Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 11. Mai 1992 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin betreibt eine Praxis für Physiotherapie, in der regelmäßig mehrere Arbeitnehmerinnen beschäftigt sind. Sie nimmt am Ausgleich der Arbeitnehmeraufwendungen nach dem Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG) teil. Wegen der Aufwendungen für eine Arbeitnehmerin, die während der Schwangerschaft einem Beschäftigungsverbot unterlag, beantragte die Klägerin bei der beklagten Krankenkasse Erstattung von 7.934,– DM. Die Beklagte erstattete nur einen Betrag von 5.553,80 DM, nämlich 70 vH der Aufwendungen des Arbeitgebers (Bescheid vom 17. Mai 1990; Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 1991). Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Köln vom 11. Mai 1992). Mit Beschluß vom 11. Mai 1992, der Klägerin zugestellt am 10. Juli 1992, ließ das SG Köln die Revision gegen das vorbezeichnete Urteil zu.
Mit Schriftsätzen vom 20. und 21. Juli 1992, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 23. Juli 1992, legte der erste Vorsitzende der „Praxisvereinigung Physiotherapie eV” als Bevollmächtigter der Klägerin Revision ein und trug vor, der genannte Verein, der eine Vereinigung mit sozial- und berufspolitischer Zwecksetzung sei, werde nach seiner Satzung gerichtlich und außergerichtlich vom Vorsitzenden allein vertreten.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist nicht in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt worden. Dieses Rechtsmittel ist nach § 164 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beim BSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 161 Abs. 3 Satz 2 SGG) schriftlich einzulegen. Diese Frist ist nicht gewahrt. Der Beschluß des SG Köln vom 11. Mai 1992, mit dem die Revision gegen das Urteil vom 11. Mai 1992 zugelassen worden ist, ist der Klägerin am 10. Juli 1992 zugestellt worden. Die am 23. Juli 1992 eingegangene Revisionsschrift, die von N. S. als erstem Vorsitzenden der Praxisvereinigung Physiotherapie eV unterzeichnet ist, entspricht nicht der gesetzlich vorgesehenen Form. Nach § 166 Abs. 1 SGG müssen sich die Beteiligten, soweit es sich nicht um Behörden oder Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Anstalten des öffentlichen Rechts handelt, vor dem BSG durch Prozeßbevollmächtigte vertreten lassen. Als Prozeßbevollmächtigte sind nach § 166 Abs. 2 SGG vor dem BSG neben den bei deutschen Gerichten zugelassenen Rechtsanwälten ua nur zugelassen: „Mitglieder und Angestellte von Gewerkschaften, von selbständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung oder von Vereinigungen von Arbeitgebern, sofern sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozeßvertretung befugt sind”. Die Praxisvereinigung Physiotherapie eV ist keine selbständige Arbeitnehmer- oder Arbeitgebervereinigung im vorgenannten Sinne.
Das BSG hat hierzu bereits für Vereinigungen von Arbeitnehmern entschieden, daß nur solche Vereinigungen in Betracht kommen, die eine gewisse Bedeutung haben und aufgrund ihrer Mitgliederzahl und finanziellen Mittel die Gewähr dafür bieten, daß sie geeignete Prozeßvertreter bereitstellen können. Diese Gewähr wurde grundsätzlich erst dann als gegeben angesehen, wenn der Verband mindestens 1000 Mitglieder hat (BSG SozR Nr. 39 zu § 166 SGG). Für Vereinigungen von Arbeitgebern gilt im Grundsatz nichts anderes, auch wenn hier bei größerer Finanzkraft der Mitglieder eine geringere Mitgliederzahl ausreichen mag (BSG SozR 1500 § 166 Nr. 13). Diese Differenzierung nach der Mitgliederzahl ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli 1985 in SozR 1500 § 166 Nr. 14).
Auf diese Rechtsprechung vom beschließenden Senat mit Schreiben vom 6. Oktober 1992 hingewiesen, hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin mitgeteilt, daß die Praxisvereinigung Physiotherapie eV weniger als 100 Mitglieder habe und daß er bereit sei, einen Rechtsanwalt mit der Weiterführung der Sache zu beauftragen, wenn ihm eine Fristverlängerung bis zum 30. Oktober 1992 bzw eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werde. Auf den weiteren Hinweis des Gerichts, daß das SGG eine Verlängerung der Frist zur Einlegung der Revision nicht vorsehe und daß gemäß § 67 SGG iVm §§ 165, 166 SGG auch ein Wiedereinsetzungsantrag von einem zugelassenen Prozeßbevollmächtigten gestellt werden müsse, im übrigen das voraussichtliche Ergebnis der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag nicht vorab mitgeteilt werden könne, legte Rechtsanwältin A. mit Schriftsatz vom 9. November 1992 – eingegangen beim BSG am 11. November 1992 – namens und in Vollmacht der Klägerin Revision ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, die Klägerin sei ohne ihr Verschulden verhindert gewesen, die Revisionsfrist einzuhalten; sie sei erst mit Schriftsatz des beschließenden Senats vom 18. (richtig: 6.) Oktober 1992 auf die Rechtsprechung zu § 166 Abs. 2 SGG hingewiesen worden, die ihr und ihrem Prozeßbevollmächtigten bis dahin nicht bekannt gewesen sei. Die Rechtsmittelbelehrung habe keinen entsprechenden Hinweis enthalten. Zur Begründung der Revision verwies Rechtsanwältin A. auf die Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 21. Juli 1992.
Dem Wiedereinsetzungsantrag kann nicht stattgegeben werden, weil die Voraussetzungen des § 67 SGG nicht erfüllt sind. Ungeachtet der Frage, ob der Antrag rechtzeitig gestellt und die versäumte Rechtshandlung rechtzeitig nachgeholt worden ist – beides muß binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses geschehen, § 67 Abs. 2 Satz 1 und 3 SGG –, fehlt es bereits daran, daß die Klägerin nicht „ohne Verschulden verhindert war”, die Revisionsfrist einzuhalten. An einem Verschulden fehlt es dann, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozeßführenden nach den gesamten Umständen zuzumuten ist; auch bei Anwendung der danach gebotenen Sorgfalt muß die Versäumung der Verfahrensfrist nicht vermeidbar gewesen sein (BSG GrS SozR 1500 § 67 Nr. 1; BSGE 1, 227, 232; Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 4. Aufl. § 67 Anm. 3 mwN). Bei (unverschuldetem) Rechtsirrtum – hier über die Voraussetzungen, nach denen ein Verbandsvertreter als Prozeßbevollmächtigter vor dem BSG zugelassen ist – wird ein Wiedereinsetzungsgrund nur ausnahmsweise dann anerkannt, wenn der Irrtum auch bei sorgfältiger Prüfung nicht vermieden werden konnte (vgl BGH JR 1955, 101). Im vorliegenden Falle war der Irrtum nicht schon deshalb unvermeidbar, weil die Rechtsmittelbelehrung keinen Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG zu § 166 Abs. 2 SGG enthielt. Eines solchen Hinweises bedurfte es nicht. Die Rechtsmittelbelehrung, die ua den Hinweis enthält, daß die Revision von einem beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten einzulegen ist und den vollen Wortlaut des § 166 Abs. 2 SGG wiedergibt, entspricht nicht nur den Anforderungen des § 66 Abs. 1 SGG, sondern auch dem darüber hinausgehenden Gebot, daß der Beteiligte über den wesentlichen Inhalt auch der Formvorschriften bei Einlegung des Rechtsmittels belehrt werden muß (BSG SozR Nr. 22 zu § 66 SGG; BSGE 1, 194, 195; 1, 254, 255). Noch weitergehende Hinweise, insbesondere auf die einschränkende Rechtsprechung zu § 166 Abs. 2 SGG, sind jedoch nicht geboten. Die Rechtsbehelfsbelehrung dient vor allem dem Zweck, rechtsunkundige Beteiligte darüber zu unterrichten, auf welchem Wege sie die ergangene Entscheidung anfechten können. Um dieses Ziel zu erreichen, muß die Belehrung so einfach und klar wie möglich gehalten sein. Sie muß so abgefaßt sein, daß die Beteiligten ohne Gesetzeslektüre erste Schritte zur Einlegung des Rechtsmittels unternehmen können, muß aber nicht allen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten Rechnung tragen. Insbesondere muß den Beteiligten nicht jede eigene Überlegung durch die Rechtsmittelbelehrung erspart bleiben. Es ist ihnen vielmehr zuzumuten, sich im Zweifelsfall sachkundig beraten zu lassen (vgl BSG SozR 1500 § 66 Nr. 2 mwN). Da eine Vereinigung von Physiotherapeuten und deren Praxen mit dem Zweck der Sicherstellung von Physiotherpieleistungen in unterversorgten Gebieten nicht zweifelsfrei von § 166 Abs. 2 SGG erfaßt wird, war eine sachkundige Prüfung geboten. Diese ist offensichtlich sowohl von der Klägerin als auch von ihrem Bevollmächtigten unterlassen worden, im Falle der Klägerin möglicherweise in der (irrigen) Annahme, daß ihr Bevollmächtigter über die entsprechende Sachkunde verfügt. Auch das vermag aber die Wiedereinsetzung nicht zu rechtfertigen.
Die Klägerin muß sich nämlich das Verschulden ihres Bevollmächtigten (hinsichtlich unterlassener Beratung über die Voraussetzungen des § 166 Abs. 2 SGG) wie eigenes Verschulden zurechnen lassen. Es entspricht der herrschenden Meinung, daß das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten dem Verschulden des Beteiligten gleichsteht (vgl § 73 Abs. 4 SGG iVm § 85 Abs. 2 ZPO; BSG SozR Nrn 2, 7, 10, 16, 24 zu § 67 SGG; BSG GrS SozR 1500 § 67 Nr. 1). Das gilt auch für das Verschulden von Verbandsvertretern iS von § 166 Abs. 2 SGG, an die die gleichen Anforderungen wie an Rechtsanwälte gestellt werden müssen (BSGE 6, 1). Dem steht im vorliegenden Fall auch nicht entgegen, daß der für die Klägerin tätig gewordene Prozeßbevollmächtigte nicht zur Vertretung vor dem BSG zugelassen ist. Prozeßbevollmächtigter ist man, sobald man den Auftrag zur Prozeßvertretung angenommen hat; denn mit der Annahme besteht dasjenige Vertrauensverhältnis, das die Haftung des Auftraggebers rechtfertigt (vgl Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Komm zur ZPO, 49. Aufl. § 85 Anm. 3 Ba). Die Klägerin muß es sich daher wie eigenes Verschulden zurechnen lassen, daß ihr Prozeßbevollmächtigter es versäumt hat, sich vor der Einlegung der Revision sachkundig beraten zu lassen, ob er die Klägerin vor dem BSG vertreten kann.
Nach allem waren der Wiedereinsetzungsantrag abzulehnen und deshalb die Revision mangels Einhaltung der gesetzlichen Form und Frist gemäß § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen, wobei die Verwerfung ohne mündliche Verhandlung nach § 169 Satz 3 durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen