Verfahrensgang
SG Speyer (Entscheidung vom 14.06.2019; Aktenzeichen S 19 R 719/16) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 10.07.2020; Aktenzeichen L 6 R 225/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. Juli 2020 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Mit Urteil vom 10.7.2020 hat das LSG Rheinland-Pfalz einen Anspruch des Klägers auf Nachentrichtung von Beiträgen zur freiwilligen gesetzlichen Rentenversicherung verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 5.9.2020 begründet hat.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdebegründung vom 5.9.2020 entspricht nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Der Kläger hat darin die als Zulassungsgrund geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der gebotenen Weise bezeichnet.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.10.2010 - B 12 KR 2/10 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 9.12.2019 - B 13 R 259/19 B - juris RdNr 4). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Berufungsgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
a) Der Kläger bringt darin vor, das SG habe den Rechtsstreit am 14.6.2019 in seiner Anwesenheit verhandelt, nach Schluss der mündlichen Verhandlung den im Sitzungsprotokoll widergegebenen Beschluss erlassen, eine Entscheidung ergehe am Ende des Sitzungstages, die Sache knapp zwei Stunden später erneut aufgerufen und das klagabweisende Urteil verkündet, was ebenfalls im Sitzungsprotokoll erfasst worden sei. Anschließend sei im Protokoll das Ende des Termins vermerkt. Nach Auffassung des Klägers stellt das auf diese Weise verkündete erstinstanzliche Urteil ein Scheinurteil dar, weil es "außerhalb jeglichen Verfahrens" verkündet worden sei, insbesondere nicht im Rahmen eines ordnungsgemäß anberaumten Verkündungstermins. Es habe im Berufungsverfahren von Amts wegen aufgehoben werden müssen. Damit benennt der Kläger bereits keine bundesrechtliche Verfahrensnorm, die das LSG verletzt haben soll (vgl zu diesem Erfordernis zB BSG Beschluss vom 17.4.1989 - 9 BV 8/89 - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 12.7.2012 - B 13 R 463/11 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 21.4.2020 - B 13 R 85/19 B - juris RdNr 9). Auch seinem Gesamtvorbringen lässt sich der insoweit gerügte Verfahrensmangel nicht ausreichend deutlich entnehmen. Mit seinen Ausführungen zu der seines Erachtens unwirksamen Urteilsverkündung, mit denen sinngemäß ein Verstoß gegen § 132 Abs 1 Satz 2 und 3 SGG geltend gemacht wäre, bezieht sich der Kläger auf das prozessuale Vorgehen des SG. Das gleiche gilt, soweit er eine mangelnde Vertretung im Prozess (absoluter Revisionsgrund nach § 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 4 ZPO) sowie eine Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit (absoluter Revisionsgrund nach § 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 5 ZPO) in den Raum stellt. Eine Revision lässt sich aber nur auf (absolute) Revisionsgründe stützen, die in der letzten Tatsacheninstanz vorgelegen haben. Etwas anderes gilt zwar, wenn ein Verfahrensmangel des erstinstanzlichen Verfahrens fortwirkt und damit zugleich einen Mangel des Verfahrens vor dem Berufungsgericht bildet (vgl zB BSG Beschluss vom 19.1.2011 - B 13 R 211/10 B - juris RdNr 15 mwN; speziell zu absoluten Revisionsgründen Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, Zivilprozessordnung, 79. Aufl 2021, § 547 RdNr 4). Eine solche Fortwirkung eines vermeintlichen Verfahrensmangels des SG ist in der Beschwerdebegründung jedoch nicht anforderungsgerecht dargetan.
Der Kläger bringt insoweit lediglich vor, die nach seinem Dafürhalten unwirksame Verkündung des erstinstanzlichen Urteils wirke im Berufungsverfahren fort, weil die Zurückweisung einer Berufung gegen ein Scheinurteil "ins Leere" gehe. Damit zeigt er nicht hinreichend auf, unter welchem Gesichtspunkt der vermeintliche Verfahrensverstoß des SG auch einen Mangel des Berufungsverfahrens bilden soll. In Bezug auf die von ihm mitgeteilte Prozesssituation versteht sich dies auch nicht von selbst, weil ein Verstoß gegen Verkündungsvorschriften nur unter besonderen Umständen in der nächsten Instanz fortwirkt (vgl zB BGH Beschluss vom 14.6.1954 - GSZ 3/54 - BGHZ 14, 39, 52 = juris RdNr 19: verneinend für ein Berufungsurteil, das in einem den Parteien nicht bekanntgegebenen Termin verkündet wurde; BSG Urteil vom 23.8.1956 - 3 RJ 293/55 - BSGE 3, 209, 212 = juris RdNr 9: verneinend für ein Berufungsurteil, das zu Unrecht an Verkündungs statt zugestellt wurde; vgl zum Ganzen auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 132 RdNr 8 mwN).
Falls der Kläger mit seinem Vorbringen, das LSG habe das Urteil des SG von Amts wegen aufheben müssen, sinngemäß rügen will, das LSG habe über seine Berufung durch Sachentscheidung statt durch Prozessurteil entschieden, ist jedenfalls nicht anforderungsgerecht dargetan, dass und inwiefern die Entscheidung des LSG darauf beruhen kann (vgl dazu, dass die Darlegung des Beruhen-Könnens auch bei einer Rüge "Prozessurteil statt Sachurteil" oder umgekehrt zur anforderungsgerechten Bezeichnung des Verfahrensmangels gehört, Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 661). Sollte der Kläger sich gegen die Rechtsauffassung des LSG wenden wollen, das ausgehend von der Mitteilung in der Beschwerdebegründung die Verkündung des erstinstanzlichen Urteils als wirksam erachtet hat, wäre auch damit kein Verfahrensmangel anforderungsgerecht bezeichnet. Allein die Behauptung, das Berufungsurteil sei unrichtig, kann nicht zur Revisionszulassung führen (vgl zuletzt etwa BSG Beschluss vom 10.5.2021 - B 13 R 184/20 B - juris RdNr 16 mwN).
b) Der Kläger rügt, das LSG habe den Streitgegenstand verkannt und damit gegen § 123 SGG verstoßen. Der Senat lässt dahinstehen, ob in der Beschwerdebegründung ein solcher Verfahrensmangel anforderungsgerecht dargetan ist (vgl zu den diesbezüglichen Anforderungen zB BSG Beschluss vom 9.1.2019 - B 13 R 25/18 B - juris RdNr 6 ff mwN). Es fehlt jedenfalls an hinreichendem Vorbringen zum Beruhen-Können der angegriffenen Entscheidung auf der vermeintlichen Verkennung des Streitgegenstands.
Der Kläger bringt hierzu vor, er habe im Berufungsverfahren die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen lediglich für den Zeitraum vom 1.4.1996 bis zum 30.1.2000 begehrt. Ein entsprechender Antrag sei auch in der mündlichen Berufungsverhandlung protokolliert worden. Das LSG habe demgegenüber angenommen, sein Begehren sei auf die Beitragsnachentrichtung für den Zeitraum vom 1.1.1996 bis zum 30.1.2000 gerichtet. Gleichzeitig habe es in den Entscheidungsgründen nur den Zeitraum vom 1.4.1996 bis zum 30.1.2000 betrachtet. Aus diesem Vorbringen erschließt sich nicht ohne Weiteres, inwiefern das LSG eine andere, für den Kläger günstigere Entscheidung getroffen haben könnte, wenn es - was es nach dem Dafürhalten des Klägers nicht getan hat - von einem Streit über die Zulassung zur Beitragsnachentrichtung für den am 1.4.1996 beginnenden Zeitraum ausgegangen wäre. Wie der Kläger selbst vorbringt, hat sich das LSG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils (nur) mit dem Zeitraum befasst, um den es ihm, dem Kläger, gegangen ist, und insoweit einen Anspruch auf Zulassung zur Beitragsnachentrichtung verneint. Vor diesem Hintergrund hätte es näherer Darlegung bedurft, unter welchem Gesichtspunkt das LSG ausgehend von seiner materiell-rechtlichen Auffassung ohne den vermeintlichen Verfahrensmangel zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können. Eine solche Darlegung fehlt. Das allgemein gehaltene Vorbringen des Klägers, es erscheine nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsverfahren bei ordnungsgemäßer Ermittlung des von ihm wirklich Gewollten einen anderen Ausgang genommen hätte, reicht insoweit nicht aus.
