Leitsatz (amtlich)

1. Auch die Frage der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift kann die Zulassung der Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache rechtfertigen (Anschluß an BSG 1975-08-22 11 BA 8/75).

2. Eine Anrufung des GmS OGB wegen der in Leitsatz 1 enthaltenen Divergenz zur Rechtsprechung des BGH bedarf es dann nicht, wenn die behauptete Grundrechtsverletzung gleichzeitig eine Verletzung einfachen Rechts (hier der Ermächtigungsnorm des RVO § 728 Abs 3) bedeuten würde.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 1974-07-30, § 160a Abs. 2 Fassung: 1974-07-30; RVO § 728 Abs. 3 Fassung: 1963-04-30; RsprEinhG § 2

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 20. Mai 1975 - Az.: L 3 u 14/74, L 3 U 26/75 - wird zugelassen.

 

Gründe

Die Kläger wenden sich dagegen, daß die Beklagte von ihnen das Vierfache des sonst maßgebenden Beitragssatzes fordert, weil die von ihnen veranlaßten Bauarbeiten an Häusern, deren Eigentümer sie sind, nicht gewerbsmäßig durchgeführt wurden. Klage und Berufung gegen die von der Beklagten erlassenen Unfallversicherungsbeitragsbescheide waren ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Rücksicht auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 13. Februar 1975 - 8 RU 119/73 - die Auffassung vertreten, eine Differenzierung in der Beitragserhebung zwischen gewerbsmäßig und nicht gewerbsmäßig ausgeführten Bauarbeiten verstoße weder gegen § 728 Abs 3 RVO noch gegen Artikel 3 des Grundgesetzes (GG).

Das LSG hat die Revision nicht zugelassen. Mit der dagegen eingelegten Beschwerde beantragt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Zur Begründung verweist er ua darauf, daß der Senat zwar die Verfassungsmäßigkeit bejaht habe, die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde jedoch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angenommen und von diesem eine umfassende Sachaufklärung veranlaßt worden sei, wie sich aus der Aufklärungsverfügung des Vorsitzenden des 1. Senats des BVerfG vom 24. Juni 1975 ergebe.

Die Beschwerde ist zulässig. Zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit gehört nach § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG), daß in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt wird. Auch ist die zu entscheidende Rechtsfrage klar zu bezeichnen und es muß ersichtlich sein, weshalb ihrer Klärung eine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das gilt auch, wenn die Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift behauptet wird; wobei allerdings die bloße Behauptung nicht ausreicht sondern vielmehr dargetan sein muß, welche Vorschrift des GG verletzt ist und aus welchen Gründen. Diesen Anforderungen genügt bei weiter Auslegung der Vorschrift die Beschwerdebegründung des Klägers, insbesondere wenn man die Aufklärungsverfügung des Vorsitzenden des 1. Senats des BVerfG, die der Kläger mit überreicht hat, berücksichtigt.

Die Beschwerde ist auch begründet, denn die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). In Übereinstimmung mit dem Beschluß des 11.Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. August 1975 - 11 BA 8/75 - vermag auch der erkennende Senat nicht der Meinung des Bundesgerichtshofes (BGH) zu folgen, daß die Frage der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht rechtfertigen könne (RzW 1964, 225; 1967, 378). Der BGH begründet seine Ansicht damit, eine solche Zulassung verzögere nur das Verfahren, weil gegen eine die Verfassungsmäßigkeit bejahende Entscheidung noch der Weg der Verfassungsbeschwerde zum BVerfG offen stehe. Die Verfassungswidrigkeit könne nur vom BVerfG ausgesprochen werden. Dieses könne aber auch angerufen werden, wenn die Revision nicht zugelassen werde. Dem hat der 11. Senat jedoch zutreffend entgegengehalten, daß das BVerfG auch bei Fragen der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes, wenn diese Frage von grundsätzlicher Bedeutung ist, vor der Einlegung der Verfassungsbeschwerde zur Erschöpfung des Rechtsweges die Einleitung der Nichtzulassungsbeschwerde verlangt (BVerfG 16, 3, vgl auch 21, 167). Demgemäß schließt das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die Zulassung einer Revision zur grundsätzlichen Klärung der Verfassungs*-mäßigkeit bzw -Widrigkeit einer Vorschrift nicht aus (vgl BVerwG Buchholz 448.3 § 7 USG, Nr 1 sowie 232 § 90 Bundesbeamtengesetz - BBG - Nr 14 und 235.16 LBesG Niedersachsen § 5 Nr 1).

Die Entscheidung des erkennenden Senats vom 13. Februar 1975 - 8 RU 119/73 -, die zur gleichen Rechtsfrage ergangen ist, steht der Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht entgegen. Der Senat hat vielmehr in diesem Urteil selbst darauf hingewiesen, daß dann, wenn die Satzung einer Bau-Berufsgenossenschaft (BG) für die nicht gewerbsmäßigen Unternehmer ganz allgemein die Erhebung des Vierfachen des sonst maßgebenden Beitragssatzes vorsieht, obwohl eine solche Beitragsbelastung unter Würdigung aller maßgebenden Sachgesichtspunkte auch nicht annähernd gerechtfertigt wäre, sie sowohl gegen die Ermächtigungsnorm (§ 728 Abs 3 RVO) als auch gegen Art 3 GG verstoßen würde und deshalb unwirksam wäre. Er hat dies aber im dortigen Fall nicht grundsätzlich aussprechen können, weil der Revisionskläger in dem vorhergehenden Verfahren sich lediglich auf allgemeines Vorbringen beschränkt hat ohne für den konkreten Fall darzulegen, daß und weshalb das Vierfache des Beitragssatzes angesichts der ihm bekannt gewordenen Unfallzahlen oder anteiligen Schadenssummen ganz offensichtlich zu hoch sei. Dieser hat stattdessen selbst eingeräumt, daß die nicht gewerbsmäßigen Unternehmer tatsächlich ein Vielfaches an Aufwendungen je Mark gemeldeter Lohnsumme verursachen dürften. Eigene Feststellungen waren aber dem Senat verwehrt; andererseits ist er an die nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG gebunden (§ 163 SGG). Zu diesen Fragen hat das LSG hier keine Stellung angenommen. Der Senat brauchte wegen der oben erwähnten Divergenz zur Rechtsprechung des BGH nicht den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anzurufen. Denn wenn die weiteren Ermittlungen eine nicht sachgerechte Beitragsgestaltung ergeben sollten, so wäre - wie bereits ausgeführt - auch einfaches Recht, nämlich die Vorschrift des § 728 Abs 3 RVO, verletzt. Nach alledem war die Revision zuzulassen.

Auf die anliegende "Rechtsmittelbelehrung" wird verwiesen. das Vierfache des sonst maßgebenden Beitragssatzes fordert, weil die von ihnen veranlaßten Bauarbeiten an Häusern, deren Eigentümer sie sind, nicht gewerbsmäßig durchgeführt wurden. Klage und Berufung gegen die von der Beklagten erlassenen Unfallversicherungsbeitragsbescheide waren ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Rücksicht auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 13. Februar 1975 - 8 RU 119/73 - die Auffassung vertreten, eine Differenzierung in der Beitragserhebung zwischen gewerbsmäßig und nicht gewerbsmäßig ausgeführten Bauarbeiten verstoße weder gegen § 728 Abs 3 RVO noch gegen Artikel 3 des Grundgesetzes (GG).

Das LSG hat die Revision nicht zugelassen. Mit der dagegen eingelegten Beschwerde beantragt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Zur Begründung verweist er ua darauf, daß der Senat zwar die Verfassungsmäßigkeit bejaht habe, die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde jedoch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angenommen und von diesem eine umfassende Sachaufklärung veranlaßt worden sei, wie sich aus der Aufklärungsverfügung des Vorsitzenden des 1. Senats des BVerfG vom 24. Juni 1975 ergebe.

Die Beschwerde ist zulässig. Zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit gehört nach § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG), daß in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt wird. Auch ist die zu entscheidende Rechtsfrage klar zu bezeichnen und es muß ersichtlich sein, weshalb ihrer Klärung eine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das gilt auch, wenn die Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift behauptet wird; wobei allerdings die bloße Behauptung nicht ausreicht sondern vielmehr dargetan sein muß, welche Vorschrift des GG verletzt ist und aus welchen Gründen. Diesen Anforderungen genügt bei weiter Auslegung der Vorschrift die Beschwerdebegründung des Klägers, insbesondere wenn man die Aufklärungsverfügung des Vorsitzenden des 1. Senats des BVerfG, die der Kläger mit überreicht hat, berücksichtigt.

Die Beschwerde ist auch begründet, denn die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). In Übereinstimmung mit dem Beschluß des 11.Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. August 1975 - 11 BA 8/75 - vermag auch der erkennende Senat nicht der Meinung des Bundesgerichtshofes (BGH) zu folgen, daß die Frage der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht rechtfertigen könne (RzW 1964, 225; 1967, 378). Der BGH begründet seine Ansicht damit, eine solche Zulassung verzögere nur das Verfahren, weil gegen eine die Verfassungsmäßigkeit bejahende Entscheidung noch der Weg der Verfassungsbeschwerde zum BVerfG offen stehe. Die Verfassungswidrigkeit könne nur vom BVerfG ausgesprochen werden. Dieses könne aber auch angerufen werden, wenn die Revision nicht zugelassen werde. Dem hat der 11. Senat jedoch zutreffend entgegengehalten, daß das BVerfG auch bei Fragen der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes, wenn diese Frage von grundsätzlicher Bedeutung ist, vor der Einlegung der Verfassungsbeschwerde zur Erschöpfung des Rechtsweges die Einleitung der Nichtzulassungsbeschwerde verlangt (BVerfG 16, 3, vgl auch 21, 167). Demgemäß schließt das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die Zulassung einer Revision zur grundsätzlichen Klärung der Verfassungs*-mäßigkeit bzw -Widrigkeit einer Vorschrift nicht aus (vgl BVerwG Buchholz 448.3 § 7 USG, Nr 1 sowie 232 § 90 Bundesbeamtengesetz - BBG - Nr 14 und 235.16 LBesG Niedersachsen § 5 Nr 1).

Die Entscheidung des erkennenden Senats vom 13. Februar 1975 - 8 RU 119/73 -, die zur gleichen Rechtsfrage ergangen ist, steht der Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht entgegen. Der Senat hat vielmehr in diesem Urteil selbst darauf hingewiesen, daß dann, wenn die Satzung einer Bau-Berufsgenossenschaft (BG) für die nicht gewerbsmäßigen Unternehmer ganz allgemein die Erhebung des Vierfachen des sonst maßgebenden Beitragssatzes vorsieht, obwohl eine solche Beitragsbelastung unter Würdigung aller maßgebenden Sachgesichtspunkte auch nicht annähernd gerechtfertigt wäre, sie sowohl gegen die Ermächtigungsnorm (§ 728 Abs 3 RVO) als auch gegen Art 3 GG verstoßen würde und deshalb unwirksam wäre. Er hat dies aber im dortigen Fall nicht grundsätzlich aussprechen können, weil der Revisionskläger in dem vorhergehenden Verfahren sich lediglich auf allgemeines Vorbringen beschränkt hat ohne für den konkreten Fall darzulegen, daß und weshalb das Vierfache des Beitragssatzes angesichts der ihm bekannt gewordenen Unfallzahlen oder anteiligen Schadenssummen ganz offensichtlich zu hoch sei. Dieser hat stattdessen selbst eingeräumt, daß die nicht gewerbsmäßigen Unternehmer tatsächlich ein Vielfaches an Aufwendungen je Mark gemeldeter Lohnsumme verursachen dürften. Eigene Feststellungen waren aber dem Senat verwehrt; andererseits ist er an die nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG gebunden (§ 163 SGG). Zu diesen Fragen hat das LSG hier keine Stellung angenommen. Der Senat brauchte wegen der oben erwähnten Divergenz zur Rechtsprechung des BGH nicht den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anzurufen. Denn wenn die weiteren Ermittlungen eine nicht sachgerechte Beitragsgestaltung ergeben sollten, so wäre - wie bereits ausgeführt - auch einfaches Recht, nämlich die Vorschrift des § 728 Abs 3 RVO, verletzt. Nach alledem war die Revision zuzulassen.

Auf die anliegende "Rechtsmittelbelehrung" wird verwiesen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654589

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