Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung. Grundrecht. gesellschaftliche Entwicklung. unbestimmter Gesetzesbegriff
Leitsatz (amtlich)
Werden Grundrechte (hier: Art 6 GG) und gesellschaftliche Entwicklung zur Begründung der grundsätzlichen Bedeutung für die Konkretisierung von unbestimmten Gesetzesbegriffen (hier: „wichtiger Grund” und „besondere Härte” iS von § 119 AFG) angeführt, so wird die Darlegungslast des § 160a Abs 2 S 3 SGG nur mit substantieller Argumentation erfüllt; Hinweise auf nicht einschlägige Verfassungsnormen und allgemeine Behauptungen über gesellschaftliche Entwicklungen reichen nicht aus.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3; AFG § 119 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1; GG Art. 6 Abs. 1, 4; ErbStG § 10 Abs. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. D
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. November 1996 Prozeßkostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin Süß beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin wendet sich gegen den Eintritt einer Sperrzeit von 12 Wochen.
Die Klägerin war seit 1992 in S. … beschäftigt. Im Frühjahr 1995 kündigte sie dieses Beschäftigungsverhältnis fristgemäß zum 30. Juni 1995. Dazu gab sie an, sie habe sich zur Kündigung wegen einer Schwangerschaft veranlaßt gesehen, um mit ihrem Lebenspartner in Mannheim gemeinsam die Erziehungspflichten für das erwartete Kind wahrzunehmen. Eine Eheschließung sei nicht geplant. Auf die Arbeitslosmeldung in M. … mit Wirkung ab 1. Juli 1995 bewilligte die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) Arbeitslosengeld (Alg) ab 23. September 1995. Für die Zeit vom 1. Juli bis 22. September 1995 ging die BA vom Ruhen des Anspruchs wegen Eintritts einer Sperrzeit aus. Diese Entscheidung hat das Landessozialgericht (LSG) bestätigt. Es hat des näheren ausgeführt, die Begründung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zur „Herstellung einer vorgeburtlichen Erziehungsgemeinschaft” sei kein wichtiger Grund zur Lösung des Beschäftigungsverhältnisses. Die Dauer der Sperrzeit begründe keine besondere Härte. Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.
Die Klägerin sucht um Prozeßkostenhilfe nach und macht mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision den Zulassungsgrund grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache geltend. Mit Hinweis auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wirft sie die Frage auf, ob es im Hinblick auf die Gleichstellung von Ehen und nichtehelichen Gemeinschaften nach §§ 137, 138 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) mit Art 2, 3 Grundsgesetz (GG) vereinbar sei, wenn die Herstellung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht als wichtiger Grund oder besondere Härte iS des § 119 AFG anerkannt werde. Auch sei zu prüfen, ob eine solche Wertung bei der Herstellung einer „vorgeburtlichen Erziehungsgemeinschaft” für ein nichteheliches Kind mit Art 6 Abs 5 GG vereinbar sei. Grundsätzliche Bedeutung komme diesen Fragen zu, weil die gesellschaftliche Entwicklung zu einer gleichwertigen Bedeutung der eheähnlichen Lebensgemeinschaft geführt habe, die unter dem Schutz des Art 2 GG stehe. Auch die politischen Bemühungen um eine Verbesserung der Rechtsstellung nichtehelicher Kinder entsprechend dem Verfassungsauftrag des Art 6 Abs 5 GG müsse zu einer erneuten Würdigung der unbestimmten Rechtsbegriffe führen. Klärungsbedürftig seien diese Fragen insbesondere, weil das Bundessozialgericht (BSG) zu diesen Fragen seit längerer Zeit nicht Stellung genommen habe und die Untergerichte zu einer Anerkennung der Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft als wichtigem Grund tendierten.
Entscheidungsgründe
II
Der Klägerin steht Prozeßkostenhilfe nicht zu, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫; § 114 Zivilprozeßordnung).
