Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 28.06.1995) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Juni 1995 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers des Beschwerdeverfahrens.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte es mit Recht abgelehnt hat, eine von dem Kläger beantragte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) zu fördern.
Die Vorinstanzen haben festgestellt, daß der Bescheid vom 28. Februar 1991 idF des Widerspruchsbescheides vom 15. November 1991, mit dem die Beklagte die Förderung einer vom Kläger beim Arbeitsamt beantragten allgemeinen Maßnahme zur Arbeitsbeschaffung für zwei Jahre ab 1. Mai 1990 (Unterrichtung und Aufklärung der Öffentlichkeit im Raum Köln über die Situation in Kurdistan und der über 350.000 Kurden in der Bundesrepublik Deutschland) abgelehnt hatte, rechtswidrig ist. Die Revision hat das Landessozialgericht (LSG) nicht zugelassen.
Mit der Beschwerde macht die Bundesanstalt für Arbeit (BA) gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 bis 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltend, die Revision sei zuzulassen, weil das Urteil des LSG unter Verstoß gegen § 551 Nr 7 Zivilprozeßordnung (ZPO) iVm § 202 SGG in einem nicht verzichtbaren Teil seiner Begründung iS von § 136 Abs 1 Nr 6 SGG nicht mit Gründen versehen sei, es außerdem von der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. Juli 1989 – 7 RAr 56/88 -SozR 4100 § 91 Nr 4 abweiche und auch auf dieser Abweichung beruhe und der Rechtssache zudem grundsätzliche Bedeutung zukomme.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde ist unzulässig; die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet bzw dargelegt.
1. „Bezeichnet” iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ist ein Verfahrensmangel nur dann, wenn er in den ihn vermeintlich begründenden Tatsachen im einzelnen dargetan wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich indes nicht, daß dem Urteil des LSG die Entscheidungsgründe fehlen.
Allerdings hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, daß das LSG zur sog Zusätzlichkeit nur ausgeführt hat, daß die Voraussetzungen erfüllt gewesen seien (vgl § 91 Abs 2 iVm § 6 ABM-Anordnung), und zur Zweckmäßigkeit, daß die Förderung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes (§ 91 AFG iVm § 8 ABM-Anordnung) zweckmäßig gewesen sei, was die Beklagte ausdrücklich zugestanden habe. Damit ist aber eine Verletzung des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG noch nicht dargetan. Entscheidungsgründe fehlen nämlich nur dann, wenn überhaupt keine Gründe zu einem entscheidungserheblichen Streitpunkt vorhanden sind. Wird in den Tatsacheninstanzen über ein Tatbestandsmerkmal nicht oder nicht mehr gestritten, weil es nach dem zu beurteilenden Sachverhalt auf der Hand liegt oder von den Beteiligten eingeräumt wird, daß das Merkmal gegeben ist, bedarf es dazu keiner näheren Ausführungen. Ein kurzer Hinweis, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen, genügt, mögen diese Gründe unvollständig, unzureichend, unrichtig oder sonst fehlerhaft sein (vgl BSG SozR Nr 9 zu § 136 SGG sowie BSG SozR 1500 § 136 Nr 10).
Deshalb ist auch unerheblich, daß zur Zweckmäßigkeit im Urteil nicht angegeben worden ist, daß das Arbeitssamt Köln auf gerichtliche Anfrage mit Schriftsatz vom 8. September 1992 ausgeführt hat, für die Besetzung der Maßnahme stünden genügend Arbeitslose zur Verfügung und es werde deshalb nicht mehr daran festgehalten, daß aus arbeitsmarktlicher Sicht eine Förderung nicht angezeigt wäre.
2. Die Beklagte hat in der Beschwerdebegründung auch den Zulassungsgrund der Abweichung nicht hinreichend dargelegt. Abweichung bedeutet, daß tragende abstrakte Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt worden sind, einander widersprechen. Das angefochtene Urteil muß danach auf einer bestimmten Rechtsauffassung beruhen, die zu einer entscheidungserheblichen Rechtsansicht des BSG im Widerspruch steht. Eine Abweichung liegt nicht bereits dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat. Das Aufzeigen einer Divergenz setzt deshalb voraus, daß die Beschwerdebegründung erkennen läßt, welcher abstrakte Rechtssatz in dem angezogenen Urteil des BSG enthalten ist und die Entscheidung trägt und welcher das Urteil des LSG tragende Rechtssatz dazu im Widerspruch steht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 67).
Diesen Anforderungen hat die Beklagte nicht genügt. Sie hat zwar den in der genannten Entscheidung des BSG enthaltenen Rechtssatz bezeichnet, das Fehlen eines normativen Verbots, eine beantragte Maßnahme zu fördern, schließe es nicht aus, daß die Beklagte im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens zum Ergebnis gelangen könne, die Förderung sei unzweckmäßig, deshalb abzulehnen. Abgesehen davon, ob diese Ausführungen des BSG die damals getroffene Entscheidung tragen (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 61), hat die Beklagte aber nicht aufgezeigt, daß das LSG diesen Rechtssatz durch einen davon abweichenden in Frage gestellt hat, sondern lediglich ausgeführt, daß das LSG, wenn es die genannten Grundsätze des BSG berücksichtigt hätte, davon hätte ausgehen müssen, daß sie – die Beklagte – im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung nach Abwägung der Gesamtumstände zu dem Ergebnis hätte gelangen dürfen, die Förderung von ABM durch einen politisch orientierten Träger nach Art des Klägers sei unzweckmäßig und deshalb abzulehnen und andere Gesichtspunkte im Rahmen dieser Ermessensausübung zurücktreten müßten. Mit diesen hypothetischen Erwägungen hat die Beklagte keinen Rechtssatz bezeichnet, den das LSG entscheidungserheblich angewendet hat und der dem des BSG widerspricht.
3. Auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht dargelegt. Dazu bedarf es der Bezeichnung einer Rechtsfrage, die – über den Einzelfall hinaus -aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Anhand des anwendbaren Rechts unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anzugeben, daß die genannte Rechtsfrage noch nicht gekärt ist, sie einer revisionsgerichtlichen Klärung bedarf und das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten läßt (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 65 mwN). Letztere Voraussetzung hat die Beklagte hier nicht dargetan. Zwar hat sie die Rechtsfrage aufgeworfen, ob das öffentliche Interesse iS von § 91 Abs 2 Satz 1 AFG, § 7 ABM-Anordnung grundsätzlich dann ausgeschlossen ist, wenn die zu fördernde Maßnahme ausdrücklich – nach Auskunft der Bundesregierung – ihrer nach § 1 und § 3 AFG zu beachtenden Sozial- und Wirtschaftspolitik nicht entspricht und auch aufgezeigt, weshalb dieser Frage über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukommen soll. Sie hat jedoch nicht schlüssig dargelegt, daß es auf diese Frage im vorliegenden Rechtsstreit ankommt, dh sie in der Revision zu entscheiden wäre. Dazu hätte sie aufzeigen müssen, daß die Förderung jeglicher Aktivitäten von kurdischen Zusammenschlüssen mit Mitteln der Beklagten nach den im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids (November 1991) vorliegenden Erklärungen der Bundesregierung deren Politik zuwiderläuft.
Weder hat die Beklagte dies vorgetragen noch könnte sie es nach dem Inhalt der vorliegenden Akten. Denn die Bundesregieurng hat hiernach lediglich wiederholt erklärt, daß die Aktivitäten von ua kurdischen Gruppen nicht mit Bundesmitteln gefördert werden (vgl Antwort der Bundesregierung vom 9. September 1985, BT-Drucks 10/3798 sowie die Antwort der Bundesregierung vom 20. November 1992, BT-Drucks 12/3780). Im Zusammenhang hiermit hat die Bundesregierung auf die Praxis der Beklagten hingewiesen, bei Anträgen auf Förderung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durch kurdische Organisationen in Deutschland von Fall zu Fall zu prüfen, ob die Tätigkeiten, die als ABM gefördert werden sollen, integrationsfördernd oder integrationshemmend wirkten. Die BA halte eine ABM aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung dann für förderungswürdig, wenn eine ordnungsgemäße und erfolgreiche Durchführung der Maßnahme gewährleistet sei (vgl BT-Drucks 12/3780). Bei dieser Sachlage hätte die Beklagte aufzeigen müssen, daß die Bundesregierung ihre – der Beklagten – Förderungspraxis gemäß §§ 91 ff AFG beanstandet hat. Dafür gibt es indes keine Anhaltspunkte. Selbst wenn man die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 31. Mai 1994 gegenüber dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung betreffend die ABM-Förderung für kurdische Einrichtungen oder die des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 1. Februar 1993 und 12. März 1993 gegenüber der Beklagten zugleich als solche der Bundesregierung ansehen würde, enthalten sie keine Beanstandung der Förderungspraxis der Beklagten, denn sie gehen nicht über den bekannten, ausdrücklich von der Bundesregierung erklärten Standpunkt hinaus, die Förderung aus Bundesmitteln berühre außenpolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland, komme deshalb nicht in Frage.
Fehlt es aber an einem Beschluß der Bundesregierung, demzufolge nicht nur Bundesmittel, sondern auch Mittel der Beklagten aus außen- und innenpolitischen Gründen nicht zur Förderung kurdischer Organisationen in Deutschland eingesetzt werden sollen, stellt sich die von der Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage nicht. Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob der Klärung dieser Frage grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies könnte zweifelhaft sein, wenn die Beklagte jedenfalls im Rahmen ihres Ermessens berechtigt wäre, die Förderung von Maßnahmen allein deshalb abzulehnen, weil anderenfalls Streitigkeiten unter den in Deutschland wohnenden Staatsangehörigen der Türkei drohen, weil sie den Eindruck der Bevorzugung einer bestimmten politischen Auffassung nicht ausschließen kann oder weil bestimmte auswärtige Belange Deutschlands beeinträchtigt werden (vgl zum Ermessen bei Maßnahmen mit politischem Einschlag BSGE 65, 189, 197 = SozR 4100 § 91 Nr 4), wie das hier im Widerspruchsbescheid angesprochen ist.
Da die Beschwerdebegründung den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt, ist die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen