Verfahrensgang
SG Hannover (Entscheidung vom 19.03.2019; Aktenzeichen S 13 R 159/18) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 11.03.2020; Aktenzeichen L 2 R 148/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. März 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit steht die Übernahme der Kosten für einen Bürostuhl durch den beklagten Rentenversicherungsträger im Rahmen von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Das SG hat die Klage gegen die ablehnende Entscheidung des beklagten Rentenversicherungsträgers abgelehnt. Eine Versorgung mit einem ergonomischen Bürostuhl sei nicht notwendig (Urteil vom 19.3.2019). Das LSG hat die Berufung hiergegen als unzulässig verworfen. Der Beschwerdewert von 750 Euro werde mit dem Begehren der Klägerin nicht erreicht (Beschluss vom 11.3.2020).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde an das BSG gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des LSG. Sie macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und rügt einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
II
Die Beschwerde ist unzulässig. Die Begründung vom 13.5.2020 genügt nicht den Anforderungen aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG.
1. Die Klägerin hat die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht anforderungsgerecht dargelegt. Hierfür muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; vgl auch BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7; jüngst BSG Beschluss vom 22.9.2020 - B 13 R 45/20 B - juris RdNr 5).
Die Klägerin misst der Frage grundsätzliche Bedeutung zu,
"ob die Nichtüberschreitung des Schwellenwerts bzw Beschwerdewerts von 750,00 Euro bei dem Begehren mit der Versorgung eines Hilfsmittels angenommen werden kann, wenn keinerlei Tatsachen bekannt geworden sind, die Anschaffungskosten unterhalb des Schwellenwerts nahelägen und das Gericht keine eigenen Feststellungen zur Höhe der Anschaffungskosten für das begehrte Hilfsmittel getroffen hat und im Rahmen der erstinstanzlichen Entscheidung keinerlei Hinweise zur Überschreitung des Schwellenwerts zu entnehmen sind?"
Die Klägerin hat mit dieser Formulierung bereits keine hinreichend konkrete Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht aufgeworfen. Darüber hinaus fehlt es im Weiteren an Ausführungen zu dem vom Revisionsgericht erwarteten klärenden Schritt. Die Rechtsfrage bezieht sich allein auf die Rechtsanwendung im Einzelfall. Selbst wenn die Qualität der formulierten Frage als Rechtsfrage unterstellt würde, erfüllt die Beschwerdebegründung nicht die gesetzlichen Anforderungen. Die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage wird von der Klägerin nicht den nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG diesbezüglich geltenden Anforderungen genügend dargelegt.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG Beschluss vom 8.2.2017 - B 13 R 294/16 B - juris RdNr 4). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliege oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet sei (Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN).
Weder erwähnt die Klägerin die hier einschlägige Vorschrift des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG in ihren Ausführungen zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde noch setzt sie sich mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG auseinander. Hierzu hätte jedoch Anlass bestanden, denn das BSG hat befunden, dass bei einem unbezifferten Antrag - von dem der Senat nach dem Vortrag der Klägerin, sie begehre einen ergonomischen Bürostuhl, ausgehen muss, auch wenn sie ihren Antrag nicht ausdrücklich wiedergibt - das Gericht den Wert ermitteln muss oder ihn anhand des wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits schätzen kann. Der Wert des Beschwerdegegenstandes ist danach zu bestimmen, was das SG dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was von diesem mit seinen Berufungsanträgen zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung weiter verfolgt wird (BSG vom 4.7.2011 - B 14 AS 30/11 B - juris RdNr 4; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 144 RdNr 14, 15b). Dabei bemisst sich der Streitwert nach dem Betrag, den der Kläger letztlich erstrebt (BSG vom 5.10.1999 - B 6 KA 24/98 R - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 5.8.2015 - B 4 AS 17/15 B - juris RdNr 6). Die Klägerin legt nicht dar, warum sich die von ihr formulierte Frage nicht anhand dieser Ausführungen beantworten lasse.
Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
2. Die Klägerin macht ferner geltend, die angegriffene Entscheidung des LSG beruhe auf einem Verfahrensmangel (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), weil das LSG einen bereits im Schriftsatz vom 28.5.2019 gestellten Beweisantrag zur Höhe der Anschaffungskosten für einen ergonomischen Bürostuhl ohne Begründung nicht gefolgt sei. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 30.10.2018 - B 13 R 59/18 B - juris RdNr 7). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zugrunde zu legen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 23). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Dem genügt die Beschwerdebegründung vom 13.5.2020 nicht.
Unabhängig davon, ob hier davon ausgegangen werden kann, dass in der Beschwerdebegründung die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt worden sind, mangelt es an hinreichenden Ausführungen dazu, dass die Klägerin bis zur Anhörung zur schriftlichen Entscheidung durch das LSG einen prozessordnungsmäßigen Beweisantrag iS der § 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 403 ZPO aufrechterhalten hat.
