Entscheidungsstichwort (Thema)
Wartefrist. Verzögerungsrüge. Besondere Sachurteilsvoraussetzung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Einhaltung der Wartefrist von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge stellt eine besondere Sachurteilsvoraussetzung der Entschädigungsklage dar, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist, weswegen eine vor Fristablauf erhobene Klage nach Ablauf der Frist nicht zulässig ist.
2. Eine Verzögerungsrüge muss bei dem Gericht erhoben werden, bei dem das (als unangemessen lang empfundene) Verfahren anhängig ist.
3. Verzögerungsrügen sind unbeachtlich, wenn bei deren Eingang noch kein Anhalt für eine Besorgnis der Verzögerung des Verfahrens gegeben war.
Normenkette
SGG § 73 Abs. 4, § 73a Abs. 1 S. 1, §§ 90, 160 Abs. 2; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 121 Abs. 1; GVG § 198 Abs. 3 Sätze 1-2, Abs. 5 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. Dezember 2018 Prozesskostenhilfe zu gewähren und Rechtsanwältin S. H. aus M. beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Der Kläger begehrt in der Hauptsache eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des Verfahrens S 13 AS 3025/13 vor dem SG München und des Verfahrens L 7 AS 37/16 vor dem LSG in Höhe von (insgesamt) 5900 Euro. Diesen Anspruch hat das LSG (Entschädigungsgericht) mit Urteil vom 6.12.2018 verneint. Die Entschädigungsklage sei unzulässig. Der Kläger habe die Wartefrist von sechs Monaten zwischen Erhebung der Verzögerungsrüge und Klageerhebung nicht eingehalten. In der Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens vor dem SG finde sich keine Verzögerungsrüge iS des § 198 Abs 3 S 1 GVG. Die Schreiben des Klägers vom 18.1.2016 (Berufungsschrift gegen den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid vom 23.12.2015 und Ablehnungsgesuch gegen die erstinstanzlich tätige Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit ≪S 13 AS 3025/13≫) sowie vom 4.1.2017 (Stellungnahme in einem einstweiligen Anordnungsverfahren vor dem SG München ≪S 46 AS 183/17 ER≫) enthielten zwar im Rahmen von Ausführungen zu anderen Themen auch Aussagen zur Verfahrensdauer. Sie seien aber schon deshalb nicht als eine das Ausgangsverfahren betreffende Verzögerungsrüge anzusehen, weil vom Kläger nicht dessen Beschleunigung verlangt worden sei. Selbst wenn man die Schreiben des Klägers vom 21.4.2016, 1.7.2016 und 8.7.2016 im Berufungsverfahren als Verzögerungsrüge auslegen wollte, wären diese unbeachtlich, weil sie nach § 198 Abs 3 S 2 GVG verfrüht erhoben worden seien. Beim Eingang dieser Schreiben habe kein Anlass für die Besorgnis bestanden, dass das Berufungsverfahren nicht in angemessener Zeit beendet werde. Denn es sei im Juli 2016 erst sechs Monate anhängig gewesen, und dieser Zeitraum sei bis auf den Monat März 2016 vollständig von richterlicher Aktivität geprägt gewesen. Als wirksame Verzögerungsrüge sei lediglich das Schreiben des Klägers vom 1.2.2017 anzusehen. Bezogen auf diese Verzögerungsrüge sei jedoch die Wartefrist des § 198 Abs 5 S 1 GVG nicht eingehalten. Der Kläger habe die Entschädigungsklage bereits am 29.6.2017 durch Übergabe eines entsprechenden Schreibens in der mündlichen Verhandlung des Berufungsverfahrens und damit innerhalb der bis zum 1.8.2017 laufenden sechsmonatigen Wartefrist erhoben.
Der Kläger hat beim BSG mit am 22.1.2019 eingegangenem Schreiben vom 17.1.2019 für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem ihm am 5.1.2019 zugestellten Urteil des Entschädigungsgerichts Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwältin S. H. aus M. beantragt. Er rügt, das Entschädigungsgericht hätte seine Entschädigungsklage nicht wegen Nichteinhaltung der sechsmonatigen Wartefrist zwischen Verzögerungsrüge und Klageerhebung als unzulässig abweisen dürfen. Denn er habe die Wartefrist eingehalten. Er habe eine Verzögerung früher angebracht und die Entschädigungsklage später erhoben als vom Entschädigungsgericht angenommen. Zu Unrecht habe das Entschädigungsgericht nur sein Schreiben vom 1.2.2017 als wirksame Verzögerungsrüge angesehen. Zudem habe er am 29.6.2017 noch gar keine Entschädigungsklage erhoben, sondern lediglich "Anträge zu mündlichen Verhandlungen eingereicht".
II
Der Antrag des Klägers, ihm PKH unter Beiordnung von Rechtsanwältin S. H. aus M. für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu gewähren, ist abzulehnen.
Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn ua die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es. Es ist nicht zu erkennen, dass ein beim BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen. Nach Durchsicht der Akten und unter Berücksichtigung der Ausführungen des Klägers in seinem Schreiben vom 17.1.2019 fehlen Anhaltspunkte dafür, dass er einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.
Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Auch ist nicht ersichtlich, dass das Entschädigungsgericht entscheidungstragend von Rechtsprechung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
Schließlich fehlt ein ausreichender Anhalt dafür, dass ein die Revisionszulassung rechtfertigender Verfahrensmangel des Entschädigungsgerichts bezeichnet werden könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Der Kläger rügt, das Entschädigungsgericht hätte die Entschädigungsklage nicht wegen Nichteinhaltung der Wartefrist nach § 198 Abs 5 S 1 GVG als unzulässig abweisen dürfen. Der mit diesem Vorbringen sinngemäß geltend gemachte Verfahrensmangel - Prozessurteil statt Sachurteil (vgl hierzu nur BSG Beschluss vom 30.10.2007 - B 2 U 272/07 B - Juris RdNr 6 mwN) - liegt jedoch nicht vor.
Nach § 198 Abs 5 S 1 GVG kann eine Klage zur Durchsetzung eines Entschädigungsanspruchs frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Einhaltung dieser Wartefrist stellt eine besondere Sachurteilsvoraussetzung der Entschädigungsklage dar, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Eine vor Fristablauf erhobene Klage wird deshalb nach Ablauf der Frist nicht zulässig (Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 19).
Dass das Entschädigungsgericht die Anforderungen an das Vorliegen einer Verzögerungsrüge für den vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruch überspannt hat, ist nicht ersichtlich. In der Gerichtsakte des mit Gerichtsbescheid vom 23.12.2015, dem Kläger zugestellt am 29.12.2015, abgeschlossenen Ausgangsverfahrens vor dem SG (S 13 AS 3025/13) sind keine Schreiben des Klägers enthalten, die als Verzögerungsrüge iS des § 198 Abs 3 S 1 GVG ausgelegt werden könnten. Diesbezüglich scheiden auch die in anderen Verfahren und Zusammenhängen ohnehin nur beiläufig getätigten Ausführungen des Klägers zur Verfahrensdauer in seinen Schreiben vom 18.1.2016 und vom 4.1.2017 als Verzögerungsrügen schon deshalb aus, weil sie vom Kläger erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem SG erhoben worden sind. Denn eine Verzögerungsrüge soll dem bearbeitenden Richter die Möglichkeit zu einer beschleunigten Verfahrensförderung eröffnen und insofern als Vorwarnung dienen (sog Warnfunktion der Verzögerungsrüge), weshalb sie im Übrigen auch bei dem Gericht erhoben werden muss, bei dem das (als unangemessen lang empfundene) Verfahren anhängig ist (vgl Begründung der Bundesregierung vom 17.11.2010 zum Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BT-Drucks 17/3802 S 20 zu Abs 3 S 1; Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 26).
Selbst wenn man die aktenkundigen Schreiben des Klägers im Berufungsverfahren (L 7 AS 37/16) vom 21.4.2016, 1.7.2016 und 8.7.2016 als Verzögerungsrügen werten wollte, sind diese bereits deshalb unbeachtlich, weil bei deren Eingang noch kein Anhalt für eine Besorgnis der Verzögerung des erst seit dem 19.1.2016 anhängigen Berufungsverfahrens gegeben war (vgl § 198 Abs 3 S 2 GVG). Nicht nachvollziehbar ist der Einwand des Klägers, dass er am 29.6.2017 in der mündlichen Verhandlung des Berufungsverfahrens durch Überreichung eines entsprechenden Schreibens vom selben Tag zu Protokoll (vgl § 90 SGG) noch keine Entschädigungsklage erhoben haben will. Denn er selbst ist hiervon (zu Recht) ausgegangen, wie ua seine im Entschädigungsverfahren verfassten Schreiben vom 4.9.2017, 12.9.2017, 22.11.2017, 11.12.2017, 24.10.2018, 29.10.2018 und der von ihm in der mündlichen Verhandlung vor dem Entschädigungsgericht am 6.12.2018 gestellte Antrag nachdrücklich belegen, was im Übrigen auch für den Beklagten gilt (siehe zB dessen Schriftsatz ≪"Klageerwiderung"≫ vom 9.11.2017). Überdies ist der Kläger vom Entschädigungsgericht mit Schreiben vom 22.8.2017 auf seine mit Schreiben vom 29.6.2017 erfolgte Klageerhebung ausdrücklich hingewiesen worden (siehe auch Beschluss des Entschädigungsgerichts vom 13.9.2017), ohne dass er hiergegen Einwände erhoben hat. Ausgehend von dem nach § 198 Abs 5 S 1 GVG für die Wahrung der Wartefrist allein maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung der Entschädigungsklage (vgl hierzu auch BFH Urteil vom 12.7.2017 - X K 3-7/16 ua - Juris RdNr 25) - hier am 29.6.2017 - ist aber die Wartefrist von sechs Monaten bezogen auf die vom Kläger mit Schreiben vom 1.2.2017 erhobene (weitere) Verzögerungsrüge nicht gewahrt.
Da dem Kläger keine PKH zusteht, kann er auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
Fundstellen
Dokument-Index HI13219713 |