Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage. Klärungsbedürftigkeit
Leitsatz (amtlich)
Dafür, daß das pflichtwidrige Unterlassen einer militärärztlichen Aufklärung im Rahmen der freien Heilfürsorge als "wehrdiensteigentümlich" zu werten ist, ist das Rangverhältnis zwischen Sanitätsoffizier und Patient (hier: Offizier) gleichgültig (Ergänzung von BSG 1975-12-10 9 RV 338/74 = SozR 3200 § 80 Nr 2).
Leitsatz (redaktionell)
Wird bei einer militärärztlichen Behandlung eine medizinisch indizierte Kontrolluntersuchung unterlassen und unterbleibt deshalb eine rechtzeitige Operation, so sind die Folgen (hier: der mindestens ein Jahr frühere Tod des Soldaten) durch die Besonderheiten der Heilfürsorge für Soldaten verursacht und als Wehrdienstbeschädigung anzusehen.
Orientierungssatz
Die Frage, ob das Unterlassen einer Untersuchung im Rahmen einer militärärztlichen Behandlung dann nicht als "wehrdiensteigentümlich" iS des § 81 Abs 1 SVG zu werten sei, wenn ein Sanitätsoffizier einen Oberleutnant als Patienten nicht veranlaßt habe, sich einer weiteren klärenden Untersuchung zu unterziehen (§ 160 Abs 2 Nr 1, § 160a Abs 2 S 3 SGG), ist bereits grundsätzlich durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und ohne ernsthaften Widerspruch geklärt, so daß sie in ihrem wesentlichen Teil nicht mehr bedeutsam iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist (vgl BSG 1976-03-02 12/11 BA 116/75 = SozR 1500 § 160 Nr 17).
Normenkette
SVG § 81; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 1974-07-30, § 160a Abs. 2 S. 3 Fassung: 1974-07-30
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 16.01.1981; Aktenzeichen L 2 V 86/80) |
SG Kiel (Entscheidung vom 25.03.1980; Aktenzeichen S 9 V 110/79) |
Gründe
Der Ehemann der Klägerin ist im Januar 1978 an einem Magenkrebsleiden verstorben. Er war Oberleutnant der Bundeswehr. Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenversorgung nach den §§ 80 und 81 Abs 1 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu gewähren, weil der Tod durch dem Wehrdienst eigentümliche Verhältnisse, nämlich Besonderheiten der unentgeltlichen Heilfürsorge für Soldaten, verursacht worden sei. Dazu hat das Berufungsgericht festgestellt: Der Ehemann hätte wenigstens ein Jahr länger gelebt, falls die Kontrollgastroskopie, die im August 1976 im Kreiskrankenhaus in E für in vier bis sechs Wochen "unbedingt indiziert" erklärt worden war, und eine Operation rechtzeitig vorgenommen worden wäre. Ende September 1976 hätte eine Operation eine entsprechende Erfolgsaussicht gehabt. Die notwendige Untersuchung sei auch noch versäumt worden, als der Patient im November 1976 im Bundeswehrkrankenhaus nur einfach truppenärztlich untersucht worden sei.
Der Beklagte begründet seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision mit einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie mit Verfahrensmängeln.
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Der Beklagte hat noch hinreichend deutlich als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung bezeichnet, ob das Unterlassen einer Untersuchung im Rahmen einer militärärztlichen Behandlung dann nicht als "wehrdiensteigentümlich" iS des § 81 Abs 1 SVG zu werten sei, wenn ein Sanitätsoffizier einen Oberleutnant als Patienten nicht veranlaßt habe, sich einer weiteren klärenden Untersuchung zu unterziehen (§ 160 Abs 2 Nr 1, § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Diese Frage ist bereits grundsätzlich durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und ohne ernsthaften Widerspruch geklärt, so daß sie in ihrem wesentlichen Teil nicht mehr bedeutsam iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist (BSGE 40, 40, 42 = SozR 1500 § 160a Nr 4; SozR 1500 § 160a Nr 13; § 160 Nr 17). Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügen für den wehrdienstbedingten Unterschied zu entsprechend zivilen Verhältnissen (BSGE 37, 282, 283 = SozR 3200 § 81 Nr 1) allgemein bei der militärärztlichen Behandlung deren Besonderheiten. Dazu zählen die ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung des Soldaten, sich gesund zu erhalten (§ 17 Abs 4 Soldatengesetz -SG-), sowie im Rahmen der unentgeltlichen Heilfürsorge (§ 30 Abs 1 Satz 1 SG iVm § 69 Abs 2 Satz 1 Bundesbesoldungsgesetz) der Ausschluß der freien Arztwahl (BSGE 28, 145, 146 = SozR Nr 31 zu § 30 BVG; weitere Fundstellen in BSGE 25, 165, 166 = SozR Nr 74 zu § 1 BVG) und die Vorgesetzten-Stellung des Militärarztes (BSG SozR 3200 § 80 Nr 2 S 4). Unter diesen Voraussetzungen muß sich der Staat auch zurechnen lassen, daß ein Militärarzt einen Patienten pflichtwidrig nicht in der gebotenen Weise aufgeklärt hat, wodurch die Willensbildung des Patienten unzulässig beeinflußt wurde (BSG SozR 3200 § 80 Nr 2 unter Hinweis auf den gesetzeskonformen Teil des Rundschreibens des BMA vom 2. Mai 1968, BVBl 1968, S 86 Nr 38). Im gegenwärtigen Fall unterblieb infolge einer solchen Pflichtwidrigkeit des Truppenarztes oder des behandelnden Arztes im Bundeswehrlazarett im November 1976 die "unbedingt indizierte" Gastroskopie. Der behandelte Soldat wurde dadurch davon abgehalten, von sich aus rechtzeitig eine entsprechende diagnostische Maßnahme zu verlangen.
Auch die Besonderheit des gegenwärtigen Falles, daß ein Offizier militärärztlich behandelt wurde, verschafft der bezeichneten Rechtsfrage keine - noch aufzuhellende - grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Die Antwort ist bei dieser Sachlage nach geltendem Recht nicht zweifelhaft (BSGE 40, 42, 40; 40, 158, 159 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Der Truppenarzt ist im Rahmen seines besonderen Aufgabenbereichs nach § 3 der Verordnung über die Regelung des militärischen Vorgesetztenverhältnisses vom 4. Juni 1956 (BGBl I 459)/6. August 1960 (BGBl I 684) Vorgesetzter gegenüber "allen Soldaten", die er als Patienten zu behandeln hat (Nr 737 der Zentralen Dienstvorschrift -ZDv- 49/29). Das Rangverhältnis zwischen Sanitätsoffizier und Patient ist gleichgültig. Das gilt auch dann, wenn der Soldat nicht von einem Truppenarzt, sondern in einem Bundeswehrlazarett behandelt wird (Nr 126 ZDv 49/29).
Der Beklagte hat keinen Verfahrensmangel, der die Zulassung der der Revision nach § 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 103 SGG rechtfertigt, in der gebotenen Weise bezeichnet (BSG SozR 1500 § 160a Nr 34). Zu dem Vorwurf, das LSG hätte gemäß dem Beweisantrag ein pathologisches Gutachten durch Professor Dr L erstatten lassen müssen, wird in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargetan, aus welchen Gründen sich dem Berufungsgericht diese Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen und welche weiteren Erkenntnisse durch sie zu gewinnen gewesen wären (BSG SozR 1500 § 160a Nr 34). Dabei hätte sie von der unangreifbaren Beweiswürdigung im Berufungsurteil ausgehen müssen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5). An solchen Darlegungen fehlt es gegenüber den Feststellungen des LSG, die Art des Karzinoms, an dem der Verstorbene litt, sei in pathologischer Hinsicht bekannt und berücksichtigt und der gesamte Krankheitszustand und -verlauf sei über die pathologische Auswertung hinaus chirurgisch und internistisch zu würdigen.
Was der Beklagte an der Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) beanstandet, daß der Verstorbene bei rechtzeitiger Untersuchung und Operation wenigstens ein Jahr länger gelebt hätte, kann nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nicht zur Zulassung der Revision führen.
Die Beschwerde muß mithin mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückgewiesen werden.
Fundstellen