Verfahrensgang
SG Landshut (Entscheidung vom 27.10.2021; Aktenzeichen S 14 R 338/20) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 25.01.2023; Aktenzeichen L 6 R 131/22) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Januar 2023 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig die Aufhebung eines Bewilligungsbescheides und ein Anspruch der Beklagten auf Erstattung überzahlter Rentenleistungen wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenzen.
Der im Jahr 1963 geborene Kläger war seit dem 14.5.1982 versicherungspflichtig beschäftigt und seit dem 18.11.2009 arbeitsunfähig erkrankt. Seit dem 1.6.2010 besteht ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die zunächst mit Bescheid vom 21.4.2011 befristet gewährte Rente wird seit dem 1.9.2016 auf Dauer geleistet (Bescheid vom 17.5.2018). Mit Aufhebungsvertrag vom 31.8.2018 wurde das frühere Arbeitsverhältnis beendet und die Auszahlung von verbliebenen Urlaubsansprüchen und eines Restguthabens vom Arbeitszeitkonto vereinbart. Nach der Lohnsteuerbescheinigung für 2018 erhielt der Kläger insgesamt 10 912,35 Euro brutto. Daneben bezog der Kläger im Jahr 2018 Arbeitsentgelt aus einer geringfügigen Beschäftigung in Höhe von 5400 Euro.
Die Beklagte berechnete die Rente wegen voller Erwerbsminderung neu, hob den Bescheid vom 21.4.2011 hinsichtlich der Rentenhöhe ab dem 1.1.2018 auf und forderte die Erstattung einer Überzahlung in Höhe von 3556,14 Euro (Bescheid vom 26.8.2019). Dem Kläger stehe die Erwerbsminderungsrente vom 1.1.2018 bis zum 31.12.2018 nur als Teilrente zu. Es sei als Arbeitsentgelt ein kalenderjährlicher Hinzuverdienst in Höhe von 16 312,35 Euro zu berücksichtigen. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22.4.2020).
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Auch das LSG hat einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer ungekürzten Erwerbsminderungsrente verneint. Das vom Kläger erzielte Arbeitsentgelt sowie die Urlaubsabgeltung seien als Hinzuverdienst zu berücksichtigen. Die vom Kläger für nicht verfallenen Urlaub für das Jahr 2017 (25 Tage) und für das Jahr 2018 (23,5 Tage) erhaltene Urlaubsabgeltung sei dem Jahr 2018 als Hinzuverdienst zuzuordnen. Maßgebend für die Einkommensanrechnung sei das Jahr der Auszahlung des Abgeltungsanspruchs (Urteil vom 27.10.2021; Beschluss vom 25.1.2023).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form begründet ist. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
1. Eine Rechtssache hat nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§ 162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung dieses Revisionszulassungsgrundes (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG) muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN; s auch Fichte in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 160a RdNr 32 ff). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend.
Nach Auffassung des Klägers sei zu klären,
"ob die Anrechnung von Urlaubsabgeltungsansprüchen als Hinzuverdienst auf Erwerbsunfähigkeitsrentenzahlungen europarechtskonform ist",
"ob die Rspr. des BSG zur Urlaubsabgeltung dahingehend auszulegen ist, dass Urlaubsabgeltung als Hinzuverdienst zu der Erwerbsunfähigkeitsrente zu berücksichtigen ist, auch in demjenigen Fall zur Anwendung gelangt, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Rentengewährung ruht und der Kläger zu keinem Zeitpunkt danach nochmals tätig wird"
"ob bei einem seit dem letzten Arbeitstag bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses beinahe neun Jahre ruhenden Arbeitsverhältnis noch ein vergangenheitsbezogener enger zeitlicher und innerer Zusammenhang des Urlaubsanspruchs besteht und damit die Urlaubsabgeltung noch eine Leistung aus dem Arbeitsverhältnis darstellt (BSG, Urteil vom 26.04.2018, B 5 R 26/16) oder ob das Arbeitsverhältnis bereits mit dem erstmaligen Bezug der befristeten Erwerbsminderungsrente endete."
Es kann dahin gestellt bleiben, ob der Kläger damit in allen Fällen abstrakte Rechtsfragen zur Auslegung revisibler (Bundes-)Normen formuliert, an der das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen könnte (vgl dazu BSG Beschluss vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 22.4.2020 - B 5 R 266/19 B - juris RdNr 5, jeweils mwN). Jedenfalls zeigt er einen (abstrakten) Klärungsbedarf nicht hinreichend auf. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort nicht außer Zweifel steht, sich zB nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nicht bereits höchstrichterlich entschieden ist. In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung getroffen wurde oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die nunmehr maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl zB BSG Beschluss vom 28.4.2022 - B 5 R 29/22 B - juris RdNr 9 mwN). Dies ist nicht geschehen.
Soweit der Kläger zunächst geltend macht, die Intention des Europarechts sei es, den Urlaub bzw die Urlaubsabgeltung als Vermögensposition zusätzlich zum Arbeitsentgelt zu schützen, erschließt sich aus seiner Beschwerdebegründung schon nicht, inwiefern der europarechtlich vorgegebene Schutz vorliegend "unterlaufen" werden könnte. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) erhielt der Kläger aufgrund des mit seinem früheren Arbeitgeber geschlossenen Aufhebungsvertrages eine Urlaubsabgeltung ausgezahlt. Inwiefern deshalb der finanzielle Ausgleichsanspruch gegen den Arbeitgeber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in das Vermögen des Arbeitnehmers übergegangen und ein "Verfall des Urlaubs bzw des Urlaubsabgeltungsanspruchs" vorliegen könnte, erklärt die Beschwerdebegründung nicht. Auch woraus der Kläger herleitet, die Urlaubsabgeltung müsse wie eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes behandelt werden, die nicht auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente anrechenbar sei, lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen.
