Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 18.06.2019; Aktenzeichen S 88 SO 1049/18) |
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 01.06.2021; Aktenzeichen L 15 SO 161/19) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 1. Juni 2021 - L 15 SO 161/19 - Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin S, K, beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit ist eine Feststellung über die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für den Monat Juli 2018.
Der Kläger bezieht seit 2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung und ergänzend von dem Beklagten Grundsicherungsleistungen. Auf seinen Fortzahlungsantrag vom Juni 2018 wurden ihm vom Beklagten Ende Juni 2018 Grundsicherungsleistungen iHv 658,93 Euro für den Monat Juli 2018 überwiesen und auf seinem Konto gutgeschrieben. Mit Bescheid vom 4.7.2018 bewilligte der Beklagte Grundsicherungsleistungen für den Bewilligungszeitraum 1.7.2018 bis 30.6.2019, für Juli 2018 iHv 658,93 Euro. Widerspruch und Klage, womit der Kläger geltend gemacht hat, er habe wegen der verspäteten Bescheiderteilung im Juli 2018 den "Berlinpass" (Fahrkartenermäßigung für den öffentlichen Nahverkehr) nicht rechtzeitig erwerben können bzw verlängern können, weshalb ein Feststellungsinteresse bestehe, sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 11.10.2018; Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ≪SG≫ Berlin vom 18.6.2019; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Berlin-Brandenburg vom 1.6.2021). Das LSG hat ausgeführt, die Berufung sei unzulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von 750 Euro nicht übersteige. Ein Feststellungsinteresse liege nicht vor. Der vom Kläger behauptete "Schaden" iHv "ca. 3.000 Euro" sei nicht ansatzweise nachvollziehbar.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde und beantragt zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung einer Rechtsanwältin. Die Tatsachenfeststellung des LSG sei unvollständig. Auch ein Realakt könne Gegenstand einer Feststellungsklage sein. Das LSG habe ihm rechtliches Gehör nicht gewährt. In der mündlichen Verhandlung sei "Maskenzwang" angeordnet gewesen, obwohl eine Gefährdungslage nicht vorgelegen habe.
II
PKH kann dem Kläger nicht bewilligt werden. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte, denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Klärungsbedürftige Rechtsfragen wegen den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Feststellungsklage, insbesondere hinsichtlich des erforderlichen Feststellungsinteresses (vgl etwa Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 5.9.2019 - B 8 SO 15/18 R - SozR 4-3500 § 48 Nr 3; BSG vom 2.8.2001 - B 7 AL 18/00 R - SozR 3-1500 § 55 Nr 34) stellen sich nicht. Es ist auch nicht erkennbar, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte.
Es ist schließlich auch nicht erkennbar, dass ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte. Insbesondere hat das LSG zu Recht ein Prozessurteil statt eines Sachurteils erlassen und die Berufung als unzulässig verworfen. Nach § 158 Satz 1 Alt 1 SGG ist die Berufung ua als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht statthaft ist. Eine Berufung bedarf der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG) und nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind (§ 144 Abs 1 Satz 2 SGG). Der Wert des Beschwerdegegenstandes iS von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG richtet sich danach, was das SG dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was er davon mit seinen Berufungsanträgen weiterverfolgt. Bei einer Geldleistung ist daher der Wert des Beschwerdegegenstandes für das Berufungsverfahren nach dem Geldbetrag zu berechnen, um den unmittelbar gestritten wird (vgl BSG vom 27.7.2004 - B 7 AL 104/03 R - SozR 4-1500 § 144 Nr 2 RdNr 5). Als maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes ist auf die Einlegung der Berufung abzustellen (stRspr; vgl BSG vom 17.11.2005 - B 11a/11 AL 57/04 R - SozR 4-1500 § 96 Nr 4 RdNr 14; BSG vom 23.7.2015 - B 8 SO 58/14 B - RdNr 8). Bei einem Feststellungsantrag ist auf das zugrunde liegende wirtschaftliche Interesse - hier die vergünstigte Nutzung von Verkehrsmitteln mit dem Berlinpass für wenige Tage Anfang Juli 2018 - abzustellen und dieses ggf zu schätzen (vgl BSG vom 21.9.2017 - B 8 SO 32/17 B - RdNr 9). Der Beschwerdewert von 750 Euro wird damit bei Weitem nicht erreicht. Für den vom Kläger behaupteten "Schaden" iHv 3000 Euro ist ein vernünftiger Grund nicht ansatzweise erkennbar (vgl BSG vom 26.7.2016 - B 4 AS 12/16 B - RdNr 11 mwN). Willkürliche Anträge, die mit dem zugrunde liegenden Begehren nichts zu tun haben und nur gestellt werden, um die Berufungsfähigkeit zu erreichen, bleiben bei der Berechnung des Wertes des Beschwerdegegenstandes außer Betracht (vgl BSG vom 22.8.1990 - 10 RKg 29/88 - BSGE 67, 194 = SozR 3-5870 § 27 Nr 1; BSG vom 5.3.1980 - 9 RV 44/78 - SozR 1500 § 148 Nr 5; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 144 RdNr 14). Das SG hat die Berufung auch nicht zugelassen; eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung ersetzt nicht die Berufungszulassung (BSG vom 22.7.2010 - B 4 AS 77/10 B - RdNr 8 mwN, die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ vom 24.8.2010 - 1 BvR 2082/10).
Das LSG hat den Kläger vor der Übertragung der Berufung auf den Berichterstatter (§ 153 Abs 5 SGG) angehört (zur Notwendigkeit vgl BSG vom 5.2.2019 - B 8 SO 20/18 BH - RdNr 6).
Soweit der Kläger sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, ist nicht ersichtlich, welche Tatsachen dem LSG als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter eine Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫) geltend machen könnte. Die vorliegend vor der mündlichen Verhandlung in Aussicht gestellte sitzungspolizeiliche Anordnung (§ 176 Abs 1 Gerichtsverfassungsgesetz ≪GVG≫), voraussichtlich wegen der andauernden Covid-19-Pandemie im Gerichtssaal eine Mund- und Nasenbedeckung tragen zu müssen, wäre grundsätzlich wegen erkennbar vernünftigen Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt gewesen, weil sie geeignet ist, mögliche Infektionen im Gerichtssaal zu verhindern oder zumindest die Wahrscheinlichkeit hierfür zu senken (vgl BVerfG vom 28.9.2020 - 1 BvR 1948/20 - MDR 2020, 1523; Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl 2021, § 176 RdNr 15a; Metz, DRiZ 2020, 256); darin liegt auch kein Verstoß gegen das in § 176 Abs 2 Satz 1 GVG normierte Verhüllungsverbot. Letztlich kann dies dahinstehen, da der Kläger trotz eines ärztlichen Attests, in welchem die Unzumutbarkeit des Tragens einer Atemschutzmaske attestiert wird, gar nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen und dem Vorsitzenden nicht die Möglichkeit gegeben hat, in seinem Einzelfall zu prüfen, ob die sitzungspolizeiliche Anordnung insoweit ohne Ausnahme zu erlassen war. Auf die Möglichkeit eines Befreiungstatbestands wurde der Kläger in der Verfügung vom 7.5.2021 hingewiesen. Zur mündlichen Verhandlung ist der Kläger ordnungsgemäß geladen worden; sein persönliches Erscheinen war nicht angeordnet worden, um Terminsverlegung hat er nicht gebeten. Damit kann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör oder des aus Art 2 Abs 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten allgemeinen Prozessgrundrechts auf ein faires Verfahren nicht bezeichnet werden. Ohnehin stellt sich die Entscheidung des LSG in der Sache als zutreffend dar, sodass auch nicht ersichtlich ist, welcher Vortrag in der Sache dem Kläger zum Erfolg hätte verhelfen können.
Schließlich ist auch wegen der Zurückweisung des Befangenheitsantrags gegen den Berichterstatter kein Verfahrensmangel ersichtlich. Nach einer Zurückweisung eines Befangenheitsantrags gegen einen Richter durch Zwischenentscheidung kann ein sich auf das angefochtene Urteil selbst auswirkender Mangel im Sinne eines absoluten Revisionsgrundes (§ 547 Nr 1 ZPO) nur dann vorliegen, wenn die Behandlung eines Ablehnungsantrags so fehlerhaft ist, dass durch die weitere Mitwirkung der abgelehnten Richter das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG verletzt ist und das Berufungsgericht bei seiner Berufungsentscheidung deshalb unrichtig besetzt war (BSG vom 27.4.2020 - B 8 SO 13/20 B - RdNr 7; BSG vom 13.8.2009 - B 8 SO 13/09 B - RdNr 8 mwN), was nach Aktenlage nicht der Fall ist.
Damit entfällt auch die Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
Die vom Kläger selbst eingelegte Beschwerde entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften. Der Kläger muss sich vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Er kann eine Prozesshandlung rechtswirksam nicht vornehmen, folglich nicht selbst Beschwerde einlegen. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem nach § 73 Abs 4 SGG zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Hierauf wurde der Kläger ausdrücklich hingewiesen. Die nicht formgerecht eingelegte Beschwerde ist schon deshalb nach § 160a Abs 4 Satz 1 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14902327 |