Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehler. Ablehnung eines Befangenheitsantrags. Beurteilung von dem Endurteil vorausgegangenen unanfechtbaren Entscheidungen durch das Revisionsgericht. unrichtige Rechtsauffassung eines Richters
Orientierungssatz
1. Grundsätzlich unterliegen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind und - wie im Fall einer Ablehnung eines Befangenheitsantrags durch ein LSG - unanfechtbar sind (§ 177 SGG), nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts (§ 202 S 1 SGG iVm § 557 Abs 2 ZPO). Ein Verstoß gegen Art 101 Abs 1 S 2 GG kommt insoweit nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften in Betracht (vgl BSG vom 5.8.2003 - B 3 P 8/03 B = SozR 4-1500 § 160a Nr 1) bzw wenn das Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des gesetzlichen Richters nach Art 101 Abs 1 S 2 GG grundlegend verkannt hat (vgl BSG vom 2.11.2007 - B 1 KR 72/07 B = SozR 4-1100 Art 101 Nr 3).
2. Eine unrichtige Rechtsauffassung begründet keine Befangenheit, wenn sie nicht auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür beruht (vgl BSG vom 2.11.2007 - B 1 KR 72/07 B aaO).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 160a Abs. 2 S. 3, §§ 177, 202 S. 1; ZPO § 557; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 13. Juni 2017 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt C. aus O. beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Beschluss wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Das LSG Sachsen-Anhalt hat mit Beschluss vom 13.6.2017 einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat der Kläger Beschwerde eingelegt und Prozesskostenhilfe (PKH) sowie Beiordnung von Rechtsanwalt C. aus O. beantragt. Mit dem Vortrag, die Entscheidung des Berufungsgerichts sei durch "befangene Richter" ergangen, rügt er sinngemäß einen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Außerdem macht er geltend, das LSG sei von Rechtsprechung des BSG abgewichen (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Schließlich behauptet er, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 1 Nr 1 SGG).
II. 1. Der PKH-Antrag des Klägers ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht liegt hier nicht vor (dazu Nr 2). Damit entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
2. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Begründung vom 16.8.2017 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl Senatsbeschluss vom 3.12.2013 - B 13 R 447/12 B - Juris RdNr 4, stRpr).
Der Beschwerdebegründung des Klägers ist - anders als notwendig - bereits keine Rechtsfrage zur Auslegung oder zum Anwendungsbereich einer revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) zu entnehmen. Die Formulierung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (vgl BSG Beschluss vom 13.4.2015 - B 12 KR 109/13 B - Juris RdNr 23, stRspr).
Wenn der Kläger zur Begründung der grundsätzlichen Bedeutung die mangelnde Nachvollziehbarkeit eines Gutachtens und dessen Bewertung durch das Berufungsgericht rügt, handelt es sich im Kern um einen Angriff auf die Beweiswürdigung des LSG. Ein solcher ist jedoch kraft gesetzlicher Anordnung (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 2 iVm § 128 Abs 1 S 1 SGG) von vornherein ausgeschlossen. Diese gesetzliche Beschränkung des Rechtsmittels der Nichtzulassungsbeschwerde kann nicht dadurch umgangen werden, dass die Rüge einer fehlerhaften Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht zusätzlich als eine grundlegende Verletzung des Rechtsstaatsprinzips bezeichnet wird (vgl Senatsbeschluss vom 7.6.2016 - B 13 R 40/16 B - Juris RdNr 6).
b) Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG aufgestellt hat. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Beschluss des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN, Juris RdNr 6).
Der Kläger behauptet zwar einen Widerspruch des angegriffenen Beschlusses zu Entscheidungen des BSG, deren Aktenzeichen bzw Fundstellen er nennt, legt aber nicht genau dar, welche abstrakten Rechtssätze in den allenfalls bruchstückhaft zitierten Entscheidungen enthalten sind. Soweit er ausführt, das LSG beziehe die Arbeitsunfähigkeit auf die zuletzt ausgeübte Beschäftigung des Klägers und gehe trotz der seit 2001 andauernden Arbeitsunfähigkeit und der qualitativen Leistungseinschränkungen des Klägers ohne Benennung einer Verweisungstätigkeit von dessen voller Erwerbsfähigkeit aus, lässt sich auf dieser Grundlage kein Rechtssatzvergleich durchführen. Eine Divergenz kann nicht damit begründet werden, dass das LSG nicht den Kriterien entsprochen hat, die das BSG aufgestellt hat, sondern nur damit, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die vermeintliche Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung (vgl Senatsbeschluss vom 20.5.2014 - B 13 R 49/14 B - Juris RdNr 10).
c) Zur formgerechten Bezeichnung eines Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargetan werden (vgl Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4).
Diesen Anforderungen wird die Rüge der sinngemäß behaupteten Verletzung von § 60 SGG iVm § 42 ZPO sowie des Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 S 2 GG nicht gerecht.
Grundsätzlich unterliegen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind und - wie im Falle einer Ablehnung eines Befangenheitsantrags durch ein LSG - unanfechtbar sind (§ 177 SGG), nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts (§ 202 S 1 SGG iVm § 557 Abs 2 ZPO). Ein Verstoß gegen Art 101 Abs 1 S 2 GG kommt insoweit nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften in Betracht (vgl BSG Beschluss vom 5.8.2003 - B 3 P 8/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 1, Juris RdNr 9) bzw wenn das Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des gesetzlichen Richters nach Art 101 Abs 1 S 2 GG grundlegend verkannt hat (vgl BSG Beschluss vom 2.11.2007 - B 1 KR 72/07 B - SozR 4-1100 Art 101 Nr 3, Juris RdNr 5 mwN).
Der Besetzungsrüge wegen des Vorwurfs der Befangenheit müsste daher entnommen werden können, dass der vom Kläger zitierte Beschluss vom 23.1.2017 über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht nur fehlerhaft, sondern greifbar gesetzeswidrig und damit willkürlich ist. Eine solche Beurteilung ist auf der Grundlage des nur rudimentär mitgeteilten Sachverhalts aber nicht möglich. Die vom Kläger zitierte Begründung des LSG, dass die Richterablehnung kein geeignetes Mittel sei, sich gegen unrichtige bzw für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren, entspricht höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl BSG Beschluss vom 2.11.2007 - B 1 KR 72/07 B - SozR 4-1100 Art 101 Nr 3, Juris RdNr 11). Danach begründet auch eine unrichtige Rechtsauffassung keine Befangenheit, wenn sie nicht auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür beruht (vgl Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 60 RdNr 8j; BSG Beschluss vom 2.11.2007 - B 1 KR 72/07 B - SozR 4-1100 Art 101 Nr 3, Juris RdNr 11 mwN).
Soweit der Kläger in der Beschwerdebegründung darauf abstellt, dass er seinen Ablehnungsantrag nicht mit der abweichenden Meinung des Berufungsgerichts begründet habe, sondern damit, dass das LSG die mehrfach vorgetragene Entscheidung des BSG (B 13 R 107/12 B) ignoriert habe und erstmals im Beschluss vom 13.6.2017 darauf eingegangen sei, ergeben sich aus diesem Vortrag keine Anhaltspunkte für willkürliches Verhalten. Wenn der Kläger gerade aus dem "Ignorieren" einer Entscheidung eine unsachliche Einstellung herleiten will, fehlen bereits Darlegungen dazu, warum das LSG hier schon vor dem angegriffenen Beschluss auf die Entscheidung des BSG hätte eingehen müssen. Denn es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe und Rechtsansichten zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 62 RdNr 8a mwN; BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 12 KR 13/11 R - SozR 4-2500 § 5 Nr 21, Juris RdNr 15).
Soweit der Kläger den Vorwurf der Befangenheit weiter daraus ableiten will, dass sich das LSG durch die Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung auf ein nicht nachvollziehbares Gutachten gestützt habe, geht auch dieser Vortrag nicht über den Vorwurf der unrichtigen Rechtsauffassung bzw Beweiswürdigung hinaus. Mit diesem können jedoch weder der Willkürvorwurf noch die Nichtzulassungsbeschwerde begründet werden.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11281636 |