Eine (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit hat der Kläger auch hinsichtlich der weiteren von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen nicht dargelegt. Soweit es ihm erkennbar um die Frage geht, ob eine Urlaubsabgeltung als Hinzuverdienst nach § 96a Abs 2 Satz 1 SGB VI in der hier einschlägigen Fassung des Gesetzes zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (Flexirentengesetz) vom 8.12.2016 (BGBl I 2838) zu berücksichtigen ist, befasst er sich schon nicht hinreichend mit dem Gesetzestext. Nach § 96a Abs 2 Satz 1 SGB VI sind Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen und vergleichbares Einkommen als Hinzuverdienst zu berücksichtigen. Der noch bis zum 30.6.2017 in § 96a Abs 1 Satz 2 SGB VI enthaltene Zusatz Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen "aus einer Beschäftigung" ist nicht mehr Teil der Vorschrift. Die Gesetzesänderung diente der Klarstellung, dass es für die Frage, ob Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen als rentenrechtlicher Hinzuverdienst zu berücksichtigen ist, nicht darauf ankommt, ob eine Beschäftigung oder Tätigkeit tatsächlich ausgeübt wird (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks 18/9787, S 44 unter Hinweis auf S 39).
Der Kläger legt schließlich keine Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen dar, indem er in seiner Beschwerdebegründung auf das noch zur früheren Rechtslage ergangene Urteil des Senats vom 26.4.2018 (B 5 R 26/16 R - BSGE 126, 14 = SozR 4-2600 § 96a Nr 18) verweist. Danach waren zwar Einmalzahlungen, die einem Versicherten nach Rentenbeginn bei ruhendem Arbeitsverhältnis und einer zu diesem Zeitpunkt bereits unterbrochenen oder beendeten Beschäftigung (im leistungsrechtlichen Sinne) noch zuflossen, kein ("rentenschädlicher") Hinzuverdienst iS des § 96a SGB VI. Etwas anderes galt aber auch nach früherem Recht bei während des Rentenbezugs fortbestehender Beschäftigung, die erst später durch Kündigung oder wie im Fall des Klägers durch Aufhebungsvertrag endete. Allein das durchgehende Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit und ein dadurch bedingtes "faktisches Ruhen" des Arbeitsverhältnisses beendete die leistungsrechtliche Beschäftigung nicht (vgl BSG aaO RdNr 15 ff BSG unter Hinweis auf BSG Urteil vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14; siehe auch bereits BSG Urteil vom 6.9.2017 - B 13 R 21/15 R - BSGE 124, 112 = SozR 4-2600 § 96a Nr 16, RdNr 65 und nachfolgend BSG Urteil vom 12.3.2019 - B 13 R 35/17 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 19 RdNr 18). Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung fehlt ebenso wie nachvollziehbare Ausführungen zur Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Fragen.
2. Mit seinem Vorbringen, es liege ein Fall der Abweichung "von der bisherigen BSG-Entscheidung" vor, hat der Kläger auch eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht hinreichend begründet. Eine Divergenz liegt vor, wenn das LSG seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde legt, der von einem zu derselben Rechtsfrage entwickelten abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht. Dazu hat er schon keine solchen Rechtssätze einander gegenüber gestellt (zu den Begründungsanforderungen im Einzelnen vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 13).
3. Auch einen Verfahrensmangel hat der Kläger nicht hinreichend bezeichnet. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Einen solchen Verfahrensfehler hat der Kläger in seiner Beschwerdebegründung ebenfalls nicht aufgezeigt.
Mit seinem Vortrag, das LSG habe verfahrensfehlerhaft nicht ermittelt, wann das Arbeitsverhältnis geendet habe, eine ausdrückliche Ruhensvereinbarung sei zwischen ihm und seinem früheren Arbeitgeber nicht getroffen worden und auch ein Ruhen aufgrund von arbeitsvertraglichen und tariflichen Bestimmungen sei nicht ersichtlich, macht der Kläger eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG) geltend. Dazu hat der bereits vor dem LSG durch seine Prozessbevollmächtigte rechtskundig vertretene Kläger jedoch nicht vorgetragen, dass er gegenüber dem LSG einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag zu noch weiter aufklärungsbedürftigen Punkten (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO) gestellt und bis zuletzt aufrechterhalten hat (zu den Anforderungen bei einer Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG vgl BSG, Beschluss vom 22.6.2023 - B 5 R 40/23 B - juris RdNr 6 mwN). Die Bezeichnung eines solchen Beweisantrags gehört zu den grundlegenden Anforderungen an eine Rüge der Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (stRspr; vgl ua BSG Beschluss vom 3.5.2023 - B 5 R 52/23 B - juris RdNr 7).
Soweit der Kläger geltend machen will, dass das LSG den Bestand seines Beschäftigungsverhältnisses falsch beurteilt habe, kann hierauf eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl BSG Beschluss vom 31.7.2023 - B 5 R 69/23 B - RdNr 10 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16079195 |