beiordnung eines Notanwalts (§ 202 S 1 SGG iVm § 78b ZPO, vgl dazu Althammer in Zöller, ZPO, 32. Aufl 2018, § 78b RdNr 10).
Die Entscheidung ist nicht weiter anfechtbar.
Fundstellen
Dokument-Index HI13500602 |