Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenprivilegierung behinderter Menschen vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit
Orientierungssatz
Maßgeblich für das Wirksamwerden des Kostenprivilegs für behinderte Menschen im Sozialgerichtsverfahren ist nicht allein das Vorliegen einer Behinderung iS von § 2 Abs 1 SGB 9 2018, sondern vielmehr, ob in dem konkreten Rechtsstreit um Rechte gestritten wird, die gerade behinderten Menschen in dieser Eigenschaft zustehen (vgl BSG vom 24.4.2020 - B 5 SF 6/20 S = juris RdNr 9).
Normenkette
SGG § 73 Abs. 4, § 183 S. 1, § 197a Abs. 1 S. 1; GKG § 1 Abs. 2 Nr. 3; GKG 2004 § 1 Abs. 2 Nr. 3; GKG § 1 Abs. 5; GKG 2004 § 1 Abs. 5; GKG § 3 Abs. 1; GKG 2004 § 3 Abs. 1; GKG § 21 Abs. 1 S. 3; GKG 2004 § 21 Abs. 1 S. 3; GKG § 34 Abs. 1; GKG 2004 § 34 Abs. 1; GKG § 66 Abs. 1 S. 1; GKG 2004 § 66 Abs. 1 S. 1; GKG § 66 Abs. 5 S. 1; GKG 2004 § 66 Abs. 5 S. 1; GKG § 66 Abs. 6 S. 1; GKG 2004 § 66 Abs. 6 S. 1; GKG § 71 Abs. 1 S. 1; GKG 2004 § 71 Abs. 1 S. 1; GKG § 71 Abs. 1 S. 2; GKG 2004 § 71 Abs. 1 S. 2; GKVerz Nr. 7502; VwGO § 154 Abs. 2; SGB IX § 2 Abs. 1; SGB 9 2018 § 2 Abs. 1
Tenor
Die Erinnerung gegen die Festsetzung der Gerichtskosten in der Schlusskostenrechnung der Geschäftsstelle des Bundessozialgerichts vom 13. April 2021 (B 2 U 174/20 B) wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Der 2. Senat des BSG hat mit Beschluss vom 19.1.2021 (B 2 U 174/20 B) die Beschwerde des Klägers und hiesigen Erinnerungsführers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.7.2020 (L 17 U 366/19) als unzulässig - weil nicht formgerecht von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt - verworfen. Zugleich wurde in dem genannten Beschluss der Kläger gemäß § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO zur Tragung der Kosten des Beschwerdeverfahrens verpflichtet und der Streitwert für das Beschwerdeverfahren auf 5579,15 Euro festgesetzt. Das Ausgangsverfahren vor dem LSG betraf die Wirksamkeit einer vor dem SG Aachen erklärten Klagerücknahme in einem Rechtsstreit, in dem sich der 1946 geborene Kläger gegen die Ablehnung der Rücknahme einer Zuständigkeitsfeststellung der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft vom 5.7.2006 für seine Tätigkeit als Unternehmer der Pferdezucht und Pferdehaltung sowie gegen die Vollstreckung der zum 15.1.2018 fälligen Beiträge samt Mahngebühren und Säumniszuschläge wandte.
Unmittelbar nach Zustellung des Beschlusses vom 19.1.2021 und noch vor Festsetzung der Kosten trug der Kläger mit Telefax vom 14.2.2021 vor, dass er "den Kostenansatz insgesamt" bestreite. Der 2. Senat des BSG hat das - da ein Kostenansatz überhaupt noch nicht vorliege - in der Sache als Rechtsbehelf gegen die in dem Beschluss vom 19.1.2021 ausgesprochene Verpflichtung zur Tragung der Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens dem Grunde nach gedeutet. Er hat dieses Begehren mit Beschluss vom 8.3.2021 (B 2 U 2/21 S - juris) unter Heranziehung der Verfahrensvorschriften in § 66 GKG zurückgewiesen. Die Kostenbeamtin der Geschäftsstelle hat sodann in der Schlusskostenrechnung vom 13.4.2021 die vom Kläger (Erinnerungsführer) zu tragenden Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG gemäß Nr 7502 des Kostenverzeichnisses (KV - Anlage 1 zu § 3 Abs 2 GKG) auf 330 Euro festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Kläger erneut mit einer Erinnerung (Telefax vom 26.4.2021 bzw vom 10.6.2021). Er macht eine greifbare Gesetzeswidrigkeit iS von § 21 GKG geltend, weil unter Verletzung des Kostenrechts § 197a SGG iVm § 3 GKG statt richtigerweise §§ 183, 193 SGG angewandt worden sei. Die Kostenbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen. Die Kostenprüfungsbeamtin ist dem am 22.6.2021 beigetreten.
II. 1. Zur Entscheidung über eine Kostenerinnerung ist nicht der für die Hauptsache zuständige 2. Senat des BSG, sondern der 5. Senat als Kostensenat berufen (§ 66 Abs 1 Satz 1 GKG iVm RdNr 5 Ziffer 13 des Geschäftsverteilungsplans des BSG für das Jahr 2021). Er entscheidet durch den zuständigen Berichterstatter als Einzelrichter (§ 66 Abs 6 Satz 1 iVm § 1 Abs 5 GKG).
2. Die Erinnerung ist zulässig. Sie ist formgerecht erhoben. Abweichend von dem für Verfahren vor dem BSG ansonsten geltenden Vertretungszwang (§ 73 Abs 4 SGG) bedarf es für eine Kostenerinnerung nach der Sondervorschrift in § 66 Abs 5 Satz 1 GKG keiner Vertretung durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (s auch § 1 Abs 5 GKG). Der Rechtsbehelf der Erinnerung nach § 66 Abs 1 GKG ist nicht fristgebunden (vgl BGH Beschluss vom 7.9.2011 - VIII ZB 22/10 - juris RdNr 8).
3. Die Erinnerung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die zulasten des Erinnerungsführers auf 330 Euro festgesetzte Verfahrensgebühr für das Beschwerdeverfahren ist weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden.
a) Rechtsgrundlage der festgesetzten Verfahrensgebühr für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist § 197a Abs 1 Satz 1 SGG sowie § 1 Abs 2 Nr 3, § 3 GKG iVm Nr 7502 KV. Nach der letztgenannten Bestimmung wird für ein Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eine 2,0-fache Gebühr nach Maßgabe des Streitwerts erhoben (§ 3 Abs 1 iVm § 34 Abs 1 GKG), wenn die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird. Der Verwerfungsbeschluss des 2. Senats vom 19.1.2021 (B 2 U 174/20 B) hatte eine solche Nichtzulassungsbeschwerde zum Gegenstand. Auf der Grundlage des in diesem Beschluss festgesetzten Streitwerts von 5579,15 Euro beträgt die einfache Gebühr in Verfahren über ein Rechtsmittel, das bis zum 31.12.2020 eingelegt worden ist (vgl § 71 Abs 1 Satz 1 und 2 GKG), nur 165 Euro (statt künftig 182 Euro). Die für das Verfahren zu zahlende zweifache Gebühr entspricht somit dem von der Kostenbeamtin in der Schlusskostenrechnung angeforderten Betrag von 330 Euro.
b) Die Einwendungen des Erinnerungsführers rechtfertigen es nicht, ihn von den Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren freizustellen.
aa) Seine Ansicht, für das Verfahren bestehe für ihn als behinderten Menschen Kostenfreiheit nach § 183 SGG, trifft nicht zu. Gemäß § 183 Satz 1 SGG ist das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger kostenfrei, "soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind". Maßgeblich für das Wirksamwerden des Kostenprivilegs für behinderte Menschen im Sozialgerichtsverfahren ist somit nicht allein das Vorliegen einer Behinderung iS von § 2 Abs 1 SGB IX, sondern vielmehr, ob in dem konkreten Rechtsstreit um Rechte gestritten wird, die gerade behinderten Menschen in dieser Eigenschaft zustehen (also zB die Feststellung eines GdB oder die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises; s hierzu BSG Beschluss vom 24.4.2020 - B 5 SF 6/20 S - juris RdNr 9 mwN; Toussaint, Kostenrecht, 51. Aufl 2021, § 183 SGG RdNr 3; Schmidt in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 183 RdNr 10; H. Lange in jurisPK-SGG, § 183 RdNr 43 ff, 60, Stand 31.3.2020; Boiczenko in Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, § 183 SGG RdNr 9, Stand 1.1.2021; Krauß in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK SGG, § 183 RdNr 36, Stand 1.5.2021). Das war bei dem vom Erinnerungsführer betriebenen Beschwerdeverfahren nicht der Fall. In der seiner Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Streitsache begehrte er vielmehr die Rücknahme eines Bescheids zur Zuständigkeitsfeststellung für seine Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer für Pferdezucht und Pferdehaltung sowie die Einstellung der Vollstreckung aus einem Beitragsbescheid. Der 2. Senat hat deshalb im Beschluss vom 19.1.2021 völlig zu Recht entschieden, dass der Kläger (Erinnerungsführer) nicht zu den in § 183 SGG kostenprivilegierten Personen gehört und für dieses Verfahren Gerichtskosten nach den Vorschriften des GKG zu erheben sind (§ 197a Abs 1 Satz 1 SGG).
bb) Nichts anderes folgt daraus, dass nach Angaben des Erinnerungsführers die Clearing-Stelle der DRV Bund im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens im Januar 2021 seine Versicherungsfreiheit als Beamter auf Lebenszeit des Landes Nordrhein-Westfalen (Lehrer, OStR) für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung festgestellt habe. Die Versicherungsfreiheit in der Kranken- und Pflegeversicherung hat mit der Kostenfreiheit für ein sozialgerichtliches Verfahren nichts zu tun, wenn im sozialgerichtlichen Verfahren um etwas ganz anderes gestritten wird (hier: um Beitragspflichten als landwirtschaftlicher Unternehmer).
cc) Auch aus § 74 der Satzung der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau in der Fassung des 33. Nachtrags vom 12.11.2020 ergibt sich keine Kostenbefreiung für das sozialgerichtliche Verfahren. In der genannten Bestimmung ist die Möglichkeit einer Versicherungsbefreiung für Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens bis zur Größe von 0,25 ha geregelt. Selbst wenn der Erinnerungsführer meint, diese Vorschrift sei auf ihn anzuwenden, obgleich er nach den Feststellungen des LSG eine Grundlandfläche von 4,2 ha für seine Pferdezucht nutzt, ist er in dem Streit hierüber nicht "Versicherter" iS des § 183 Satz 1 SGG, sondern Unternehmer (vgl BSG Beschluss vom 12.12.2019 - B 2 U 180/19 B - juris RdNr 3 mwN).
dd) Ebenso erschließt sich aus dem Hinweis des Erinnerungsführers auf § 19 Abs 6 SGB XII (Regelung zur Sonderrechtsnachfolge für sozialhilferechtliche Ansprüche auf Pflegegeld oÄ beim Tod des Leistungsberechtigten) keine "greifbare Gesetzeswidrigkeit" der von ihm angegriffenen Schlusskostenrechnung vom 13.4.2021.
ee) Soweit der Erinnerungsführer eine unrichtige Sachbehandlung darin begründet sieht, dass das LSG seine Nichtzulassungsbeschwerde an das BSG weitergeleitet habe, rechtfertigt das ebenfalls kein Absehen von der Erhebung der Gerichtskosten für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren. Zwar hat der Erinnerungsführer seine Beschwerdeschrift am 29.8.2020 an das LSG adressiert und per Telefax dorthin übersandt. Er hat darin aber ausdrücklich festgehalten: "… beantrage ich die Nichtzulassungs-Beschwerde beim Bundessozialgericht". Inwiefern die Weiterleitung dieses Begehrens an das BSG eine unrichtige Sachbehandlung gewesen sein könnte, erschließt sich dem Kostensenat nicht.
Im Übrigen hatte der Berichterstatter des 2. Senats des BSG den Erinnerungsführer mit Schreiben vom 28.10.2020 ausdrücklich auf die Kostenpflicht des Beschwerdeverfahrens hingewiesen. Von einer unverschuldeten Unkenntnis des Erinnerungsführers hinsichtlich der kostenrechtlichen Folgen seines Tuns, die gemäß § 21 Abs 1 Satz 3 GKG ein Absehen von der Kostenerhebung rechtfertigen könnte, kann hier mithin keine Rede sein.
4. Die Kostenentscheidung für das Verfahren der Erinnerung beruht auf § 66 Abs 8 GKG.
5. Gegen diese Entscheidung ist kein weiteres Rechtsmittel statthaft (§ 66 Abs 3 Satz 2 und 3 GKG - s hierzu BSG Beschluss vom 23.4.2021 - B 5 SF 2/21 S - juris RdNr 17).
Fundstellen
Dokument-Index HI14693357 |