Verfahrensgang
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 08.01.2019; Aktenzeichen S 14 R 4445/17) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 18.12.2020; Aktenzeichen L 8 R 305/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Dezember 2020 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Mit Urteil vom 18.12.2020 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 1.4.2021 begründet hat.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat darin die ausschließlich geltend gemachten Verfahrensmängel (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.10.2010 - B 12 KR 2/10 B - juris RdNr 5; jüngst BSG Beschluss vom 9.12.2019 - B 13 R 259/19 B - juris RdNr 4). Zu beachten ist, dass der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden kann, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Berufungsgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Den daraus abgeleiteten Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Das gilt schon deswegen, weil die Klägerin darin den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht hinreichend mitteilt. Ihrem Gesamtvorbringen ist noch zu entnehmen, dass um die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gestritten wird und das LSG nicht zu der Überzeugung gelangt ist, ihr Leistungsvermögen sei in quantitativer Hinsicht eingeschränkt. Darüber hinaus fehlt eine zumindest geraffte Darstellung des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens. Insbesondere zeigt die Klägerin allenfalls rudimentär auf, welche Tatsachen das LSG zu ihrem verbliebenen Leistungsvermögen festgestellt hat. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich den maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder der angegriffenen Entscheidung herauszusuchen (BSG Beschluss vom 31.5.2017 - B 5 R 358/16 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 26.1.2018 - B 13 R 309/14 B - juris RdNr 3 f). Aber auch im Übrigen sind die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht hinreichend bezeichnet.
a) Die Klägerin rügt eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG), indem das LSG ihrem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet nicht gefolgt sei. Für den Vorhalt, das Berufungsgericht habe seine Verpflichtung zur Sachverhaltsermittlung verletzt, bestehen spezifische Darlegungsanforderungen. Die Sachaufklärungsrüge muss folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das Berufungsgericht nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das Berufungsgericht mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5; BSG Beschluss vom 3.12.2012 - B 13 R 351/12 B - juris RdNr 6 mwN; jüngst BSG Beschluss vom 28.11.2019 - B 13 R 169/18 B - juris RdNr 4). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG ferner die Darlegung, dass ein - wie die Klägerin - bereits in der Berufungsinstanz rechtskundig vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 21.2.2018 - B 13 R 28/17 R, B 13 R 285/17 B - juris RdNr 14 mwN). Wird ein Rechtsstreit - wie vorliegend - ohne mündliche Verhandlung entschieden, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG(BSG Beschluss vom 1.9.1999 - B 9 V 42/99 B - SozR 3-1500 § 124 Nr 3 Satz 4 f; BSG Beschluss vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - juris RdNr 10). An diesen Anforderungen richtet die Klägerin ihr Beschwerdevorbringen nicht aus.
Sie bezieht sich auf einen mit Schriftsatz vom 26.11.2020 gestellten und mit Schriftsatz vom 16.12.2020 wiederholten Antrag, der zuletzt wie folgt formuliert gewesen sei: "Ich wiederhole daher den Antrag nach § 109 SGG nur als Hilfsantrag und stelle als Hauptantrag von Amts wegen ein Gutachten bei E (…) einzuholen." Selbst wenn damit die Stellung und Aufrechterhaltung eines formgerechten Beweisantrags iS des § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO dargetan wäre, zeigt die Klägerin jedenfalls nicht hinreichend auf, dass sich das LSG zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt sehen müssen. Ausgehend von den - bruchstückhaften - Angaben in der Beschwerdebegründung haben bereits zwei Sachverständigengutachten auf orthopädischem Fachgebiet vorgelegen, nämlich ein wohl im erstinstanzlichen Verfahren von Amts wegen eingeholtes Gutachten von S1 und ein im Berufungsverfahren auf Antrag der Klägerin hin eingeholtes Gutachten von S2. Der Sachverständige S1 hat augenscheinlich keine quantitativen Leistungseinschränkungen feststellen können, während die Klägerin nach Einschätzung des Sachverständigen S2 lediglich im Umfang von bis zu sechs Stunden arbeitstäglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein könne. Liegen bereits mehrere, sich teilweise widersprechende Gutachten vor, ist das Tatsachengericht aber nur ausnahmsweise zu einer weiteren Beweiserhebungen verpflichtet. Denn es besteht kein allgemeiner Anspruch auf Überprüfung eines oder mehrerer Sachverständigengutachten durch ein sog Obergutachten (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 23.5.2006 - B 13 RJ 272/05 B - juris RdNr 5, 11; BSG Beschluss vom 24.5.2017 - B 3 P 6/17 B - juris RdNr 13). Vielmehr ist es Aufgabe des Tatsachengerichts, sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit einander entgegenstehenden Gutachten auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines oder einige von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesen grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse gehört - wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse - zur Beweiswürdigung selbst (vgl BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8; BSG Beschluss vom 20.2.2018 - B 10 LW 3/17 B - juris RdNr 8). Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum. Zu weiteren Beweiserhebungen ist das Tatsachengericht nur dann verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 9; BSG Beschluss vom 20.2.2018 - B 10 LW 3/17 B - juris RdNr 9). Das wird in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargetan.
Die Klägerin bringt vor, ihre Wirbelsäule sei in allen drei Abschnitten beschädigt und sie sei chronische Schmerzpatientin. Aus ihrem Gesamtvorbringen ergibt sich noch, dass sie das LSG jedenfalls mit Schriftsatz vom 26.11.2020 auf neurologische Ausfallerscheinungen durch die bei ihr bestehenden Spinalkanalstenosen hingewiesen habe. Damit hat sie nicht die unabdingbare Notwendigkeit einer weiteren Begutachtung auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet aufgezeigt. Da eine Spinalkanalstenose als Krankheit der Wirbelsäule und des Rückens klassifiziert wird, erscheint es naheliegend, dass die vorliegenden orthopädischen Gutachten sich mit den Auswirkungen der bei der Klägerin vorliegenden Wirbelkanalverengungen auseinandersetzten. Vor diesem Hintergrund hätte es näherer Darlegung bedurft, inwiefern sich ihr Leistungsvermögen nicht belastbar allein aufgrund der von S1 und S2 erhobenen Befunde beurteilen lasse. Derartiges Vorbringen fehlt. Der pauschale Vorwurf der Klägerin, die "neurologischen Fakten" seien nicht beachtet worden, reicht vor dem Hintergrund der durchgeführten Ermittlungen auf orthopädischem Fachgebiet nicht aus. Das gilt umso mehr, als ausgehend von den Angaben der Klägerin der Sachverständige S2 ua wegen der mit der Wirbelsäulenerkrankung einhergehenden Schmerzen von einem in zeitlicher Hinsicht eingeschränkten Leistungsvermögen ausgeht. Letzten Endes wendet die Klägerin sich gegen die Beweiswürdigung des LSG, das ua dieser Einschätzung nicht gefolgt ist. Dass sie die vom LSG vorgenommene Würdigung der sich widersprechenden Sachverständigenausführungen offensichtlich nicht teilt, vermag eine Revisionszulassung indes nicht zu stützen.
Mit ihrem Vorbringen zu den sachverständigen Einschätzungen von S1 und S2 ist von der Klägerin auch nicht etwa deren fehlende Sachkunde anforderungsgerecht dargetan. Zweifel an der Sachkunde oder Unabhängigkeit eines Gutachters müssen sich aus dem Gutachten selbst ergeben oder es muss sich um besonders schwierige Fachfragen handeln, die ein spezielles, bei den bisherigen Gutachtern nicht vorausgesetztes Fachwissen erfordern (BSG Beschluss vom 20.5.2020 - B 13 R 49/19 B - juris RdNr 12 mwN). Solche Umstände werden in der Beschwerdebegründung nicht schlüssig aufgezeigt, indem die Klägerin das Gutachten des Sachverständigen S1 pauschal als mangelhaft bezeichnet.
Ebenso wenig ist ein Verfahrensmangel anforderungsgerecht bezeichnet, soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG; § 62 Halbsatz 1 SGG) darin erkennt, dass das LSG den ihres Erachtens gestellten Beweisantrag nicht beschieden habe. Auch mit diesem Vorbringen erhebt sie im Kern eine Sachaufklärungsrüge. Deren Darlegungsanforderungen können nicht durch eine Rüge in anderer Gestalt umgangen werden. Andernfalls liefen die Beschränkungen, die § 160 Abs 2 Nr 3 SGG für die Sachaufklärung normiert, ins Leere (vgl BSG Beschluss vom 6.2.2007 - B 8 KN 16/05 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 7; BSG Beschluss vom 22.10.2008 - B 5 KN 1/06 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 28.9.2010 - B 5 R 202/10 B - juris RdNr 11).
b) Die Klägerin rügt zudem eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG; § 62 Halbsatz 1 SGG), indem das LSG davon ausgegangen sei, sie habe zuletzt nur einen Antrag nach § 109 SGG gestellt. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Hiervon ist bei vom Gericht entgegengenommenen Vorbringen der Beteiligten grundsätzlich auszugehen (vgl BVerfG ≪Kammer≫; Beschluss vom 27.5.2016 - 1 BvR 1890/15 - juris RdNr 14 f). Da die Gerichte nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden brauchen, kann sich eine Gehörsverletzung insoweit nur aus den besonderen Umständen des Falles ergeben (vgl BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216 f = juris RdNr 44 mwN). Derartige Umstände werden in der Beschwerdebegründung nicht dargetan.
Die Klägerin bringt vor, das LSG habe sowohl im Tatbestand als auch in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ausgeführt, sie habe zuletzt mit Schriftsatz vom 16.12.2020 ihren Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens durch E aufrechterhalten. Tatsächlich habe sie die Einholung eines entsprechenden Gutachtens von Amts wegen beantragt und nur hilfsweise einen Antrag nach § 109 SGG gestellt. Damit legt die Klägerin keine fehlende Kenntnisnahme von ihrem Antrag, sondern allenfalls dessen unzutreffende Auslegung durch das LSG dar. Ob eine gegenüber dem Berufungsgericht abgegebene Erklärung als Beweisantrag auszulegen ist, wird aber bereits im Zusammenhang mit der Prüfung einer Verletzung des § 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG geprüft (vgl zu einem solchen Fall zB BSG Beschluss vom 14.9.2005 - B 11a AL 67/05 B - juris RdNr 9). Die Klägerin erhebt daher auch an dieser Stelle letztlich eine Sachaufklärungsrüge, deren Darlegungsvoraussetzungen wie ausgeführt nicht durch die Erhebung einer Gehörsrüge umgegangen werden können.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14685345 |