Verfahrensgang

SG Hildesheim (Entscheidung vom 09.08.2023; Aktenzeichen S 18 SB 64/22)

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 09.01.2024; Aktenzeichen L 10 SB 90/23)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Niedersächsischen Landessozialgerichts vom 9. Januar 2024 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin die Feststellung eines Grads der Behinderung (GdB) von 50 anstatt bisher von 30 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens G. Ihre Klage ist in beiden Tatsacheninstanzen erfolglos geblieben. Das LSG hat sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Entscheidung des SG gestützt. Die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsstörungen rechtfertigten den Klageantrag nicht(Urteil vom 9.1.2024) .

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und ausschließlich mit Verfahrensmängeln des LSG wegen Verstoßes gegen die Amtsermittlungspflicht(§ 103 SGG ) begründet.

II

Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die Klägerin hat den von ihr geltend gemachten Verfahrensmangel(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht ordnungsgemäß bezeichnet(§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) .

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ) , müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden.

Bereits den sich daraus ergebenden Darlegungsanforderungen ist die Beschwerdebegründung nicht gerecht geworden. Denn sie lässt eine geordnete und aus sich heraus verständliche Wiedergabe des der Entscheidung des LSG zugrunde liegenden Sachverhalts als unverzichtbare Grundlage für die rechtliche Beurteilung des Vorliegens des geltend gemachten Zulassungsgrundes durch das BSG als Beschwerdegericht vermissen(vgl stRspr; zBBSG Beschluss vom 18.1.2023 - B 9 V 29/22 B - juris RdNr 7 mwN) . Dem Beschwerdevortrag sind allenfalls Fragmente des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu entnehmen. Der genaue Verfahrensablauf sowie Inhalt und Gegenstand der angefochtenen Bescheide sind ebenso wenig erkennbar wie der Gesamtzusammenhang der Begründung des angefochtenen Urteils. "Bezeichnet" ist der Verfahrensmangel aber noch nicht, wenn lediglich vereinzelt Sachverhaltselemente herausgegriffen werden und anhand dieser der behauptete Verfahrensmangel diskutiert wird, sondern nur dann, wenn er in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan wird. Es ist nicht Aufgabe des BSG, sich im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren selbst die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil des LSG oder den Akten herauszusuchen(stRspr; zBBSG Beschluss vom 6.8.2019 - B 9 V 14/19 B - juris RdNr 4 f mwN) .

2. Unabhängig davon hat die Klägerin aber auch keinen Verstoß des LSG gegen seine Pflicht zur Amtsermittlung aus § 103 SGG hinreichend bezeichnet.

Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen, muss sie zunächst einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Dafür muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache. Diese ist möglichst präzise und bestimmt zu bezeichnen, und es ist zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur ein solcher Vortrag versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit des Antrags zu prüfen und gegebenenfalls seine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausreichend zu begründen. Unbestimmte oder unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahezulegen(zum Ganzen:BSG Beschluss vom 29.4.2020 - B 9 V 33/19 B - juris RdNr 5 mwN) . Darüber hinaus ist in der Sachaufklärungsrüge aufzuzeigen, warum sich das LSG ausgehend von seiner Rechtsauffassung zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen. Dazu bedarf es der Darlegung, warum das Gericht objektiv gehalten gewesen ist, den Sachverhalt weiter aufzuklären und den beantragten Beweis zu erheben(BSG Beschluss vom 22.9.2022 - B 9 SB 8/22 B - juris RdNr 12 mwN) .

Auch diese Darlegungsanforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung. Der darin wiedergegebene, mit Schriftsatz vom 4.12.2023 gestellte Antrag der Klägerin auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens eines Facharztes für Anästhesiologie, Schmerzmedizin/Schmerztherapie zum Beweis für die Tatsache, dass die bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen (diese werden im Einzelnen aufgezählt) einen GdB von jedenfalls 50 bedingten, lässt die substantiierte Darstellung vermissen, wieso die davon betroffenen Tatumstände angesichts der bereits vorhandenen Erkenntnisse zum Gesundheitszustand der Klägerin weitere Ermittlungen nötig gemacht haben sollten. Denn nur solche Darlegungen lassen erkennen, weshalb das Berufungsgericht sich zu der beantragten weiteren Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen und weshalb die Entscheidung des Berufungsgerichts auf diesem Mangel beruhen soll(vglBSG Beschluss vom 11.7.2023 - B 9 SB 4/23 B - juris RdNr 12 ) . Demgegenüber hat die Klägerin lediglich pauschal vorgetragen, dass ihr Gesundheitszustand aufgrund der bestehenden Gesundheitsstörungen einen GdB von jedenfalls 50 bedinge. Damit hat sie nur das aus ihrer Sicht gewünschte Verfahrensergebnis als Schlussfolgerung aus möglichen Beweisergebnissen mitgeteilt, ohne jedoch - wie erforderlich - hinreichend präzise und detailliert anzugeben, aus welchen Tatsachen dieses Ergebnis herzuleiten und mit sachverständiger Hilfe zu bewerten war. Der vom LSG zu beurteilende Gesamt-GdB der Klägerin setzt sich aus mehreren Einzel-GdB verschiedener Funktionssysteme im Sinne des von Teil A Nr 2 Buchst e der(in der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung geregelten) Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) zusammen. Daher hätte ein hinreichend präziser Beweisantrag sich nicht nur auf eine oder mehrere genau bezeichnete Gesundheitsstörungen beziehen, sondern auch deren Entwicklung darlegen und unter Beweis stellen müssen, dass aufgrund der sich danach jeweils ergebenden funktionellen Einschränkungen ein höherer Gesamt-GdB nach den VMG festzustellen ist(vglBSG Beschluss vom 4.11.2021 - B 9 SB 31/21 B - juris RdNr 9 ) . Daran fehlt es.

Darüber hinaus legt die Beschwerde auch nicht hinreichend substantiiert dar, warum das LSG von seinem Rechtsstandpunkt aus objektiv zu der beantragten Beweiserhebung gehalten gewesen wäre. Soweit die Klägerin die Ausführungen des LSG für unzutreffend hält, dass sich Anhaltspunkte für die "nunmehr behauptete mittelgradige depressive Störung mit Erschöpfung" aus dem vorliegenden medizinischen Material nicht ergeben, weil bereits das SG in seinem Gerichtsbescheid auf die behandelnde Ärztin K verwiesen habe, die die Beschwerden der Klägerin als Erschöpfung bei der gestellten Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode beschreibe, reicht diese Darlegung allein nicht aus. Denn weiter gibt die Klägerin die Feststellung des SG hierzu wieder, sie weise typische Symptome einer depressiven Störung mit somatischen Faktoren auf, "welche angemessen mit einem GdB von 30 bewertet wurden". Das Berufungsgericht hat im Rahmen seiner GdB-Bewertung aber gerade Bezug genommen auf die Feststellungen des SG zu den aus den aktenkundigen medizinischen Befunden entnommenen funktionellen Einschränkungen der Klägerin sowie deren Einordnung in das System der VMG und sich diesen angeschlossen. Auf diesen maßgeblichen Rechtsstandpunkt des LSG geht die Klägerin nur unvollständig ein und konzentriert ihre Ausführungen auf die ihrer Ansicht nach allgemein höher zu bewertende depressive Störung mit somatischen Faktoren, ohne aber auf die GdB-Bewertung (auch) dieser Gesundheitsstörung nach den VMG einzugehen. Damit fehlt es insgesamt an einer hinreichenden Darlegung, aufgrund welcher objektiv vorliegenden Tatumstände das LSG von seinem Rechtsstandpunkt aus zu der von der Klägerin beantragten Beweiserhebung gehalten gewesen wäre.

Gab es aber - vom hier allein maßgeblichen Rechtsstandpunkt des LSG - aus, keinen Anlass zur Einholung eines weiteren medizinischen Sachverständigengutachtens, so liegt darin entgegen der Ansicht der Klägerin auch keine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung. Zu Ermittlungen ohne konkrete Anhaltspunkte ist das LSG nicht verpflichtet(vglBSG Beschluss vom 17.10.2018 - B 9 V 20/18 B - juris RdNr 19 mwN) . Soweit die Klägerin letztlich mit der Aus- und Bewertung der aktenkundigen medizinischen Berichte und Befunde durch das LSG nicht einverstanden ist, wendet sie sich gegen dessen Beweiswürdigung. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein geltend gemachter Verfahrensmangel nicht auf die Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gestützt werden und daher der Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein nicht zum Erfolg verhelfen.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab(vgl§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ) .

3. Die nicht formgerecht begründete Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen(§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm§ 169 Satz 2 und 3 SGG ) .

4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des§ 193 SGG .

Kaltenstein

Röhl

Othmer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16339012

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