Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Rechtsfrage. Grundsätzliche Bedeutung. Erklärung. Jahresfrist. Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland. Aussiedler. Spätaussiedler. Kindererziehungszeiten. Berücksichtigungszeiten. Vater. Mutter. Zuordnung. Aufklärungspflicht. Aufrufverfahren. Information. Wiedereinsetzung. Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Frage, ob § 28b FRG i.V.m. dem am 31.12.1996 geltenden § 249 Abs. 6 und 7 SGB VI eine Erklärung innerhalb eines Jahres nach Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland von Aussiedlern bzw. Spätaussiedlern auch dann verlangen darf, wenn die KEZ/KBZ nur dem Vater zugeordnet werden können, weil die Mutter nach Änderung des BVFG durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21.12.1992 nach dem FRG nicht mehr berechtigt ist, ist nicht klärungsbedürftig, so dass die ihr zu Grunde liegende Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
2. Die Frage, ob die Frist des § 28b FRG i.V.m. § 249 Abs 6 SGB VI ohne entsprechende Aufklärung zu laufen beginnen kann, ist nicht klärungsbedürftig, so dass die ihr zu Grunde liegende Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
3. Die Frage, ob das Unterlassen einer dem Aufrufverfahren entsprechenden Information im Hinblick auf die innerhalb der Frist des § 28b FRG abzugebenden Erklärungen nicht zu einem Wiedereinsetzungsantrag nach § 27 SGB X berechtigt oder im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu berücksichtigen ist, ist nicht klärungsbedürftig, so dass die ihr zu Grunde liegende Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169; SGB VI § 56 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 249 Abs. 6-7; SGB X § 27; FRG § 28b; AVG § 28a Abs. 2, 5; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20, 116
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Juni 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist im Überprüfungsverfahren streitig, ob der Kläger eine höhere Regelaltersrente unter Anerkennung weiterer Kindererziehungszeiten (KEZ) und Berücksichtigungszeiten (KBZ) für die Zeit 1981 bis 1993 für seine beiden in Kasachstan geborenen (1981 und 1986) und aufgezogenen Kinder beanspruchen kann. Ein entsprechender Antrag der Beigeladenen wurde für den streitbefangenen Zeitraum abgelehnt, weil sie nicht als Spätaussiedlerin nach § 4 BVFG anerkannt ist. Mit Urteil vom 23.6.2020 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch des Klägers verneint und seine Berufung gegen das Urteil des SG Karlsruhe vom 26.6.2018 zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt und eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht (Schriftsätze vom 23.9.2020 und 16.11.2020).
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Es wird kein Grund iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG für eine Zulassung der Revision nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt.
Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 160a RdNr 32 ff). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger stellt zunächst die Frage,
ob § 28b FRG iVm dem am 31.12.1996 geltenden § 249 Abs 6 und 7 SGB VI eine Erklärung innerhalb eines Jahres nach Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland von Aussiedlern bzw Spätaussiedlern auch dann verlangen darf, wenn die KEZ/KBZ nur dem Vater zugeordnet werden können, weil die Mutter nach Änderung des BVFG durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21.12.1992 nach dem FRG nicht mehr berechtigt ist.
Die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage hat der Kläger nicht hinreichend dargetan. Er trägt selbst vor, das BSG habe hierzu bereits ausgeführt, es ergebe sich unmittelbar aus § 28b Satz 2 FRG, dass die übereinstimmenden Erklärungen nach dem am 31.12.1996 geltenden § 249 Abs 6 und 7 SGB VI (aF) über die - rückwirkende - Zuordnung der im Herkunftsgebiet zurückgelegten KEZ sowie der KBZ wirksam nur innerhalb eines Jahres nach dem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland abgegeben werden konnten (Beschluss vom 25.2.2020 - B 13 R 284/18 B - juris RdNr 4). Soweit der Kläger meint, in diesem Verfahren sei nicht berücksichtigt worden, dass der Regelung des § 249 Abs 6 und 7 SGB VI aF ein "Aufrufverfahren" vorgeschaltet gewesen sei, legt er bereits nicht dar, was genau hiermit bezeichnet werden soll und in welchen Regelungen dieser Vorschrift er ein solches Verfahren verortet. Er bezieht sich auf ein Urteil des BSG vom 31.8.2000 (B 4 RA 28/00 R), in dem auf § 28a Abs 2 und 5 AVG verwiesen wird. Erklärungen zur Zuordnung von KEZ waren danach längstens bis zum Ende des Jahres nach dem Jahr zulässig, in dem die Rentenversicherungsträger die Versicherten letztmalig zur Meldung der Zeiten der Kindererziehung aufgerufen haben. Eine ähnliche Regelung für den hier in Bezug genommenen § 249 Abs 6 SGB VI aF hat der Kläger nicht aufgezeigt. Warum in seinem Fall nichts anderes gelten könne als in den Fällen des § 249 Abs 6 Satz 6 SGB VI aF, wonach die KEZ insgesamt und ohne Erklärung dem Vater zugeordnet werden, wenn die Mutter vor dem 1.1.1986 verstorben ist, erläutert der Kläger nicht näher. Die Behauptung, das Versterben der Mutter sei lediglich ein Beispielsfall, belegt der Kläger ebenso wenig wie den Willen des Gesetzgebers, die Regelung auf Fälle auszudehnen, in denen eine Zurechnung zur Mutter aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht kommt. Nicht nachvollziehbar begründet wird auch der Vortrag, es ergebe sich aus § 56 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB VI, wonach unter den weiteren Voraussetzungen der Nr 1 und 2 KEZ angerechnet werden, wenn der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist, dass stets dann, wenn eine KEZ bei der Mutter nicht angerechnet werden kann, eine Anrechnung beim Vater zu erfolgen habe. Schließlich fehlt es, soweit er der Auffassung ist, die Frist des § 28b FRG iVm § 249 Abs 6 SGB VI aF beginne nicht zu laufen, bevor die Beklagte über die Frist informiert habe, an einer Auseinandersetzung mit der bisherigen Rechtsprechung zu Sinn und Zweck der Frist, die die Betroffenen allenfalls mittelbar - als Reflex - begünstigt (vgl BSG Urteil vom 31.8.2000 - B 4 RA 28/00 R - juris RdNr 20; BSG Urteil vom 3.4.2001 - B 4 RA 89/00 R - SozR 3-2600 § 56 Nr 15 S 86).
Der Kläger fragt weiter,
ob die Frist des § 28b FRG iVm § 249 Abs 6 SGB VI ohne entsprechende Aufklärung zu laufen beginnen kann.
Insoweit trägt der Kläger vor, es habe hier ein von Art 14 Abs 1 GG geschütztes Recht bestanden, weil zum Zeitpunkt seines Zuzugs die Zuerkennung von KEZ Bestandteil des FRG und des SGB VI gewesen sei. Dies sei Bestandteil des Integrationsversprechens aus Art 116 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip nach Art 20 GG gewesen. Art 3 GG sei gegenüber den bundesdeutschen Berechtigten verletzt, weil sie durch das "Aufrufverfahren" informiert worden seien, und gegenüber den bis zum 31.12.1992 aufgenommenen Ehepaaren, weil bei ihnen jedenfalls eine Anrechnung von KEZ bei der Mutter stattgefunden habe. Die KEZ komme zudem in erheblichem Umfang Deutschland zugute. Schließlich sei auch Art 2 Abs 1 GG iVm dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip verletzt.
Auch dieser Vortrag lässt jede vertiefte Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerfG und BSG zur verfassungsrechtlichen Beurteilung von § 249 SGB VI vermissen. Der Kläger referiert lediglich kurz aus dem Beschluss des BVerfG vom 13.6.2006 (1 BvL 11/00 ua - BVerfGE 116, 96 = SozR 4-5050 § 22 Nr 5), der sich zu Änderungen des FRG verhält. Dabei führt er selbst zutreffend aus, dass nach diesem Beschluss das Fremdrentenrecht, das die Betroffenen bei ihrem Zuzug vorgefunden hätten, keine Eigentumsrechte begründe. Wie der Kläger sodann eine Verletzung von Art 14 GG damit begründen kann, dass die Berücksichtigung von KEZ Bestandteil des FRG gewesen sei, erschließt sich nicht.
Schließlich fragt der Kläger,
ob das Unterlassen einer dem Aufrufverfahren entsprechenden Information im Hinblick auf die innerhalb der Frist des § 28b FRG abzugebenden Erklärungen nicht zu einem Wiedereinsetzungsantrag nach § 27 SGB X berechtigt oder im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu berücksichtigen ist.
Auch insofern findet eine ausreichende Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung nicht statt. Der Kläger trägt erneut - und auch hier nicht weiter substantiiert - vor, das BSG habe in seinem Beschluss vom 25.2.2020 nicht berücksichtigt, dass § 249 Abs 6 und 7 SGB VI ein Aufrufverfahren vorgeschaltet gewesen sei. Die Argumentation der Rechtsprechung zur fehlenden Wiedereinsetzungsmöglichkeit wird ebenso wenig berücksichtigt wie diejenige zum Ausschluss eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14285348 |