Die Klägerin hat dargelegt, sie habe unter Beweis gestellt, dass die Kosten für die Anschaffung eines ergonomischen Bürostuhls bei über 800 Euro lägen, und verweist zum Beleg für einen dahingehenden Beweisantrag auf die in den Anlagen A2 und A3 beigefügten Schriftsätze. Aus dem Schriftsatz der Anlage A2 vom 28.5.2019 ergibt sich, dass sie zur Behauptung der Höhe der Aufwendungen für einen ergonomischen Bürostuhl beantragt hat: "Einholung Sachverständigengutachten" und aus dem Schriftsatz in der Anlage A3 vom 10.2.2020, dass ein orthopädisch, korrekt auf die Bedürfnisse der Klägerin angepasster Bürostuhl für einen Preis ab 1400 Euro zu erwerben sei - "Beweis: Einholung eines Sachverständigengutachtens".
Mit diesem Vortrag versäumt es die Klägerin bereits darzulegen, dass sie einen in prozessordnungsgerechter Weise formulierten Beweisantrag gestellt hat. Ein solcher Antrag muss grundsätzlich in prozessordnungsgerechter Weise formuliert sein, sich regelmäßig auf ein Beweismittel der ZPO beziehen, das Beweisthema möglichst konkret angeben und insoweit wenigstens umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben soll (BSG Beschluss vom 15.8.2018 - B 13 R 387/16 B - juris RdNr 6; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 18a mwN). Selbst wenn zu Gunsten der Klägerin angenommen werden sollte, mit dem Verweis auf die beigefügten Schriftsätze erschlösse sich das Beweisthema aus der von ihr gewählten Formulierung und ergebe sich, was die Beweisaufnahme ergeben solle (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 18a mwN), genügen ihre Darlegungen in der Beschwerdebegründung dazu, sie habe einen prozessordnungsgemäßen Antrag gestellt, gleichwohl nicht. Sie legt nicht dar, wer das Sachverständigengutachten erstatten sollte. Weder der Name der oder des Sachverständigen noch zumindest deren oder dessen Profession und Expertise zur Bestätigung der gewünschten Behauptung werden benannt. Damit hat sie nicht dargebracht, dass es sich mit ihrem Vorbringen aus den bezeichneten Schriftsätzen um mehr als eine Beweisanregung an das LSG gehandelt hat. Denn stellt ein Beteiligter für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts lediglich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" auf - hier, dass die Höhe der behaupteten Aufwendungen durch ein Sachverständigengutachten belegt werden könne - brauchen die Tatsacheninstanzen solchen Beweisantritten nicht nachzugehen. Zu Ermittlungen ohne konkrete Anhaltspunkte besteht auch unter verfassungsrechtlichen Erwägungen keine Verpflichtung (BVerfG Beschluss vom 9.10.2007 - 2 BvR 1268/03 - juris RdNr 19; BSG Beschluss vom 5.2.2009 - B 13 RS 85/08 B - juris RdNr 18).
Des Weiteren legt die Klägerin auch nicht dar, dass die Entscheidung des LSG auf dem Übergehen des benannten Antrags ohne hinreichende Begründung beruhe. Sie behauptet zwar unter wörtlichem Zitat aus der Entscheidung des LSG, "ein den Schwellenwert von 750 Euro übersteigendes Begehren ist von der Klägerin nicht substantiiert dargelegt worden". Auch führt sie aus, dass dann, wenn das LSG entsprechend ihrem "Antrag" ermittelt hätte, es festgestellt hätte, die Kosten für den Bürostuhl lägen oberhalb von 800 Euro und die Berufung wäre alsdann nicht als unzulässig verworfen worden. Sie teilt jedoch den Inhalt der Entscheidungsgründe des LSG nicht so vollständig mit, dass der Senat erkennen könnte, ob es aufgrund der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des LSG hierauf ankam.
Nichts anderes gilt, soweit das Vorbringen der Klägerin so zu verstehen sein sollte, dass sie rügt, statt einer Sachentscheidung sei zu Unrecht ein Prozessurteil ergangen (BSG Beschluss vom 17.12.2019 - B 8 SO 8/19 B - juris RdNr 6; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 19; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 658 ff, jeweils mwN). Den Verfahrensfehler, das LSG hätte in der Sache entscheiden müssen und kein Prozessurteil erlassen dürfen, hat die Klägerin nicht entsprechend bezeichnet. Es fehlen auch hier ausreichende Darlegungen dazu, dass die von ihr begehrte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage hätte Erfolg haben müssen und die die Berufung zurückweisende Entscheidung des LSG also auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler beruht, wie es § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG voraussetzt.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14434239 |