Falls der Kläger mit seinem Vorbringen, im angegriffenen Urteil würden Ausführungen bezüglich des Zeitraums vom 1.1. bis zum 31.3.1996 fehlen - der seines Erachtens für das LSG in Streit gestanden hat -, sinngemäß einen Verstoß gegen die Begründungspflicht (§ 128 Abs 1 Satz 2 iVm § 136 Abs 1 Nr 6 SGG) rügen will, erfüllt die Beschwerdebegründung die insoweit bestehenden Darlegungsanforderungen (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 20.5.2002 - B 13 R 49/19 B - juris RdNr 23 f mwN) nicht. Es fehlen Ausführungen dazu, dass sich nach dem Dafürhalten des Klägers dem Berufungsurteil die für die Entscheidung maßgeblichen Erwägungen des LSG nicht entnehmen lassen.
c) Der Kläger rügt einen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG), indem das LSG zwei Mitarbeiter des regionalen Rentenversicherungsträgers, Frau Sp und Herrn S, nicht als Zeugen vernommen habe. Für eine solche Sachaufklärungsrüge bestehen spezifische Darlegungsanforderungen. Sie muss folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist; (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen; (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl etwa BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5; BSG Beschluss vom 28.2.2018 - B 13 R 73/16 B - juris RdNr 9 mwN). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG ferner die Darlegung, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl etwa BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 21.2.2018 - B 13 R 28/17 R, B 13 R 285/17 B - juris RdNr 14 mwN). Zwar sind an Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines Beweisantrags verminderte Anforderungen zu stellen, wenn ein Beteiligter - wie der Kläger - in der Berufungsinstanz durch keinen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten gewesen ist (vgl BSG Beschluss vom 18.9.2003 - B 9 SB 11/03 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5; BSG Beschluss vom 1.3.2006 - B 2 U 403/05 B - juris RdNr 5). Auch ein unvertretener Kläger muss aber dem Gericht deutlich machen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht (vgl BSG Beschluss vom 22.7.2010 - B 13 R 585/09 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 24.7.2012 - B 2 U 103/12 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 11.4.2019 - B 13 R 74/18 B - juris RdNr 11). Erfolgt eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit eines unvertretenen Klägers, hat er diese Verdeutlichung grundsätzlich in der mündlichen Verhandlung vorzunehmen (BSG Beschluss vom 8.5.2018 - B 1 KR 3/18 B - juris RdNr 5). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung vom 5.9.2020 jedenfalls deswegen nicht gerecht, weil darin kein vom Kläger gestellter und bis zuletzt aufrechterhaltener Beweisantrag dargetan ist.
Der Kläger trägt zwar ua vor, er habe in seinem Berufungsschriftsatz vom 16.9.2019 deutlich sein Begehren ausgedrückt, Frau Sp und Herrn S zu der Frage zu hören, ob und gegebenenfalls inwieweit ihm bereits am 14.9.2000 bzw 16.11.2000 im Rahmen von Beratungsgesprächen zugesichert worden sei, die Beitragslücke vom 1.4.1996 bis zum 31.1.2000 durch freiwillige Beiträge schließen zu können. Er macht jedoch nicht geltend, im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens und insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG vom 10.7.2020 an seiner Auffassung von der Erforderlichkeit einer weiteren Beweiserhebung festgehalten zu haben.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14685270 |