Die Beschwerde ist nicht zulässig, denn in der Beschwerdebegründung ist die grundsätzliche Bedeutung nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG geforderten Weise dargelegt. Dieser Zulassungsgrund ist in der Weise darzutun, daß die angestrebte Entscheidung des BSG geeignet ist, die Rechtseinheit zu erhalten oder die Rechtsfortbildung zu fördern. In diesem Sinne ist die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage über den entschiedenen Einzelfall hinaus nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre und ihre Klärungsfähigkeit nach den Gegebenheiten des zu beurteilenden Falles darzulegen (st Rspr vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 7, 13 und 65; BVerwG NJW 1993, 2825 f). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie legt nicht substantiiert dar, inwiefern die unbestimmten Rechtsbegriffe „wichtiger Grund” und „besondere Härte” iS des § 119 AFG bei Lösung eines Beschäftigungsverhältnisses zur Herstellung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung klärungsbedürftig sind. Die Beschwerdebegründung setzt sich insbesondere nicht mit der vorliegenden Rechtsprechung des BSG auseinander, die gerade auch Art 6 Abs 1 GG bei der Konkretisierung der Sperrzeitvoraussetzungen berücksichtigt hat (BSGE 52, 276 ff = SozR 4100 § 119 Nr 17). Allerdings kann eine Rechtsfrage auch dann klärungsbedürftig sein, wenn sich das BSG zu ihr bereits geäußert hat. In solchen Fällen erfordert aber die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung substantielle Ausführungen dazu, mit welchen Argumenten dieser Rechtsprechung entgegengetreten wird. Pauschale Bezugnahmen auf Verfassungsrecht oder angebliche Äußerungen des BVerfG ohne nähere inhaltliche Darstellung und Folgerungen für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage reichen dafür nicht aus (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 146). So fehlen der Beschwerdebegründung inhaltliche Aussagen des in Bezug genommenen Urteils des BVerfG vom 17. November 1992 – 1 BvL 8/87 –, die die bisherige Rechtsprechung des BSG in Frage stellen könnten. Auch die Behauptung gesellschaftlicher Entwicklungen und „Tendenzen” in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung sind zur Darlegung grundsätzlicher Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage nur geeignet, wenn die Beschwerdebegründung ihnen substantielle Argumente für die Beantwortung der Rechtsfrage entnimmt. Diesen Ansprüchen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Ihr ist weder der Inhalt dieser Rechtsprechung zu entnehmen, noch ein Hinweis darauf, ob sie etwa durch Eintritt der Rechtskraft eine gewisse Akzeptanz erfahren hat. Mit dem pauschalen Hinweis auf Art 2 GG genügt die Begründung der Darlegungslast nicht, weil das allgemeine Freiheitsrecht der Schrankentrias des Art 2 Abs 1 GG unterliegt und das BSG zu Art 6 Abs 1 GG bereits deutlich gemacht hat, daß eine Gleichbehandlung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Ehen im Rahmen des § 119 AFG nicht gerechtfertigt ist (BSGE 52, 272, 278 = SozR 4100 § 119 Nr 17). Durch Art 6 Abs 1 GG ist die Ehe als Verbindung von Frau und Mann zu umfassender, grundsätzlich unauflöslicher Lebensgemeinschaft unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt (BVerfGE 10, 59, 66; 53, 224, 245; 87, 234, 264 = SozR 3-4100 § 137 Nr 3). Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung ist sachlicher Grund für einfach gesetzliche Unterscheidungen zwischen Ehen und sonstigen Lebensgemeinschaften. Auch wenn herkömmliche Vorstellungen von Ehe im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung Wandlungen unterworfen sind und zu Änderungen des Familienrechts geführt haben, setzt Art 6 Abs 1 GG Gleichstellungstendenzen Grenzen, die den Kern der verfassungsrechtlichen Einrichtungsgarantie antasten (vgl Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, 822, 825). Inwiefern diese der Rechtsprechung des BSG zur Konkretisierung des § 119 AFG zugrundeliegende Verfassungsentscheidung in Frage gestellt werden könnte, ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen. Der Hinweis auf §§ 137, 138 AFG ist schon insofern verfehlt, als die Berücksichtigung von Partnereinkommen bei der Bedürftigkeitsprüfung gerade Begünstigungen nichtehelicher Lebensformen entgegenwirken soll.
Die Ausführungen der Beschwerdebegründung zur Rechtsstellung nichtehelicher Kinder und zur verfassungsrechtlichen Programmatik des Art 6 Abs 5 GG sind nicht geeignet, eine klärungsbedürftige Rechtsfrage darzulegen. Das Kind der Klägerin ist erst im November 1995 geboren, so daß nicht ersichtlich ist, inwiefern seine Belange einen wichtigen Grund zur Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gerade zum 30. Juni 1995 abgeben könnten (vgl dazu: BSGE 43, 269, 272 = SozR 4100 § 119 Nr 2; BSGE 52, 276, 280 = SozR 4100 § 119 Nr 17). Was substantiell unter einer „vorgeburtlichen Erziehungsgemeinschaft” zu verstehen sein könnte, ist nicht nachvollziehbar. Im zu beurteilenden Zusammenhang wäre allenfalls Art 6 Abs 4 GG ein denkbarer verfassungsrechtlicher Ansatz zur Konkretisierung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 119 AFG. Dazu enthält die Beschwerdebegründung jedoch keine Ausführungen.
Da ihre Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt, ist die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
SozR 3-1500 § 160a, Nr.23 |
SozSi 1998, 314 |