Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit der Differenzierung der Krankenversicherungsbeiträge freiwilliger Mitglieder. Verteilung der Beitragslast. Vertrauensschutz

 

Orientierungssatz

1. Daß die Beiträge gemäß § 385 Abs 1 S 1 Halbs 1 RVO allein in Hundertsteln des Grundlohns (Beitragssatz) zu erheben sind und eine Familienhilfeberechtigung für Angehörige außer Betracht bleibt, ist mit dem GG vereinbar.

2. Es führt zu keiner verfassungswidrigen Ungleichbehandlung, daß freiwillige Mitglieder ihren Beitrag in voller Höhe allein tragen müssen, während anderen Versicherten in Gestalt des Arbeitgeber-Anteils oder eines Beitragszuschusses ein Teil der Beitragslast abgenommen wird.

3. Durch die lange bestehende, nach dem Urteil des BSG vom 15.5.1984 12 RK 59/81 = BSGE 56, 259 jedoch rechtswidrige Satzungsregelung mit ihrer Differenzierung nach dem Anspruch auf Familienhilfe ist keine verfassungsrechtlich geschützte Position (Art 14, Art 20 GG) mit dem Inhalt erworben worden, daß die bisherige Regelung bestehen bleiben müßte. Niemand war verfassungsrechtlich auch nicht davor geschützt, daß die Krankenkasse dem Urteil vom 15.5.1984 mit Wirkung vom 1.1.1985 Rechnung trug und das für einzelne zu einer Beitragserhöhung führte. Eine Übergangsregelung, die die Anpassung hinausgezögert und die rechtswidrige Begünstigung der freiwillig Versicherten ohne Angehörige noch eine gewisse Zeit erhalten hätte, war hier weder unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes noch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes geboten.

 

Normenkette

RVO § 385 Abs 1 S 1 Halbs 1; GG Art 14 Abs 1; GG Art 20 Abs 3; GG Art 3 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 24.06.1987; Aktenzeichen L 9 Kr 45/86)

 

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Der Kläger stützt sie darauf, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) habe. Eine solche kommt ihr jedoch nicht zu.

Der Senat hat am 15. Mai 1984 entschieden, daß die Differenzierung der Beiträge freiwilliger Mitglieder in der Satzung der Beklagten danach, ob die Versicherten Angehörige mit Anspruch auf Familienhilfe haben oder nicht, gegen Bundesrecht verstößt und daher rechtswidrig ist (BSGE 56, 259 = SozR 2200 § 385 Nr 8 = SGb 1985, 431 mit Anm Martens). In dieser Entscheidung hat der Senat ausgeführt, daß nach Bundesrecht für die pflichtversicherten und die freiwillig versicherten Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen eine unterschiedliche Beitragsbelastung nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen zulässig ist und hierzu eine Differenzierung nach dem Familienstand und der Zahl der familienhilfeberechtigten Versicherten nicht gehört (BSGE 56, 259, 260/261). Zur Unzulässigkeit gesetzlich nicht vorgesehener Beitragssatzermäßigungen ist auch auf das Urteil des 8. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. Februar 1984 (BSGE 56, 191 = SozR 2200 § 385 Nr 6) zu verweisen. An seiner Auffassung hält der Senat auch unter Berücksichtigung der Ausführungen von Martens fest. Daß die Beiträge gemäß § 385 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) allein in Hundertsteln des Grundlohns (Beitragssatz) zu erheben sind und eine Familienhilfeberechtigung für Angehörige außer Betracht bleibt, ist auch mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Das Gesetz verwirklicht insofern den Familienlastenausgleich als wesentliches Element der sozialen Krankenversicherung und vernachlässigt insoweit in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise Ungleichheiten, die bei strenger Verwirklichung allein des Versicherungsprinzips berücksichtigt werden müßten. Zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung führt es auch nicht, daß der Kläger seinen Beitrag in voller Höhe allein tragen muß, während anderen Versicherten in Gestalt des Arbeitgeber-Anteils oder eines Beitragszuschusses ein Teil der Beitragslast abgenommen wird. Der Kläger hat im Prinzip Anspruch auf die gleichen Leistungen wie diese anderen Versicherten und daher auch gleich hohe Beiträge zu entrichten, wie sie den Krankenkassen im Ergebnis aus der Versicherung derjenigen zufließen, die einen Arbeitgeber-Anteil oder einen Beitragszuschuß erhalten. Daß der Kläger nicht zu einem der durch solche Beitragszuschuß-Regelungen begünstigten Personenkreise gehört, beruht auf sachgerechten Abgrenzungen der so begünstigen Personenkreise und rechtfertigt keine Ermäßigung seines Beitrages. Die von ihm in erster Linie gestellte Frage, ob § 385 Abs 1 Satz 1 RVO in seinem Sinne verfassungskonform auszulegen oder gegen Art 3 Abs 1 GG verstößt, wird daher vom Senat verneint und nicht für klärungsbedürftig gehalten.

Die zweite in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Frage ist vom Senat bereits in dem erwähnten Urteil vom 15. Mai 1984 verneint worden. Sie geht dahin, ob im Rahmen des § 4 des Selbstverwaltungs- und Krankenversicherungsangleichungsgesetzes Berlin (SKAG Berlin) der § 11 Abs 1 des Gesetzes zur Anpassung des Rechts der Sozialversicherung in Berlin an das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Recht auch insoweit fortgilt, als in der letztgenannten Vorschrift eine Satzungsermächtigung für die Beklagte hinsichtlich der Ausgestaltung der Beitragsbemessungsbestimmungen für ihre freiwilligen Mitglieder abweichend vom Bundesrecht enthalten ist. Die Ausführungen der Beschwerdebegründung geben dem Senat keinen Anlaß, die Frage als in einem weiteren Revisionsverfahren überprüfungsbedürftig anzusehen. An seinen Ausführungen in BSGE 56, 258, 264 dazu, daß bei einer Anlehnung des § 4 SKAG Berlin an die Systematik der RVO der "Umfang der Versicherung" (Erster Abschnitt, §§ 165 bis 178 des Zweiten Buches der RVO) das Beitragsrecht nicht umfaßt, hält der Senat fest. Denn das Beitragsrecht ist in einem gesonderten Abschnitt, dem Sechsten Abschnitt (§§ 380 bis 405) des Zweiten Buches der RVO, fernab vom "Umfang der Versicherung" geregelt. Unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung sieht der Senat ferner keinen Anlaß, sein (aaO S 264/265) aus der Entstehungsgeschichte belegtes Argument zu korrigieren, daß nur die für die Versicherten günstigeren Bestimmungen des Landes Berlin weitergelten sollten, hierzu aber die im früheren Rechtsstreit angegriffene Differenzierung nach dem Anspruch auf Familienhilfe nicht gehört.

Schließlich hat die Rechtssache auch wegen der weiter aufgeworfenen Fragen keine grundsätzliche Bedeutung. Der Kläger hat durch die lange bestehende, nach dem Urteil vom 15. Mai 1984 jedoch rechtswidrige Satzungsregelung mit ihrer Differenzierung nach dem Anspruch auf Familienhilfe keine verfassungsrechtlich geschützte Position (Art 14, Art 20 GG) mit dem Inhalt erworben, daß die bisherige Regelung bestehen bleiben müßte. Er war verfassungsrechtlich auch nicht davor geschützt, daß die Beklagte dem Urteil vom 15. Mai 1984 mit Wirkung vom 1. Januar 1985 Rechnung trug und das für ihn zu einer Beitragserhöhung führte. Eine Übergangsregelung, die die Anpassung hinausgezögert und die rechtswidrige Begünstigung der freiwillig Versicherten ohne Angehörige noch eine gewisse Zeit erhalten hätte, war hier weder unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes noch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes geboten. Immerhin sind dem Kläger bis Ende 1984 die Vorteile der früheren Regelung erhalten geblieben.

Da sich die Beschwerde als unbegründet erwies, war sie zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663401

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