Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehler. Amtsermittlungspflicht. Bezeichnung eines ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags. Angabe des Wortlauts und der Fundstelle des Beweisantrags. Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse. Aufgabe des Tatsachengerichts. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. Will die Nichtzulassungsbeschwerde einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Beschwerdegericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist.
2. Dafür ist in der Beschwerdebegründung zunächst der Wortlaut des Beweisantrags wiederzugeben, dem das LSG zu Unrecht nicht gefolgt sein soll, und dessen Fundstelle so genau zu bezeichnen, dass ihn das Beschwerdegericht und der Beschwerdegegner ohne Weiteres auffinden können.
3. Die Würdigung von Gutachtenergebnissen oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Sie ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2, §§ 103, 109, 128; ZPO § 403
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. September 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt einen höheren Grad der Behinderung (GdB).
Auf ihren Antrag stellte der Beklagte bei ihr zuletzt einen GdB von 30 fest (Bescheide vom 24.9.2012 und vom 17.12.2012, Widerspruchsbescheid vom 14.1.2013). Das dagegen von der Klägerin angerufene SG hat den Beklagten verurteilt, bei ihr einen GdB von 50 festzustellen und ihre weitergehende Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 23.10.2014).
Das LSG hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Soweit der auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG gehörte Sachverständige einen Gesamt-GdB von 80 vorgeschlagen habe, widerspreche dies ua den Grundsätzen der Versorgungsmedizinverordnung, weil der Sachverständige die von ihm angenommenen GdB für die einzelnen Funktionssysteme schlicht addiert habe (Urteil vom 28.9.2016).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe Verfahrensfehler begangen.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die behaupteten Verfahrensmängel nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall der Klägerin darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Beschwerdegericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Dafür ist in der Beschwerdebegründung zunächst der Wortlaut des Beweisantrags wiederzugeben, dem das LSG zu Unrecht nicht gefolgt sein soll, und dessen Fundstelle so genau zu bezeichnen, dass ihn das Beschwerdegericht und der Beschwerdegegner ohne Weiteres auffinden können (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160a RdNr 90 mwN). Schon daran fehlt es hier.
Zur Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags muss zudem auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu behaupten und zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit des Antrags zu prüfen und gegebenenfalls seine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausreichend zu begründen. Unbestimmte bzw unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahezulegen (vgl BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 33/11 R - NZS 2012, 230; BSG Beschluss vom 19.11.2009 - B 13 R 303/09 B - Beck RS 2010, 65789 = Juris RdNr 12). Wie das LSG in seinem Urteil zu Recht angenommen hat, fehlt im von der Klägerin gestellten Antrag auf Einholung eines Obergutachtens bereits die Angabe eines konkreten Beweisthemas. Hiermit hätte sich die Beschwerdebegründung auseinandersetzen müssen.
Unabhängig davon führt die Beschwerde auch nicht aus, warum sich das LSG vom Antrag der Klägerin zu weiterer Beweiserhebung auf medizinischem Gebiet hätte gedrängt sehen müssen. Die Würdigung von Gutachtenergebnissen oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Sie ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Insoweit hat die Beschwerde nicht substantiiert dargelegt, warum die Ergebnisse der bis dahin durchgeführten medizinischen Ermittlungen nicht ausreichten, um das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten zu erschüttern.
Die Beschwerde meint darüber hinaus, das LSG habe das rechtliche Gehör der Klägerin verletzt, weil es in keiner Weise auf die vom Gutachter nach § 109 SGG festgestellte deutliche Einschränkung der Gehfähigkeit eingegangen sei. Indes hat sich das LSG in seinem Urteil mehrfach mit dem genannten Gutachten beschäftigt; insbesondere sei der Gutachter zuletzt in der mündlichen Verhandlung von einer nur leichtgradigen Einschränkung der Lendenwirbelsäule ausgegangen, während er sonstige Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule nicht habe feststellen können (Seite 7 des LSG-Urteils). Damit setzt sich die Beschwerde nicht substantiiert auseinander. Art 103 Abs 1 GG schützt nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1, 12; 76, 93, 98). Letztlich wendet sich die Klägerin mit ihrem Vortrag gegen die Beweiswürdigung des LSG, die § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG indes der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160 RdNr 58 mwN).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10932372 |