Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesamtschau bei Feststellung der MdE. grundsätzliche Bedeutung und konkreter Einzelfall. Bezeichnung eines Beweisantrages
Orientierungssatz
1. Hat ein Arbeitsunfall Schäden an mehreren Körperteilen gebracht, so ist die MdE im ganzen zu würdigen. Dabei ist entscheidend eine "Gesamtschau" der "Gesamteinwirkung" aller einzelnen Schäden auf die Erwerbsunfähigkeit (vergleiche BSG vom 15.3.1979 - 9 RVs 6/77 = BSGE 48, 82).
2. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht gegeben, wenn es sich nur um die von den gehörten Sachverständigen unterschiedlich beurteilte und vom Gericht für den konkreten Einzelfall zu beantwortende Frage handelt, wie sich ein Verkehrsunfall auf eine bereits vorgeschädigte Wirbelsäule ausgewirkt hat.
3. Zur Bezeichnung eines vom LSG zu berücksichtigenden Beweisantrages reicht es nicht aus, wenn sich der Kläger auf einen "vorsorglichen" Antrag in seinem Schriftsatz stützt, Sachverständige nochmals vorzuladen und den Antrag in der mündlichen Verhandlung nicht aufrechterhält.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 1, § 160 Abs 2 Nr 3, § 160a Abs 2 S 3
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 30.03.1988; Aktenzeichen III UBf 47/83) |
Gründe
Der Kläger ist mit seinem Begehren, ihm wegen der Folgen eines Verkehrsunfalls vom 8. November 1975 Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, ohne Erfolg geblieben (Bescheid vom 14. Dezember 1977; Urteile des Sozialgerichts vom 8. April 1981 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 7. September 1982 und 30. März 1988).
Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) sowie einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend.
Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, daß die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird (vgl Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, RdNr 84 mwN). Es muß eine klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen sein, welche bisher revisionsgerichtlich noch nicht - ausreichend - geklärt ist (s ua BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSG Beschluß vom 16. Dezember 1986 - 2 BU 173/86 -). Demgemäß muß der Beschwerdeführer, welcher die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen hat, aufzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht erforderlich erscheint. Das Bundessozialgericht (BSG) hat zur Frage der Feststellung des unfallbedingten Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß sich ihre Bemessung einerseits individuell nach dem Umfang der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung des Verletzten durch die Unfallfolgen und andererseits nach dem Umfang der dem Verletzten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens richtet (BSG SozR 2200 § 581 Nr 27; s auch die weiteren Nachweise bei Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 568g). Hat ein Arbeitsunfall Schäden an mehreren Körperteilen gebracht, so ist die MdE im ganzen zu würdigen. Dabei ist entscheidend eine "Gesamtschau" der "Gesamteinwirkung" aller einzelnen Schäden auf die Erwerbsfähigkeit (s BSGE 48, 82, 84 zur Feststellung der Gesamt-MdE im Rahmen des Schwerbehindertengesetzes). Mit dieser Rechtsprechung setzt sich der Beschwerdeführer nicht auseinander und legt insbesondere nicht dar, inwieweit diese noch einer weiteren Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung durch eine Revisionsentscheidung in dem vorliegenden Fall bedarf.
Davon abgesehen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht zu erkennen, weil es sich hier nur um die von den gehörten Sachverständigen unterschiedlich beurteilte und vom Gericht für den konkreten Einzelfall zu beantwortende Frage handelt, wie sich der Verkehrsunfall vom 8. November 1975 auf eine bereits vorgeschädigte Wirbelsäule ausgewirkt hat. Dabei ist das LSG unter Verwertung sämtlicher medizinischer Gutachten innerhalb der Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5) zu dem Ergebnis gelangt, daß beim Kläger bis auf Restbeschwerden (Kribbeln und Taubheitsgefühle und temporäre Schmerzen in den Beinen) über den Zweijahreszeitraum nach dem Unfall hinaus keine Unfallfolgen mehr vorhanden sind bzw die vorhandenen Schmerzen den im übrigen fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule anzulasten sind.
Soweit der Kläger ferner einen Verfahrensmangel geltend macht, ist die Beschwerde ebenfalls nicht zulässig. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann auf eine Verletzung des § 103 SGG (eine Verletzung dieser Vorschrift rügt offenbar der Kläger) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. In der Beschwerdebegründung muß nach § 160 Abs 2 Satz 3 SGG der Verfahrensmangel bezeichnet werden. Im vorliegenden Fall fehlt es an der schlüssigen Darlegung des Zulassungsgrundes (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5 und § 160a Nr 24), insbesondere an dem Vorhandensein eines entsprechenden Beweisantrags. Zur Begründung des Verfahrensmangels stützt sich der Kläger auf den "vorsorglichen" Antrag in seinem Schriftsatz vom 7. Oktober 1987, zur nächsten mündlichen Verhandlung den Orthopäden und den Neurologen nochmals zu laden. Damit hat der Kläger aber nicht einen vom LSG zu berücksichtigenden Beweisantrag bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Denn die näheren Umstände sprechen dafür, daß der Kläger diesen Antrag in der mündlichen Verhandlung am 30. März 1988 nicht mehr aufrechterhalten hat. Der persönlich anwesende Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung durch seinen Prozeßbevollmächtigten vertreten lassen. Dieser hat ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 30. März 1988 diesen Beweisantrag nicht mehr zur Entscheidung gestellt, sondern nur den Berufungsantrag zur Sache. Auch im Urteilstatbestand ist dieser Beweisantrag nicht aufgeführt. Der Senat hat dazu in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß es jedenfalls rechtskundig vertretenen Beteiligten obliegt, in der mündlichen Verhandlung alle diejenigen Anträge zur Niederschrift des Gerichts zu stellen, über die das Gericht entscheiden soll (vgl Beschluß des Senats vom 7. Juli 1988 - 2 BU 1/88 - mwN). Es ist Sinn der erneuten Antragstellung zum Schluß der mündlichen Verhandlung auch darzustellen, welche Anträge nach dem Ergebnis der für die Entscheidung maßgebenden mündlichen Verhandlung noch abschließend gestellt werden, mit denen sich das LSG dann im Urteil befassen muß, wenn es ihnen nicht folgt.
Die Beschwerde war deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen