Verfahrensgang

LSG für das Land Brandenburg (Urteil vom 12.01.1999; Aktenzeichen L 2 RA 214/98)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 12. Januar 1999 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Mit Urteil vom 12. Januar 1999 hat das Landessozialgericht für das Land Brandenburg (LSG) den Anspruch des Klägers auf Weiterzahlung seiner nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht berechneten Altersrente und auf Anpassung des bis zum 31. Dezember 1991 geleisteten Zahlbetrages verneint. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe mit den hier angefochtenen Bescheiden zu Recht die Rücknahme der früheren Bescheide über die Umwertung und Anpassung der nach den Vorschriften des Beitrittsgebietes berechneten Rente abgelehnt. Die Rente des Klägers sei zutreffend nach § 307a Abs 1 bis 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) zum 1. Januar 1992 umgewertet worden. Einen Anspruch auf Neuberechnung der Rente habe der Kläger nicht, weil die Voraussetzungen der Ausnahmevorschriften in § 307a Abs 9, 10, 11 SGB VI und § 307b SGB VI nicht gegeben seien. Auch aus §§ 302, 306 SGB VI könne der Kläger keinen Anspruch auf Fortzahlung der ehemals geleisteten Rente in ihrem Zahlbetrag herleiten. Der Kläger habe am 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf eine nach den Vorschriften des Beitrittsgebietes berechnete Rente gehabt, die nunmehr gemäß § 302 Abs 2 SGB VI als Regelaltersrente gelte und für die Entgeltpunkte nach § 307a Abs 1 SGB VI zu bestimmen gewesen seien, um zu einer anpassungsfähigen Rente zu kommen. Die Regelung in § 307a Abs 1 und 2 SGB VI verstoße nicht gegen das Grundgesetz. Aus dem Bescheid der Überleitungsanstalt vom 7. Juli 1991 könne der Kläger seinen Anspruch nicht herleiten, da sich dieser Bescheid mit Inkrafttreten des SGB VI erledigt habe. Den Anspruch auf Sozialzuschlag könne der Kläger nicht erneut geltend machen. Dieser Anspruch sei bestandskräftig durch den Aufhebungsbescheid vom 1. August 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 1995 beseitigt worden.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde eingelegt. Er beruft sich auf grundsätzliche Bedeutung und das Vorliegen eines Verfahrensmangels.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Gemäß § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). In der Beschwerdebegründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Das ist hier nicht geschehen.

Um eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG darzulegen, muß die Beschwerde im einzelnen folgendes aufzeigen (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nrn 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65): (1) Eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entschei-dungserheblichkeit) sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht.

Der Kläger hat bereits eine konkrete Rechtsfrage nicht hinreichend deutlich bezeichnet. In seinen Ausführungen zum Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung legt er im wesentlichen seine, der Rechtsauffassung des LSG entgegenstehende, eigene Rechtsansicht dar und kommt zu dem Ergebnis, das LSG hätte in dem angefochtenen Urteil § 307a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) (gemeint ist: SGB VI) nicht anwenden dürfen. Die grundsätzliche Bedeutung liege in der Frage, welche Rechtsvorschriften anzuwenden seien. Damit hat der Kläger eine konkrete Rechtsfrage nicht hinreichend klar formuliert. Hierzu hätte er näher darlegen müssen, welche konkrete Rechtsfrage sich durch die Anwendung oder Nichtanwendung von Vorschriften des SGB VI stelle und ggf zu beantworten sei. Letztlich mündet das Vorbringen des Klägers in eine pauschale Behauptung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und in bloße Angriffe gegen die Rechtsauffassung der Vorinstanz, womit die Beschwerde keinen Erfolg haben kann (vgl hierzu Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 107 mwN).

Selbst wenn man dem Vorbringen des Klägers die Formulierung einer konkreten Rechtsfrage in dem Sinne entnehmen wollte, welche Rechtsvorschriften in seinem Falle anzuwenden seien, hat er deren Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichend dargelegt. Zur Klärungsbedürftigkeit hätte er unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG und des BVerfG vortragen müssen, daß zu der möglicherweise bezeichneten Rechtsfrage noch keine höchstrichterliche Entscheidung gefällt und die aufgeworfene Rechtsfrage durch schon vorliegende Urteile abstrakt noch nicht abschließend beantwortet worden sei (BSG SozR 1500 § 160a Nr 65; BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 6). Das ist nicht geschehen. Der Kläger hat lediglich vorgetragen, zur Frage der Anwendung der einschlägigen Rechtsvorschriften sei vom BSG noch nicht entschieden worden. Auch wenn man seine Ausführungen dahingehend verstehen wollte, die vermeintlich aufgeworfene Rechtsfrage betreffe die Anwendbarkeit des § 307a SGB VI, fehlt es an Darlegungen, weshalb diese Frage nicht mit der bereits vorliegenden Rechtsprechung des BSG zu dieser Vorschrift oder auch den anderen vom Kläger zitierten Regelungen des SGB VI und des Einigungsvertrages beantwortet werden könne (vgl die umfangreiche Rechtsprechung des BSG zu §§ 306, 307a SGB VI in SozR 3-2600 § 306 Nrn 1, 2 und § 307a Nrn 1 bis 11).

Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, daß hinreichende Ausführungen zur Klärungsfähigkeit und sog Breitenwirkung ebenfalls fehlen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, daß ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, daß und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, daß also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 36; BVerwGE 13, 338, 339; BVerwG NJW 1976, 1705; BVerfG NVwZ 1982, 433, 434; BGH NJW 1987, 2442 f). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die Darlegung des von dem Kläger behaupteten Verfahrensmangels genügt nicht diesen Anforderungen.

Der Kläger rügt als einen Mangel des Berufungsurteils, daß dieses die Bindungswirkung des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) ≪SG≫ vom 20. April 1994 (Az: S 6 J 6/93) nicht beachtet habe, weil durch die Rechtskraft des genannten Urteils sein (des Klägers) Anspruch auf Sozialzuschlag nicht mehr zu beseitigen gewesen sei. Damit liege ein Verstoß gegen § 141 SGG vor.

Grundsätzlich kann in einem Verstoß gegen die Rechtskraft eines früheren Urteils ein Verfahrensfehler gesehen werden (vgl BSGE 8, 185; 8, 284; Peters/Sautter/Wolff, Komm zur Sozialgerichtsbarkeit, § 160 RdNr 355 mwN). Bezeichnet ist ein Verfahrensmangel aber nur, wenn er mit den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan wird (vgl Kummer, aaO, RdNr 188 mwN; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl, Kap IX, RdNr 204). Die Darlegung muß dergestalt sein, daß das Beschwerdegericht sich bereits anhand der Begründung ein Urteil darüber zu bilden vermag, ob es – bei Unterstellung der Richtigkeit des vorgetragenen Sachverhalts – als möglich erscheint, daß das angefochtene Urteil auf einem Verstoß gegen Verfahrensvorschriften beruht (Kummer, aaO, RdNr 189; Krasney/Udsching, aaO, RdNr 204, jeweils mwN). Ob hier ein solcher Verfahrensmangel vorliegt, läßt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen.

Nach § 141 SGG binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Zunächst fehlen bereits nähere Ausführungen dazu, wieweit die Rechtskraft des Urteils des SG reiche und weshalb die Rechtskraft dieses Urteils dem angefochtenen Berufungsurteil entgegenstehen solle. Zu solchen Ausführungen hätte insbesondere Anlaß bestanden, weil gerade bei einem stattgebenden Urteil auf eine Anfechtungsklage hin zur Bestimmung der Tragweite der in Rechtskraft erwachsenen Urteilsformel auch die Entscheidungsgründe des Urteils herangezogen werden müssen (Meyer-Ladewig, SGG mit Erl, 6. Aufl, § 141 RdNr 7a; vgl auch BSGE 8, 185, 189 mwN). Die Bindung eines stattgebenden Urteils auf Anfechtungsklage geht nur soweit, wie die Aufhebungsgründe die Entscheidung tragen (Meyer-Ladewig, aaO, § 141 RdNr 10). Anders gewendet: Die Prüfung der Bindung an das rechtskräftige Urteil muß sich auf die rechtliche Beurteilung erstrecken, die der Aufhebung des Verwaltungsaktes durch das Gericht zugrunde gelegt worden ist (BSGE 8, 185, 190). Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet das: Es reicht nicht aus, daß sich der Kläger allgemein auf die Bindungswirkung des Urteils des SG beruft, ohne näher darzulegen, aus welchen Gründen das SG der Anfechtungsklage des Klägers seinerzeit stattgegeben und welche rechtliche Beurteilung der Entscheidung des SG zugrunde gelegen hatte. Weiter fehlen nähere Darlegungen dazu, aufgrund welcher in Rechtskraft erwachsenen Gründe in dem Urteil des SG das LSG vorliegend gehindert gewesen sei, von einer bestandskräftigen Beseitigung des Sozialzuschlags auszugehen.

Soweit der Kläger die Rüge eines Verfahrensmangels darauf stützt, das LSG habe, um eine Sachentscheidung abzulehnen, sich nicht auf die Bindungswirkung des Bescheides der Beklagten vom 1. August 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 1995 berufen dürfen, so ist ein Verfahrensmangel schon deshalb nicht ausreichend dargetan, weil die Ablehnung einer erneuten Sachprüfung unter Berufung auf die Bindungswirkung eines früheren Ablehnungsbescheides keinen „Mangel des Verfahrens” betrifft (BSG SozR Nr 196 zu § 162 SGG; Hennig in Hennig, SGG, § 160 RdNr 112). Die möglicherweise irrige Annahme des Berufungsgerichts, an einer erneuten Sachentscheidung wegen der Bindungswirkung früherer Bescheide gehindert zu sein, betrifft nicht das Vorgehen des Gerichts in dem Verfahren auf dem Wege zum Urteil ≪error in procedendo≫ (vgl hierzu Meyer-Ladewig, aaO, § 160 RdNr 16a; Kummer, aaO, RdNr 194), sondern wirkt sich allenfalls auf die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils aus ≪error in dicando≫. Beschwerdegegenstand ist jedoch nicht die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7), so daß eine entsprechende Rüge nicht geeignet ist, die Revisionsinstanz zu eröffnen. Noch einmal anders ausgedrückt: Wird mit der Beschwerde ein Verhalten der Vorinstanz als verfahrensfehlerhaft bezeichnet, das unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Verfahrensmangel sein kann, dann ist (insoweit) die Beschwerde unzulässig (Kummer, aaO, RdNr 190).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1, 5; BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175327

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