Leitsatz (amtlich)
1. Hat das Revisionsgericht in einem Verwerfungsbeschluß nach SGG § 169 ausgesprochen, daß die Beteiligten einander Kosten nicht zu erstatten haben, so liegt darin eine abschließende Kostenentscheidung; eine Ergänzung des Beschlusses nach SGG § 140 hinsichtlich der Auferlegung von Mutwillenskosten nach SGG § 192 ist in solchen Fällen nicht zulässig.
2. Sind dem Revisionskläger in den Vorinstanzen Mutwillenskosten auferlegt worden, so folgt daraus nicht, daß der Kläger auch bei der Einlegung der Revision mutwillig gehandelt hat. Die Frage der Auferlegung von Mutwillenskosten ist in der Revisionsinstanz gesondert zu prüfen.
Normenkette
SGG § 140 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 169 S. 2 Fassung: 1953-09-03, § 192 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 193 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
In Sachen ...
wird der Antrag der Beklagten, die nach § 184 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) von der Beklagten zu entrichtende Gebühr gemäß § 192 SGG dem Kläger aufzuerlegen, als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 23. März 1956 ist durch Beschluß des Senats vom 17. Juli 1956 als unzulässig verworfen worden (§ 169 Satz 2 SGG). Nach diesem der Beklagten mit eingeschriebenem Brief vom 18. Juli 1956 zugestellten Beschluß haben die Beteiligten einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die von der Beklagten nach § 184 SGG zu entrichtende Gebühr auf 60.- DM festgestellt (§§ 184 Abs. 1, 185, 186, 189 SGG in Verbindung mit § 1 der Verordnung vom 31. März 1955, BGBl. I S. 120). Die Beklagte hat hierzu mit Schriftsätzen vom 23. und 27. Juli 1956 sowie vom 8. Oktober 1956 beantragt, die Kosten des Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen, weil er die Revision, ohne auf die sachlichen Einwendungen der Beklagten einzugehen und ohne die Belehrungen, die ihm von den Vorinstanzen erteilt worden waren, zu beachten, mutwillig eingelegt habe.
Der Senat hat in dem Antrag der Beklagten eine Erinnerung gegen die Feststellung der Pauschgebühr von 60.- DM durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gesehen (§ 192 Abs. 2 SGG). Nach § 184 SGG haben die Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts für jede Streitsache, an der sie beteiligt sind, für jeden Rechtszug eine Gebühr zu entrichten, die sich - auch wenn die Sache nicht durch Urteil erledigt wird - auf die Hälfte ermäßigt (§ 186 SGG). Diese Gebühr, die der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle zutreffend auf 60.- DM festgestellt hat, wäre auch dann von der Gebührenschuldnerin (§ 184 SGG) zu zahlen, wenn das Gericht in Anwendung des § 192 SGG einen anderen am Verfahren Beteiligten für verpflichtet erklären würde, der Gebührenschuldnerin die ihr entstandenen Kosten ganz oder teilweise zu erstatten. Hat die Auferlegung von Kosten nach § 192 SGG hiernach auf die Gebührenschuld der Klägerin und ihre Feststellung keinen Einfluß, so kann auch eine Erinnerung der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse gegen die vorliegende Feststellung ihrer Gebührenschuld nach § 189 Abs. 2 SGG keinen Erfolg haben.
Der Senat hat den Antrag der Beklagten, dem Kläger die der Beklagten gemäß § 184 SGG entstandenen Kosten aufzuerlegen, auch unter dem Gesichtspunkt geprüft, daß die Beklagte damit möglicherweise eine Ergänzung des Verwerfungsbeschlusses vom 17. Juli 1956 im Kostenpunkt erstrebt; er hat also den Antrag dahin gedeutet, den Beschluß vom 17. Juli 1956 im Wege der Ergänzung nach § 140 Abs. 1 SGG dahin zu vervollständigen, daß dem Kläger die Pauschgebühr nach § 192 SGG aufzuerlegen sei (als sogenannte Mutwillenskosten). Auch ein solches Begehren der Beklagten ist nicht begründet. Da in dem Beschluß vom 17. Juli 1956 über die Kosten bereits endgültig entschieden ist, käme eine Ergänzung des Beschlusses nur in Betracht, wenn das Gericht verabsäumt hätte, eine Entscheidung über die Auferlegung von Mutwillenskosten zu treffen (§ 140 Abs. 1 SGG). Die Tatsache allein, daß der Senat in seinem Verwerfungsbeschluß über die Frage der Auferlegung von Mutwillenskosten keine ausdrückliche Entscheidung getroffen hat, rechtfertigt jedoch keinesfalls die Annahme, seine Kostenentscheidung habe nicht auch die Frage der sogenannten Mutwillenskosten mitumfaßt.
Es ist zu berücksichtigen, daß die Auferlegung von Mutwillenskosten eine seltene Ausnahme darstellt, die in das Ermessen des Gerichts gestellt ist; daher besteht für das Gericht im allgemeinen kein Anlaß, bei seiner Kostenentscheidung auf die Frage der Auferlegung von Mutwillenskosten ausdrücklich einzugehen, zumal wenn kein Beteiligter eine solche Entscheidung angeregt hat.
Aber selbst wenn der Senat im vorliegenden Fall davon ausgehen würde, daß über die Auferlegung von Mutwillenskosten in dem Verwerfungsbeschluß vom 17. Juli 1956 noch nicht mitentschieden ist und daß ferner eine Ergänzung des Verwerfungsbeschlusses in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 1 SGG zulässig wäre, so könnte doch dem Begehren der Beklagten deshalb nicht stattgegeben werden, weil nicht hinreichend sicher dargetan ist, daß die Einlegung der Revision durch den Kläger willkürlich im Sinne des § 192 SGG gewesen ist. Die dem Rechtsstreit zugrunde liegende materiell-rechtliche Frage, ob nach § 223 Abs. 2 RVO gegen den Anspruch des Versicherten auf Krankengeld auch mit Beitragsrückständen aufgerechnet werden kann, die der Versicherte als früherer Arbeitgeber schuldet, ist keineswegs so eindeutig zu beantworten, wie es die Beklagte annimmt. Die Rechtsprechung des RVA. zu dieser Frage hat geschwankt, und auch das Reichsgericht hat in einer älteren Entscheidung eine von der jüngeren Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts abweichende Auffassung vertreten (vgl. des näheren die Angaben bei Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 1954, § 223 Anm. 3 b). Unter diesen Umständen muß es verständlich erscheinen, daß der Kläger eine höchstrichterliche Entscheidung über den von ihm geltend gemachten Anspruch erstrebte. Wenn er dabei übersehen hat, daß die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts - das die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen hat - nur bei Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels zulässig war (§ 162 Abs. 1 SGG), wie es auch in der Rechtsmittelbelehrung des Landessozialgerichts zutreffend dargelegt worden ist, so berechtigt dies bei einem nicht besonders rechtskundigen Versicherten noch nicht zu der Annahme, daß er die Revision mutwillig eingelegt habe. Unerheblich ist es ferner, daß der Kläger die Revision nicht nach Belehrung zurückgenommen hat, denn die Gebührenschuld der Beklagten, die dem Kläger auferlegt werden soll, ist, wie der Senat bereits entschieden hat, auch bei Zurücknahme eines Rechtsbehelfs zu zahlen (vgl. Beschluß des Bundessozialgerichts vom 20. Oktober 1955 - 3 RK 6/55 - in "Sozialrecht" SGG § 184 Bl. Da 1 Nr. 1); sie hätte sich auch nicht durch Rücknahme ermäßigt, da die Pauschgebühr bei Zurücknahme des Rechtsmittels und bei Erledigung der Sache durch Beschluß, wie sie hier stattgefunden hat, gleich hoch ist. - Auch die Tatsache, daß die Vorinstanzen, die sich mit dem Streit der Beteiligten seinem gesamten tatsächlichen und rechtlichen Gegenstande nach zu befassen hatten, dem Kläger jeweils die Hälfte der der Beklagten entstandenen Gebühr auferlegt haben, hat für die vom Revisionsgericht selbst zu treffende Beurteilung nicht zwingend die Annahme zur Folge, daß der Kläger auch bei der ihm nach dem Gesetz möglichen Anrufung des Revisionsgerichts mutwillig gehandelt habe. Ob einem Beteiligten nach § 192 SGG Kosten aufzuerlegen sind, ist in jeder Instanz gesondert zu prüfen.
Hiernach war der Antrag der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen