Verfahrensgang
SG Koblenz (Entscheidung vom 06.04.2017; Aktenzeichen S 5 R 433/15) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 12.12.2018; Aktenzeichen L 4 R 195/17) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Dezember 2018 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit steht die teilweise Rückforderung einer großen Witwenrente aufgrund nachträglichen Hinzuverdienstes.
Durch rechtskräftiges Urteil des SG Koblenz vom 12.11.2013 wurde die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine Witwenrente ohne Abschläge durch einen Versorgungsausgleich zu zahlen. Im März 2013 teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie habe die Möglichkeit, bei ihrem vormaligen Arbeitgeber eine geringfügige Beschäftigung aufzunehmen, mit einem Entgelt von monatlich höchstens 236,94 Euro. Auf die Bitte der Klägerin um Mitteilung, wie sich dies rentenrechtlich auswirke, führte die Beklagte aus, der monatliche Freibetrag liege bei 741,05 Euro und werde durch den angekündigten Hinzuverdienst nicht überschritten. Am 18.4.2013 wurde der Beklagten ein monatliches Bruttoentgelt der Klägerin in Höhe von rund 238 Euro gemeldet, was der Arbeitgeber der Klägerin auf Nachfrage für die Zeit von März bis Dezember 2013 und ab Juli 2014 bestätigte. Im Januar 2015 hörte die Beklagte die Klägerin zur Änderung des Witwenrentenbescheides wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze an. Die Altersrente sei als Einkommen bei der Berechnung der Witwenrente neben dem Entgelt aus der geringfügigen Beschäftigung zu berücksichtigen. Die Ankündigung vollzog sie alsdann durch Bescheid vom 29.1.2015 auf Grundlage von § 48 SGB X und rechnete die Rentenüberzahlung in Höhe von 1747,58 Euro gegen die Nachzahlung der Witwenrente (11 969,75 Euro) aus dem eingangs benannten Urteil auf.
Ihren Widerspruch gegen dieses Vorgehen begründete die Klägerin damit, dass die Beklagte die "Jahresfrist" der §§ 45, 48 SGB X nicht eingehalten habe. Die Änderung des Witwenrentenbescheides sei daher rechtswidrig. Mit diesem Vorbringen war sie im Vorverfahren bei der Beklagten erfolglos. Ihre Klage gegen den Widerspruchsbescheid hat das SG Koblenz abgewiesen und das LSG Rheinland-Pfalz ihre Berufung dagegen zurückgewiesen, ohne die Revision zuzulassen (Urteile vom 6.4.2017 und 12.12.2018).
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde an das BSG und macht als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Klägerin hat mit der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- die angefochtene Entscheidung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die Klägerin beruft sich ausschließlich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Die Beschwerdebegründung vom 18.3.2019 genügt jedoch nicht den Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge (vgl hierzu exemplarisch BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 - juris RdNr 6 mwN). Es ist schon zweifelhaft, ob von der Klägerin eine abstrakt-generelle Rechtsfrage - zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht - formuliert wird (vgl allgemein BSG Beschluss vom 24.10.2018 - B 13 R 239/17 B - juris RdNr 8 mwN). Die Formulierung "Kann eine Falschauskunft der Rentenbehörde gem. § 97 SGB VI verbunden mit einem parallelen Rentenrechtsstreit, hier Hinterbliebenenrente, der zwar zu einer Leistungserhöhung und Rentennachzahlung führen kann aber im Rahmen der Anrechnungsnorm des § 97 SGB VI keinerlei Relevanz aufweist, eine Atypik des Falles begründen und den Beginn der Jahresfrist nach § 48 IV SGB X über die Kenntnis der Behörde von den Voraussetzungen nach § 48 l 2 Nr 2 - 4 SGB X bis zum Abschluss des anderweitigen Rentenrechtsstreits hemmen?" lässt aus sich heraus einen abstrakten Fragekern mit Bezug zu einer revisiblen Norm allenfalls erahnen. Die formulierte Frage ist auf den konkreten Sachverhalt zugeschnitten, ohne dass sich aus ihr dieser konkret nachvollziehen ließe. Nur im Verbund mit den weiteren Ausführungen in der Beschwerdeschrift lässt sich der Zusammenhang von Falschauskunft und anderweitigem Rechtsstreit um die Leistungshöhe erkennen. Die nach der Rechtsauffassung der Klägerin daraus folgende Atypik betrifft jedoch eine Subsumtion im Einzelfall. Wie die Atypik zudem mit der Hemmung der Jahresfrist zusammenhängt, erschließt sich aus der Frage ebenfalls nicht. Schon gar nicht kann der formulierten Frage ein konkreter Prüfauftrag für das BSG entnommen werden, was jedoch unverzichtbar ist, damit das Beschwerdegericht an ihm die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181).
Unabhängig hiervon entspricht die Beschwerdeschrift jedoch den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG auch deswegen nicht, weil es an hinreichenden Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage fehlt. Dies gilt sowohl für den Teilaspekt der "Atypik" als auch den der "Hemmung der Jahresfrist". Die Klägerin bringt vor, wäre ihr vor der Arbeitsaufnahme mitgeteilt worden, dass eine Anrechnung (gemeint ist eine Anrechnung der Altersrente auf ihre Witwenrente) erfolge, hätte sie die Tätigkeit nicht oder zumindest nicht in dem erfolgten Umfang aufgenommen. Die für die Rücknahmeentscheidung erforderlichen Tatsachen seien dem Rentenversicherungsträger bereits bei der Meldung der geringfügigen Beschäftigung bekannt gewesen. Hätte er zu diesem Zeitpunkt gehandelt, hätte kein atypischer Fall vorgelegen. Der Rechtsstreit zwischen der Beklagten und der Klägerin im Hinblick auf die Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs bei der Berechnung der Rente habe im Gegensatz zur Auffassung des LSG nicht zur Hemmung der Verjährungsfrist des § 45 SGB X geführt. Werde dies verneint, wäre der Klage stattzugeben gewesen, daher sei die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich. Diese Ausführungen genügen den Darlegungserfordernissen für eine Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht.
Um diesen zu genügen, muss der Beschwerdeführer anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Aus klägerischer Sicht wäre insoweit eine Auseinandersetzung mit der bereits vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung erforderlich gewesen. Denn als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, aber schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; zB BSG Beschluss vom 15.8.2019 - B 9 SB 23/19 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 8.3.2018 - B 9 SB 93/17 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 24.3.2018 - B 12 R 44/17 B - juris RdNr 8). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt hat oder durch die schon vorliegenden Entscheidungen die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 22.3.2018 - B 5 RE 12/17 B - juris RdNr 12 mwN).
Die Klägerin bringt schon nicht vor, es gebe keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der aufgeworfenen Frage. Dies ist jedoch bereits deswegen nicht ausreichend, weil das BSG sich in seiner Rechtsprechung vielfach mit der Frage des Vorliegens eines atypischen Falls iS des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 - 4 SGB X auseinandergesetzt hat. Dabei ist auch entschieden worden, dass ein mitwirkendes Verschulden auf Seiten der Verwaltung iS einer Abweichung von der grundsätzlich zu erwartenden ordnungsgemäßen Sachbearbeitung einen atypischen Fall begründen kann (s nur BSG Urteil vom 24.9.1986 - 10 RKg 9/85 - SozR 5870 § 2 Nr 47 für den Fall eines fehlerhaften Hinweises in einem Merkblatt über die Berücksichtigung bei der Bruttoentgeltberechnung; BSG Urteil vom 29.6.1994 - 1 RK 45/93 - BSGE 74, 287 = SozR 3-1300 § 48 Nr 33 - juris RdNr 27 im Falle einer fehlerhaften Auskunft zur Rückzahlungspflicht von Krankengeld; BSG Urteil vom 1.7.2010 - B 13 R 77/09 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 18 - juris RdNr 58 verneinend allein aufgrund des Rückforderungszeitraums von 15 Jahren; s auch BSG Urteil vom 25.5.2018 - B 13 R 3/17 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 35 RdNr 21). Auch hat sich das BSG schon mehrfach zu der Frage verhalten, wann die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X zu laufen beginnt. Entscheidender Zeitpunkt ist danach derjenige, zu dem dem zuständigen Sachbearbeiter der Behörde die für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen bekannt sind. Dazu gehören alle Umstände, deren Kenntnis es der Behörde objektiv ermöglicht, ohne weitere Sachaufklärung unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme zu entscheiden (BSG Urteil vom 31.1.2008 - B 13 R 23/07 R - juris RdNr 24 mit Verweis auf BSGE 80, 283, 285 f = SozR 3-1300 § 50 Nr 19 S 57 f mwN).
Zumindest hätte die Klägerin angesichts dessen darlegen müssen, dass sich aus diesen Entscheidungen keine Anhaltspunkte für die Beantwortung der von ihr aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben oder dass die durch die vorstehend zitierte BSG-Rechtsprechung geklärten Rechtsfragen - unter Berücksichtigung weiterer erheblicher rechtlicher Überlegungen, die sich beispielsweise aus Anlass des hier zugrundeliegenden Sachverhalts ergeben - erneut klärungsbedürftig geworden wären. Denn auch eine bereits höchstrichterlich entschiedene Rechtsfrage kann erneut klärungsbedürftig werden. Hierfür ist jedoch darzulegen, dass und mit welchen Gründen der höchstrichterlichen Rechtsauffassung in der Rechtsprechung oder in der Literatur widersprochen worden ist oder dass sich völlig neue, nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben haben, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (vgl BSG Beschluss vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13 - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 2.8.2018 - B 10 ÜG 7/18 B - juris RdNr 8 mwN). Die Beschwerdebegründung enthält keinerlei Ausführungen hierzu.
Mit ihren weiteren Ausführungen legt die Klägerin ausschließlich ihre eigene Rechtsauffassung dar und verwirft die des LSG im angefochtenen Berufungsurteil als unzutreffend. Damit wendet sie sich ausdrücklich gegen die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Einzelfall. Hierauf kann die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision jedoch nicht zulässig gestützt werden (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13945142 |