Entscheidungsstichwort (Thema)
Statusfeststellungsverfahren. Streitgegenstand einer erhobenen Anfechtungs- und Feststellungsklage
Leitsatz (amtlich)
Streitgegenstand einer nach einem Statusfeststellungsverfahren erhobenen Anfechtungs- und Feststellungsklage ist grundsätzlich allein die Sozialversicherungspflicht aufgrund von Beschäftigung und nicht zugleich die Rentenversicherungspflicht als Selbstständiger.
Normenkette
SGB 4 § 7 Abs. 1; SGB 4 § 7a Abs. 1; SGB 6 § 2 S. 1 Nr. 1; SGG § 54 Abs. 1, § 55 Abs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 5, § 123
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 8. Februar 2016 aufgehoben, soweit darin festgestellt wird, dass der Kläger zu 2. in seiner Tätigkeit als Übungsleiter für den Kläger zu 1. von Oktober 2009 bis Sommer 2014 nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2 S 1 Nr 1 SGB VI versicherungspflichtig war.
Der Kläger zu 1. trägt für sein Verfahren vor dem Bundessozialgericht die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten und Beschwerdeführerin. Ansonsten sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob der Kläger zu 2. in seiner Tätigkeit als Übungsleiter für den Kläger zu 1., einem Sportverein, wegen Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.
Die Kläger beantragten bei der beklagten Rentenversicherung bezüglich der Tätigkeit des Klägers zu 2. für den Kläger zu 1. die Statusfeststellung nach § 7a SGB IV. Daraufhin stellte die Beklagte fest, dass die Tätigkeit für den Kläger zu 1. "seit dem 01.10.2009 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird. In dem Beschäftigungsverhältnis besteht Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Die Versicherungspflicht beginnt am 01.10.2009" (Bescheide vom 28.9.2010). Die Widersprüche der Kläger gegen die ihnen erteilten Verwaltungsakte wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheide vom 2.5.2011). Die Klagen, mit denen die Kläger beantragt haben, die genannten Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass zwischen den Klägern ein freies Mitarbeiterverhältnis und kein Arbeitsverhältnis bestehe, hat das SG in getrennten Verfahren abgewiesen (Urteile vom 31.7.2013). Auf die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Berufungen der Kläger hat das LSG die Urteile des SG aufgehoben und die Bescheide der Beklagten in Gestalt der Widerspruchsbescheide "abgeändert sowie festgestellt, dass der Kläger zu 2) in seiner Tätigkeit als Übungsleiter für den Kläger zu 1) von Oktober 2009 bis Sommer 2014 selbständig tätig und nicht versicherungspflichtig war". In den Gründen hat es ausgeführt, der Kläger zu 2. habe nicht in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden und "daher nicht aus diesem Grund der Versicherungspflicht in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung" unterlegen. Es sei "nichts dafür ersichtlich, dass er (der Kläger zu 2) in der selbständigen Tätigkeit der Versicherungspflicht" unterlag. Zwar seien nach § 2 S 1 Nr 1 SGB VI selbstständige Lehrer grundsätzlich rentenversicherungspflichtig, jedoch stelle die Tätigkeit des Klägers zu 2. keine Lehrertätigkeit in diesem Sinne dar (Urteil vom 8.2.2016).
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG, soweit dieses über die (Renten-)Versicherungspflicht des Klägers zu 2. aufgrund selbstständiger Tätigkeit entschieden hat. Sie trägt eine Verletzung von Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes vor (§§ 54 Abs 1, 55, 78 Abs 1 S 1, 123 und 29 SGG). Die Beklagte macht als Verfahrensfehler nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG insbesondere einen Verstoß gegen den Grundsatz "ne ultra petita" (§ 123 SGG) geltend. Darüber hinaus rügt sie eine Verletzung ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art 101 Abs 1 S 2 GG.
II. Die Beschwerde der Beklagten ist zulässig und begründet. Insbesondere konnte die Beschwerde auf den streitigen Teil begrenzt werden, weil hierzu ein eigenständiger Ausspruch des Berufungsgerichts vorliegt und damit Teilbarkeit gegeben ist. Das Urteil des LSG ist insofern gemäß § 160a Abs 5 SGG aufzuheben.
Gemäß § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, also ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (dazu 1.). Die Kompetenz des Beschwerdegerichts, ein verfahrensfehlerhaftes Urteil allein (isoliert) aufzuheben, besteht dann, wenn bereits dadurch die Sache abschließend entschieden wird, also eine Zurückverweisung zwecks weiterer Entscheidung des LSG ausscheidet (dazu 2.).
1. Das LSG ist mit seiner Feststellung, der Kläger zu 2. sei als selbstständiger Lehrer nicht nach § 2 S 1 Nr 1 SGB VI rentenversicherungspflichtig tätig gewesen, über den Streitgegenstand des Berufungsverfahrens hinausgegangen und hat damit gegen den Grundsatz des "ne ultra petita" (§ 123 SGG) verstoßen. Ob darüber hinaus - wie von der Beklagten gerügt - auch eine Verletzung weiterer Verfahrensvorschriften oder des Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art 101 Abs 1 S 2 GG vorliegt, kann dahingestellt bleiben.
a) Der Streitgegenstand der von den Klägern zum SG erhobenen Anfechtungs- und Feststellungsklagen betraf allein die Entscheidungen der Beklagten über die Versicherungspflicht des Klägers zu 2. im Rahmen sog Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV in den Bescheiden vom 28.9.2010 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2.5.2011. Die Beklagte stellte dort die Versicherungspflicht des Klägers zu 2. in seiner Tätigkeit für den Kläger zu 1. in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung wegen Beschäftigung nach § 7 Abs 1 SGB IV fest (zum Inhalt einer Feststellung nach § 7a im Einzelnen vgl BSG Urteil vom 4.6.2009 - B 12 KR 31/07 R - SozR 4-2400 § 7a Nr 3). Auf die Aufhebung dieser Bescheide und die Feststellung des Nichtbestehens einer Sozialversicherungspflicht aufgrund von Beschäftigung waren die Klagen gerichtet.
Das SG hat das Begehren der Kläger ungeachtet der missverständlichen Einleitung seines Tatbestandes im Urteil vom 31.7.2013 ("…Versicherungspflicht im Rahmen abhängiger oder selbstständiger Tätigkeit…") auch in diesem Sinne verstanden und ausgeurteilt. Zutreffend hat es insbesondere die in der mündlichen Verhandlung vom 31.7.2013 gestellten Anträge, die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass zwischen den Klägern "ein freies Mitarbeiterverhältnis und kein Arbeitsverhältnis bestehe", nicht im Sinne einer Erweiterung des Klagebegehrens verstanden. Die Kläger haben damit erkennbar nicht (erstmals) die Frage nach einer aus dem behaupteten freien Mitarbeiterverhältnis sich ihrerseits ergebenden Versicherungspflicht als Selbstständiger aufgeworfen, sondern sich im Gegenteil darauf beschränkt, der Entscheidungsgrundlage der Beklagten ("Beschäftigung") den hiermit unvereinbaren Umstand einer selbstständigen Tätigkeit entgegenzusetzen. Soweit der bereits vor dem SG rechtskundig vertretene Kläger zu 1. im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vorträgt, sein Begehren habe sich auf das Nichtbestehen einer "wie immer gearteten Sozialversicherungspflicht" bezogen, gaben die angegriffenen Verwaltungsakte hierfür objektiv keinen Anlass. Der Inhalt des zugrunde liegenden Anfrageverfahrens nach § 7a SGB IV war - wie bereits ausgeführt - allein die Klärung der Frage der Versicherungspflicht wegen Beschäftigung. Eine zusätzliche Feststellung des (Nicht-)Bestehens von Rentenversicherungspflicht als Selbstständiger, die eine eigene Prüfung ua der Voraussetzungen der § 2 S 1, § 5 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB VI erfordert, war schon nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens und deshalb grundsätzlich auch nicht vom Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens umfasst (vgl BSG Urteil vom 28.9.2011 - B 12 R 17/09 R - USK 2011-125, Juris RdNr 14). Dem Klagebegehren ist ein Hinweis auf ein dennoch weitergehendes Rechtsschutzziel nicht zu entnehmen. Insbesondere hat der Klägervertreter mehrfach allein deshalb ausdrücklich auf die Entscheidung des BSG vom 22.6.2005 (B 12 RA 6/04 R - SozR 4-2600 § 2 Nr 1) Bezug genommen, um hieraus die Einordnung auch der vorliegend in Frage stehenden Erwerbstätigkeit als selbstständig abzuleiten, und erkennbar nicht, um die dort vom BSG angenommene Versicherungspflicht eines selbstständigen Aerobic-Trainers als Lehrer zu thematisieren.
Der Streitgegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens ist durch die jeweils uneingeschränkte Einlegung der Berufung unverändert vor das LSG gelangt. Im Berufungsverfahren haben beide Kläger ihr Vorbringen nicht geändert oder erweitert. Der Kläger zu 1. hat schriftsätzlich die bereits vor dem SG gestellten Anträge inhaltsgleich wiederholt. In der mündlichen Verhandlung vom 9.6.2015 sind Anträge nicht gestellt worden. Der Kläger zu 2. hat dort ausweislich des Protokolls erklärt, er sei weiterhin für den Kläger zu 1. tätig. Das Verhältnis habe sich dahingehend geändert, dass er seit etwa einem Jahr in einem abhängigen Verhältnis stehe. Das ohne mündliche Verhandlung ergangene angegriffene Urteil fasst die Anträge der Kläger "sinngemäß" in der Weise zusammen, dass diese beantragen, die Urteile des SG Hamburg vom 31.7.2013 aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom 28.9.2010 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2.5.2011 abzuändern sowie festzustellen, dass der Kläger zu 2. in seiner Tätigkeit als Übungsleiter für den Kläger zu 1. von Oktober 2009 bis Sommer 2014 nicht als abhängig Beschäftigter der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung, der Pflegeversicherung, der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.
b) Das Urteil des LSG geht über den damit von den Klägern bestimmten Streitgegenstand hinaus, indem es mit der Feststellung, der Kläger sei von Oktober 2009 bis Sommer 2014 selbstständig und nicht versicherungspflichtig gewesen, auch über die Versicherungspflicht als Selbstständiger entscheidet. Die Aussage, der Kläger zu 2. sei im ausgeurteilten Zeitraum "selbstständig tätig und nicht versicherungspflichtig" gewesen, beschränkt sich entgegen dem vordergründigen Wortlaut zwar nicht auf die Versicherungspflicht als Selbstständiger, doch ergibt sich aus den zur Auslegung heranzuziehenden Gründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 136 RdNr 5c) auf S 17 f unzweifelhaft, dass diese Frage jedenfalls mit entschieden werden sollte. Dort finden sich die Formulierungen, es sei "nichts dafür ersichtlich, dass (der Kläger zu 2.) in der selbstständigen Tätigkeit der Versicherungspflicht" unterlag und es seien zwar selbstständige Lehrer nach § 2 S 1 Nr 1 SGB VI grundsätzlich rentenversicherungspflichtig, jedoch stelle die Tätigkeit des Klägers zu 2. keine Lehrertätigkeit in diesem Sinne dar. Hierzu haben indessen weder die von den Klägern ausdrücklich bzw sinngemäß gestellten Anträge noch das ggf dahinter stehende Begehren iS des § 123 SGG Anlass gegeben. Auch das LSG bleibt jede Begründung für sein Vorgehen schuldig, sodass sich kaum erschließt, warum es die Möglichkeit ungenutzt gelassen hat, für eine aus seiner Sicht erforderliche Klarstellung des Klagebegehrens im Rahmen der (Fortsetzung der) mündlichen Verhandlung Sorge zu tragen.
Offenbleiben kann vorliegend, warum sich das LSG berechtigt gesehen hat, das Urteil des SG in vollem Umfang aufzuheben, die angegriffenen Bescheide nur jedoch begrenzt und mit teilweise unbestimmtem Umfang ("Sommer 2014") aufzuheben. Ebenso wie der mangelnden erstinstanzlichen Entscheidungskompetenz des LSG kommt eventuellen weiteren Mängeln insofern vorliegend neben dem sich aus § 123 SGG ergebenden Verbot, über die Frage der Versicherungspflicht als Selbstständiger im Rahmen des Rechtsstreits überhaupt zu entscheiden, keine gesonderte Bedeutung zu.
2. Das BSG entscheidet unter Teilaufhebung des LSG-Urteils selbst und sieht davon ab, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde im Falle des Vorliegens der - hier nach alledem gegebenen - Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen. Darüber hinaus kann das BSG nach ständiger Rechtsprechung zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen jedoch auch von einer Zurückverweisung absehen und sich auf die (teilweise) Aufhebung des LSG-Urteils beschränken, wenn feststeht, dass der zur Zulassung berechtigende Verfahrensmangel zur (teilweisen) Aufhebung des Urteils führt und mit dieser Aufhebung der Rechtsstreit abgeschlossen ist (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 13; vgl auch BSG SozR 4-1500 § 144 Nr 7 RdNr 13; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160a RdNr 19e mwN).
Von dieser Möglichkeit macht der Senat vorliegend Gebrauch, weil das angegriffene Urteil wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz "ne ultra petita" im Umfang der Feststellung des Nichtbestehens auch von Versicherungspflicht nach § 2 S 1 Nr 1 SGB VI aufzuheben ist. Zugleich ist der Rechtsstreit mit dieser Aufhebung abgeschlossen. Die Beklagte hat ihre Nichtzulassungsbeschwerde ausdrücklich auf Verfahrensmängel im Hinblick auf den aufzuhebenden Teil des Urteils beschränkt.
3. Die Kostenentscheidung zum Verfahren des Klägers zu 1. beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3 SGG iVm § 154 Abs 1, § 162 Abs 3 VwGO. Hinsichtlich des Verfahrens des Klägers zu 2. beruht die Kostenentscheidung auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen