Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage. Klärungsbedürftigkeit. Abzug von Kirchensteuer bei Berechnung des Arbeitslosengelds. Divergenz
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Revisionszulassungsbeschwerde muss einen der in § 160 Abs. 2 SGG genannten Zulassungsgründe hinreichend darlegen bzw. bezeichnen.
2. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (st.Rspr.; vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr 31, 60 und 65; SozR 3-1500 § 160a Nr 16).
3. Die Ausführungen zur der Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage – ob es sich beim Abzug von Kirchensteuer im Zusammenhang mit der Berechnung von Arbeitslosengeld um einen gewöhnlich anfallenden Entgeltabzug i.S.v. § 136 SGB III handelt – sind nicht schlüssig, wenn ausgeführt wird, dass der neueren Rechtsprechung des BSG zu dieser Frage widersprochen worden sei, ein ausdrücklicher Widerspruch aber sich den zum Nachweis benannten Kommentierungen gerade nicht entnehmen lässt.
4. Um eine Divergenz i.S.v. § 160 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGG zu bezeichnen, hat die Beschwerdebegründung einen Widerspruch im Grundsätzlichen oder ein Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze in der Entscheidung des LSG einerseits und in einer Entscheidung z.B. des BSG andererseits aufzuzeigen (st.Rspr.; vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr 67).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2, § 160a Abs. 2 Sätze 3, 2 Nrn. 1-2; SGB III § 136
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Juli 2003 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig, da in ihrer Begründung keiner der in § 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) genannten Zulassungsgründe entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt bzw bezeichnet ist.
1. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31, 60 und 65; SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN – stRspr; BVerwG NJW 1999, 304; vgl auch Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage durch das Revisionsgericht notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Beschwerdebegründung zum Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht.
a) Zur behaupteten Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage, ob es sich beim Abzug von Kirchensteuer im Zusammenhang mit der Berechnung von Arbeitslosengeld (Alg) um einen gewöhnlich anfallenden Entgeltabzug iS des § 136 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) handelt, räumt der Beschwerdeführer ein, dass das Bundessozialgericht (BSG) über die Frage mehrfach entschieden hat, macht jedoch geltend, den BSG-Entscheidungen sei in erheblicher Weise widersprochen worden. Die hierzu der Beschwerdebegründung zu entnehmenden Ausführungen sind jedoch nicht schlüssig. Soweit auf die Kommentierung von Valgolio im Kommentar Hauck/Noftz, “Stand August 2003”, verwiesen wird, ist nicht beachtet, dass diese Kommentierung aus dem Jahr 1998 stammt und sich folglich mit der neueren BSG-Rechtsprechung – insbesondere Urteil des Senats vom 25. Juni 2002, SozR 3-4300 § 136 Nr 1 – nicht befassen kann. Soweit die Beschwerdebegründung darüber hinaus auf die Erläuterungen von Gagel zu § 136 SGB III verweist und hieraus zitiert, handelt es sich ebenfalls um Einwendungen gegen die frühere Rechtsprechung – bis 1996 –, nicht gegen die Rechtsprechung aus dem Jahre 2002, die in Kenntnis der Kommentarmeinungen, auf die sich die Beschwerde beruft, ergangen ist. Richtig ist zwar, dass die frühere Kommentierung von Gagel in der nunmehrigen Fassung der Ergänzungslieferung November 2003 von Pilz übernommen worden ist und von diesem zusätzlich auch auf das Urteil des Senats vom 25. Juni 2002 (aaO) hingewiesen wird, allerdings nicht iS eines substantiierten Widerspruchs gegen die BSG-Rechtsprechung, sondern lediglich iS des zutreffenden Hinweises, dass eine deutliche Mehrheit nunmehr solange bejaht wird, als der Anteil der Arbeitnehmer nicht unter 55 vH gesunken ist. Dem Vortrag der Beschwerdebegründung kann somit nicht entnommen werden, der BSG-Rechtsprechung zur Einbeziehung der Kirchensteuer sei in erheblicher Weise widersprochen worden.
