Entscheidungsstichwort (Thema)
Rahmengebühr für Armenrecht. Mittelwert. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit vor dem BSG. Umfang der Anwaltstätigkeit bei Gebührenänderung. Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Klägers
Orientierungssatz
1. Mußte sich ein Rechtsanwalt 1. durch Einsicht in die Verwaltungs- und in die Gerichtsakten mit dem Prozeßstoff bis einschließlich zum Ende des Berufungsverfahrens vertraut machen, verwertete er 2. wissenschaftliches Schrifttum für die Begründung der Revision in einer rechtlich und tatsächlich nicht einfachen Sache und mußte er sich 3. mit einem vom BSG übersandten Urteil kritisch auseinandersetzen und einer Auflage des Gerichts nachkommen, rechtfertigt dies wohl ein Überschreiten der Mittelgebühr, jedoch nicht die Festsetzung des Höchstsatzes.
2. Die Pauschgebühr kann bis zum Höchstbetrag - wegen mündlichen Verhandelns nur dann erhöht werden, wenn in der Sitzung darüber hinaus der Rechtsanwalt infolge eines bedeutsamen Rechtsgesprächs über besonders schwierige Rechtsfragen zusätzlich eine besondere Leistung hätte erbringen und sich eventuell auch schon darauf vorbereiten müssen. Für diesen Fall in Verbindung mit aufwendigen Vorarbeiten für die Rechtsmittelbegründung muß die Höchstsumme vorbehalten bleiben.
3. Obgleich eine Pauschgebühr als einheitliche Vergütung für die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts während eines Rechtszuges festzusetzen ist, ist doch bei der Bemessung "nach billigem Ermessen" entsprechend dem "Umfang" der Arbeit zu berücksichtigen, in welchen rechtserheblichem Zeitraum das Schwergewicht oder ein bedeutender Anteil der anwaltlichen Leistung gefallen ist.
4. Zur Berücksichtigung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse nach § 12 Abs 1 S 1 BRAGebO im Armenrecht.
Normenkette
SGG § 167 Fassung: 1953-09-03; BRAGebO § 116 Abs 1 Nr 3 Fassung: 1975-08-20, § 12 Abs 1 S 1 Fassung: 1975-08-20; KostÄndG Art 5 § 2 Abs 5
Gründe
Die Erinnerung ist nicht begründet.
Auf den Antrag vom 5. März 1981 ist für die Tätigkeit des Rechtsanwalts, der als Armenanwalt in dem durch Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Dezember 1976 beendeten Revisionsverfahrens nach § 167 Sozialgerichtsgesetz -SGG- (idF, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe vom 13. Juni 1980 - BGBl I 677 - am 1. Januar 1981 - galt - Art 5 Nr 1 Satz 1 und 2, Art 7 Abs 1) bestellt worden war, der Pauschsatz nach § 116 Abs 1 Nr 3 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte -BRAGO- (in der bis zum 31. Dezember 1980 geltenden Fassung des Art 3 Nr 61 des Gesetzes zur Änderung des Gerichtskostengesetzes, des Gesetzes über die Kosten der Gerichtsvollzieher, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und anderer Vorschriften vom 20. August 1975 - BGBl I 2189, 2227 im Ergebnis zutreffend auf 750,-- DM festgesetzt worden. Maßgebend war der Rahmen von 75,-- bis 900,-- DM nach dieser Fassung des Gesetzes, das am 15. September 1975 in Kraft getreten ist (Art 5 § 6), weil der Rechtsanwalt durch Beschluß vom 3. Juni 1976, also nicht vor jenem Zeitpunkt als Armenanwalt beigeordnet war (Art 5 § 2 Abs 4 Satz 1). Grundsätzlich war bei der Ermittlung eines angemessenen Gebührenbetrages vom Mittelwert auszugehen, dh von 487,50 DM (Riedel/Sußbauer, BRAGO, Kommentar, 4. Aufl 1978, § 12, Rdnrn 11 und 12; Schumann/Geißinger, BRAGO, Großkommentar, 2. Bd, 2. Aufl 1979, § 116, Rdnr 9). Im übrigen waren gem § 12 Abs 1 Satz 1 BRAGO alle Umstände des Einzelfalles nach billigem Ermessen zu berücksichtigen, insbesondere die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger, der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Klägers.
Ein besonderer Arbeitsaufwand entstand für den Rechtsanwalt durch zwei Umstände: 1. mußte er sich durch Einsicht in die Verwaltungs- und in die Gerichtsakten mit dem Prozeßstoff bis einschließlich zum Ende des Berufungsverfahrens vertraut machen. 2. verwertete er wissenschaftliches Schrifttum für die Begründung der Revision in der rechtlich und tatsächlich nicht einfachen Sache, wie der Inhalt des Schriftsatzes vom 22. August 1975 erkennen läßt. Außerdem mußte er sich mit einem vom BSG übersandten Urteil kritisch auseinandersetzen und einer Auflage des Gerichts nachkommen. Dies rechtfertigt wohl ein überschreiten der Mittelgebühr, doch nicht die Festsetzung des Höchstsatzes. Wenn der Rechtsanwalt nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, so kann ihm nicht allein deshalb eine geringere Pauschgebühr zugestanden werden, als wenn er diesen Zeitaufwand auf sich genommen, aber in der Verhandlung bloß schriftliches Vorbringen wiederholt hätte. Die Pauschgebühr hätte andererseits - bis zum Höchstbetrag - wegen mündlichen Verhandelns nur dann erhöht werden können, wenn in der Sitzung darüber hinaus der Rechtsanwalt infolge eines bedeutsamen Rechtsgesprächs über besonders schwierige Rechtsfragen zusätzlich eine besondere Leistung hätte erbringen und sich evtl auch schon darauf vorbereiten müssen. Für diesen Fall in Verbindung mit aufwendigen Vorarbeiten für die Rechtsmittelbegründung muß die Höchstsumme vorbehalten bleiben. Mindernd fällt hingegen in diesem Fall folgendes ins Gewicht: Obgleich eine Pauschgebühr als einheitliche Vergütung für die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts während eines Rechtszuges festzusetzen ist, war doch bei der Bemessung "nach billigem Ermessen" entsprechend dem "Umfang" der Arbeit zu berücksichtigen, in welchen rechtserheblichem Zeitraum das Schwergewicht oder ein bedeutender Anteil der anwaltlichen Leistung gefallen ist. Das war das Anfertigen der Revisionsbegründung in der Zeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 20. August 1975, das den Gebührenrahmen auf 900,-- DM erhöht hat. Bis dahin war der Höchstbetrag für die Revisionsinstanz nur 500,-- DM (§ 124 Abs 2 Nr 3 BRAGO idF des Gesetzes zur Änderung der BRAGO und anderer Gesetze vom 30. Juni 1965 - BGBl I 577). Falls dem Kläger auf den am 19. Juni 1975 beim BSG eingegangenen Antrag zugleich, jedenfalls vor dem 15. September 1975 der Rechtsanwalt als Armenanwalt beigeordnet worden wäre, müßte das bis dahin geltende Gebührenrecht angewendet werden. Die zitierte Übergangsvorschrift hat zwar allein den Tag der Beiordnung für den zeitlichen Geltungsbereich alten und neuen Rechts als maßgeblich erklärt. Aber "im übrigen" galt weiterhin das bisherige Recht für Gebühren und Auslagen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 20. August 1975 fällig geworden waren (Art 5 § 2 Abs 5). Dieser Rechtsgedanke ist - ungeachtet des Pauschalierungsgrundsatzes - bei der Festsetzung der erst später fällig gewordenen Gebühr, die sich ua nach dem Umfang der Tätigkeit des Armenanwalts bemißt, entsprechend zu berücksichtigen. Schließlich waren die ungünstigen Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Klägers nach der zwingenden Vorschrift des § 12 Abs 1 Satz 1 BRAGO bei der Ermessensentscheidung zu beachten. Das galt auch im Armenrechtsverfahren; denn der Kläger wurde nur einstweilen von der Gebührenbezahlung befreit (§ 167 Abs 2 SGG aF iVm § 125 Zivilprozeßordnung -ZPO- aF), und der Rechtsanwalt erhielt die "gesetzliche Vergütung" (§ 121 ZPO aF; für das SGG-Verfahren: Riede/Sußbauer, aaO, § 116, Rdnr 9; Swolana, BRAGO, Kommentar, 5. Aufl 1978, § 116, Anm 2 aE). Auch die nach dem Gegenstandswert zu bemessende Gebühr, die die Staatskasse dem Armenanwalt erstattet, war verringert gegenüber der vollen Gebühr (§§ 121, 123 BRAGO aF).
Die Höhe der Auslagen und der Umsatzsteuer ist nicht streitig.
Diese Entscheidung ist endgültig (§ 128 Abs 3 BRAGO, § 177 SGG analog, § 165 SGG).
Fundstellen