b) Unzureichend sind auch die Ausführungen der Beschwerdebegründung zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob der Abzug von Kirchensteuer bei der Feststellung des Leistungsentgelts bezogen auf den Zeitraum 2001 bis 2003 noch verfassungsgemäß ist. Dass die Frage trotz der vorliegenden Rechtsprechung des BSG (ua Urteil vom 25. Juni 2002, aaO) klärungsbedürftig sein könnte, wird nicht schlüssig dargelegt. Die Beschwerdebegründung vertritt insoweit lediglich die Auffassung, die BSG-Rechtsprechung überzeuge nicht und widerspreche dem Beschluss des BVerfG vom 23. März 1994 (BVerfGE 90, 226 ff = SozR 3-4100 § 111 Nr 6), was vorrangig mit Hinweisen auf die Auffassungen von Valgolio und Gagel begründet wird. Diesen ist jedoch – wie erwähnt – ein ausdrücklicher Widerspruch gegen die neuere Rechtsprechung des BSG nicht zu entnehmen. Die weiteren Hinweise der Beschwerdebegründung auf die Beiträge von Fichte (NZS 1994, 419 ff) und Ernst (AuA 1993, 268 ff) sind einerseits unsubstantiiert und bereits insoweit ungeeignet iS der Darlegung grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG; andererseits sind auch diese Stimmen der Literatur durch die spätere BSG-Rechtsprechung überholt, sodass mit ihnen ein noch bestehender oder neu entstandener Klärungsbedarf nicht schlüssig aufgezeigt werden kann. Gleiches gilt für den Hinweis der Beschwerdebegründung auf den Vorlagebeschluss des Sozialgerichts (SG) Hamburg aus dem Jahre 1993. Schließlich wird auch mit dem Vortrag, das SG Chemnitz habe in mehreren Entscheidungen (ua vom 6. August 2003) entgegen der Rechtsprechung des BSG den Abzug der Kirchensteuer als unzulässig angesehen, die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Frage nicht formgerecht dargelegt, da nur kurze Hinweise auf erstinstanzliche Entscheidungen ohne näheres Eingehen auf die jeweils zu Grunde liegende Fallgestaltung nicht geeignet sind, die Rechtsprechung des BVerfG und des BSG ernsthaft in Frage zu stellen.
c) Soweit geltend gemacht wird, es gehe vorliegend um die Rechtsfrage, ob und unter welchen Bedingungen statistische Hochrechnungen Grundlage einer Gerichtsentscheidung sein können, ist bereits zweifelhaft, ob damit eine Frage aufgeworfen ist, die in allgemeiner Form beantwortet werden kann. Jedenfalls fehlt es aber an hinreichenden Ausführungen zur Klärungsfähigkeit der formulierten Frage. Um die Klärungsfähigkeit formgerecht darzulegen, muss der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darstellen, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Insoweit genügt nicht der Vortrag der Beschwerdebegründung, die Beantwortung der Frage sei entscheidungserheblich, “da im Fall, dass statistische Hochrechnungen grundsätzlich, oder zumindest in Fällen, in denen zum Zeitpunkt der Entscheidung keine weiteren Daten vorliegen, zum Gegenstand der Gerichtsentscheidung gemacht werden können, vorliegend die vom Statistischen Bundesamt errechneten Daten zur Grundlage der Entscheidung hätten genommen werden müssen mit der Folge, dass die vom Bundessozialgericht festgesetzte 55 %-Marke unterschritten ist, dh im entscheidungserheblichen Zeitraum 2001 maximal noch 54,3 % der Arbeitnehmer einer zum Kirchensteuerabzug berechtigten Kirche angehörten”. Denn nach der Rechtsprechung des BSG wird die dem Gesetzgeber vom BVerfG auferlegte Handlungspflicht erst ausgelöst, wenn der Gesetzgeber auf Grund statistischer Erkenntnisse davon ausgehen muss, dass nicht mehr eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer zur Erhebung von Kirchensteuer ermächtigten Kirche angehört (SozR 3-4300 § 136 Nr 1 S 4). Da die vom Landessozialgericht (LSG) verwerteten Erkenntnisse des Statistischen Bundesamts im Mai 2003 bekannt geworden sind, hätte die Beschwerde zur Darlegung der Klärungsfähigkeit mithin ausführen müssen, der Gesetzgeber sei in der Zeit nach Mai 2003 verpflichtet gewesen, die gesetzlichen Regelungen zur Bestimmung des Leistungsentgelts iS des § 136 SGB III in der Weise (rückwirkend) zu ändern, dass auch im vorliegenden Streitfall dem Antrag des Klägers auf Gewährung eines höheren Alg stattzugeben wäre. Derartigen Vortrag enthält die Beschwerdebegründung nicht; er wäre wohl auch kaum möglich gewesen.
2. Um eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG zu bezeichnen, hat die Beschwerdebegründung einen Widerspruch im Grundsätzlichen oder ein Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze in der Entscheidung des LSG einerseits und in einer Entscheidung zB des BSG andererseits aufzuzeigen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67). Dabei muss die Beschwerdebegründung deutlich machen, dass in der angefochtenen Entscheidung eine sie tragende Rechtsansicht entwickelt ist und nicht etwa nur ungenaue oder unzutreffende Rechtsausführungen oder Rechtsirrtum im Einzelfall die Entscheidung bestimmen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67; BSG 27. Juni 2002 – B 11 AL 87/02 B –). Auch diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Ob die Behauptung zutrifft, das BSG habe in den auf Seite 15 der Beschwerdebegründung zitierten Entscheidungen einen Rechtssatz des Inhalts aufgestellt, dass “für die Zeiträume zwischen den Ergebnissen der Lohn- und Einkommensteuerstatistik der Anteil der Arbeitnehmer, die Kirchensteuer zahlen, durch statistische Hochrechnung zu ermitteln sei”, kann dahinstehen. Das LSG hat jedenfalls nicht den ihm von der Beschwerdebegründung zugeschriebenen Rechtssatz aufgestellt, für die genannten Zeiträume sei der Anteil der kirchensteuerzahlenden Arbeitnehmer nicht durch statistische Hochrechnungen zu ermitteln. Das LSG hat lediglich die Auffassung vertreten, die ihm bislang vorliegenden Zahlen – die auch “statistische Hochrechnungen” enthalten – seien nicht ausreichend iS der Überzeugungsbildung, die der Kirche angehörenden Arbeitnehmer stellten nicht mehr eine deutliche Mehrheit iS der höchstrichterlichen Rechtsprechung dar. Damit hat das LSG der Auffassung des BSG gerade nicht – wie es erforderlich wäre, um den Zulassungsgrund der Divergenz in Erwägung zu ziehen – grundsätzlich widersprochen; es hat vielmehr die BSG-Rechtsprechung auf den von ihm zu entscheidenden konkreten Fall angewandt. Im Übrigen wird von der Beschwerdebegründung nicht aufgezeigt, dass die Entscheidung im konkreten Fall anders hätte ausfallen können, hätte das LSG aus den seit Mai 2003 vorliegenden statistischen Erkenntnissen den Schluss gezogen, der Anteil der Kirchenmitglieder unter den Arbeitnehmern sei bereits auf unter 55 vH gesunken. Auch dann wäre wiederum nicht zu erkennen, inwiefern der Gesetzgeber in der Zeit nach Mai 2003 zu einer das Klagebegehren stützenden gesetzlichen Regelung verpflichtet gewesen sein könnte.
3. Ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG sind die behaupteten Verfahrensmängel. Da im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden kann, genügt der Vortrag der Beschwerdebegründung zur angeblich fehlerhaften Beweiswürdigung des LSG offensichtlich nicht den gesetzlichen Anforderungen; das Vorliegen eines Ausnahmefalles ist jedenfalls nach dem Vorbringen der Beschwerdebegründung, die zum Teil unzutreffende Zitate enthält, nicht ersichtlich (Entscheidungen des BVerfG vom 23. November 1995 sind nicht ergangen, die wohl gemeinte Entscheidung BVerfGE 83, 216 betrifft – auch soweit in ihr auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verwiesen ist – eine anders gelagerte Fallgestaltung, worauf die Beschwerdebegründung nicht eingeht; eine BSG-Entscheidung vom 24. Mai 1984 mit dem Aktenzeichen 2 RV 12/83 existiert nicht). Die Frage, ob das LSG gegen Regeln der Beweislast verstoßen hat, betrifft entgegen dem Vortrag der Beschwerdebegründung das materielle Recht (ua BSG SozR 1500 § 161 Nr 26). Auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht schlüssig bezeichnet, da die Begründung des LSG nur unvollständig wiedergegeben ist, ein Gericht – das den Vortrag der Beteiligten entgegengenommen hat – in den Entscheidungsgründen nicht auf jedes Vorbringen im Einzelnen ausdrücklich eingehen muss (BVerfG SozR 1500 § 62 Nr 13) und nach ständiger Rechtsprechung ein Gericht nicht schon vorab Hinweise auf eine mögliche Beweiswürdigung zum Nachteil eines Verfahrensbeteiligten geben muss (ua BSG SozR 1500 § 160 Nr 13; Beschluss des Senats vom 12. Februar 2002, B 11 AL 249/01 B). Bei allen Verfahrensfehlern fehlt es schließlich aus dem bereits oben unter 1.c und 2. genannten Grund (mögliche Handlungspflicht des Gesetzgebers erst ab Mai 2003) an Ausführungen dazu, dass die angefochtene Entscheidung auf dem jeweils geltend gemachten Fehler beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
4. Die unzulässige Beschwerde ist zu verwerfen (§§ 160a Abs 4 Satz 2, 169 SGG). Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen