Verfahrensgang

SG Osnabrück (Entscheidung vom 06.08.2020; Aktenzeichen S 19 U 46/16)

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 30.11.2023; Aktenzeichen L 14 U 231/20)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 30. November 2023 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente aus einem anerkannten Arbeitsunfall vom 23.7.2010.

Die Beklagte lehnte die Gewährung einer Verletztenrente mangels Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vH ab. Das SG hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen(Urteil vom 6.8.2020) . Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen(Urteil vom 30.11.2023) .

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt und diese mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln begründet.

II

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie den geltend gemachten Zulassungsgrund des Vorliegens von Verfahrensmängeln nicht ordnungsgemäß bezeichnet hat(§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) .

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ) , so müssen die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist - außer im Fall von absoluten Revisionsgründen - die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

a) Die Beschwerde ist bereits deswegen unzulässig, weil es an der schlüssigen Schilderung der die gerügten Verfahrensmängel vermeintlich begründenden Tatsachen fehlt. "Bezeichnet" iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ist ein Verfahrensmangel nur dann, wenn die ihn begründenden Tatsachen im Zusammenhang mit dem Verfahrensgang dargetan und einer rechtlichen Wertung unterzogen werden. Erforderlich ist die zusammenhängende, vollständige und aus sich heraus verständliche Darlegung des Streitgegenstands, der Verfahrens- und Prozessgeschichte sowie des vom LSG festgestellten Sachverhalts und damit der Umstände, die möglicherweise zu einem entscheidungsrelevanten Verfahrensfehler geführt haben. Es ist dagegen nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, sich die erforderlichen Tatsachen aus dem Urteil und erst recht nicht aus den Verfahrensakten herauszusuchen(zB BSG Beschlüsse vom 25.4.2023 - B 2 U 61/22 B - juris RdNr 7 , vom 31.5.2022 - B 2 U 120/21 B - juris RdNr 5 und vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14 S 21 = juris RdNr 3, jeweils mwN; s auchBVerfG Beschluss vom 24.10.2000 - 1 BvR 1412/99 - SozR 3-1500 § 160a Nr 31 S 61= juris RdNr 9 mwN) . Bereits an der Mitteilung dieser Tatsachengrundlage fehlt es, wenn der Kläger hier nur auf einzelne herausgegriffene Aspekte des Verfahrens eingeht. Es fehlt insbesondere an der Schilderung des vom LSG festgestellten und zur Grundlage seiner Entscheidung gemachten Sachverhaltes, denn an diesen ist auch das BSG vorbehaltlich durchgreifender Verfahrensrügen gebunden(§ 163 SGG ) . Nicht maßgeblich ist daher, von welchem Sachverhalt die Beteiligten ausgehen. Des Weiteren fehlt es entscheidend an der Darstellung der maßgeblichen Prozessgeschichte einschließlich der auch vom LSG vorgenommenen Beweiserhebungen. Ohne die vollständige Darlegung des Verfahrensganges ist es dem Beschwerdegericht insbesondere nicht möglich, das Vorliegen einzelner Verfahrensmängel(zB § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 iVm§ 103 SGG : "ohne hinreichende Begründung", dazu b) s owie die Entscheidungserheblichkeit der angeführten Aspekte abschließend zu bewerten(vgl§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG : "beruhen kann") .

b) Auch im Weiteren genügt die Beschwerdebegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels.

Der Kläger rügt eine unterbliebene weitere Sachaufklärung(§ 103 SGG ) durch das LSG, weil dieses von ihm beantragte Beweiserhebungen im Wege der Einholung eines (schmerzmedizinischen) Sachverständigengutachtens( § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm§§ 402 ff ZPO ) und der Einvernahme der im Verwaltungsverfahren tätigen Zeugen T, J sowie R( § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm§§ 373 ff ZPO ) nicht durchgeführt habe. Um den Verfahrensmangel der Verletzung der Sachaufklärungspflicht(§ 103 SGG ) ordnungsgemäß zu rügen, muss die Beschwerdebegründung (1.) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufzeigen, die zur weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (5.) erläutern, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann(stRspr; zB BSG Beschlüsse vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 7 , vom 27.9.2022 - B 2 U 42/22 B - juris RdNr 7, vom 11.3.2021 - B 9 SB 51/20 B - juris RdNr 9 und vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5, jeweils mwN).

Daran fehlt es hier. Die Beschwerdebegründung bezeichnet bereits keine formellen Beweisanträge, die der Kläger im Verfahren vor dem LSG bis zuletzt aufrechterhalten hat oder die in der Entscheidung wiedergegeben werden. Der förmliche Beweisantrag hat Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch für defizitär hält. Diese Warnfunktion verfehlen "Beweisantritte" und Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind(zB BSG Beschlüsse vom 11.9.2023 - B 2 U 5/23 B - juris RdNr 7 , vom 9.6.2023 - 2 U 7/23 B - juris RdNr 8 und vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11, jeweils mwN) . Wird ein Rechtsstreit - wie hier - nach § 124 Abs 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden, tritt an die Stelle des sonst maßgeblichen Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung(stRspr; zB BSG Beschlüsse vom 6.12.2023 - B 2 U 41/23 B - juris RdNr 8 , vom 9.2.2023 - B 2 U 24/22 B - juris RdNr 13 und vom 28.11.2022 - B 2 U 84/22 B - juris RdNr 11, jeweils mwN) . Hierzu enthält die Beschwerdebegründung keinen substantiierten Vortrag, wenn sie sich allein auf ihren Vortrag in der Berufungsbegründung und in einem weiteren Schriftsatz bezieht.

Das Vorbringen des Klägers erfüllt aber auch im Weiteren nicht die Anforderungen an die Bezeichnung des gerügten Mangels. So zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf, warum das LSG sich aus seiner sachlich-rechtlichen Sicht heraus zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen. Nicht maßgeblich ist dagegen, dass der Kläger weiteren Aufklärungsbedarf angenommen hat. § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist im Hinblick auf das Erfordernis "ohne hinreichende Begründung" nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen(zB BSG Beschlüsse vom 6.9.2023 - B 2 U 90/22 B - juris RdNr 14 , vom 21.3.2023 - B 2 U 148/22 B - juris RdNr 8 und vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - SozR 1500 § 160 Nr 5 S 6 = juris RdNr 2) . Entscheidend ist, ob sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben, weil nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt aus seiner rechtlichen Sicht erkennbar offengeblieben sind. Auch hierfür wäre die Darstellung des vom LSG festgestellten(§ 163 SGG ) entscheidungserheblichen Sachverhaltes einschließlich der Verfahrensgeschichte notwendig gewesen, um das Beschwerdegericht in die Lage zu versetzen, den sachlich-rechtlichen Standpunkt des LSG nachzuvollziehen und das Vorliegen eines Aufklärungsmangels zu bewerten(dazu bereits a; zB BSG Beschlüsse vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 10 mwN und vom 21.3.2023 - B 2 U 148/22 B - juris RdNr 8 mwN) . Hierzu enthält die Beschwerdebegründung indes keinen schlüssigen Vortrag. Soweit sie die unterbliebene Einholung eines schmerzmedizinischen Sachverständigengutachtens rügt, führt sie selbst aus, dass das LSG dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten vom 31.8.2023 gefolgt sei, wonach die vom Kläger geäußerten Schmerzen den "üblichen Schmerzen" entsprächen, die anerkannten Unfallfolgen die Schmerzen vollumfänglich erklärten und die Schmerzen auf unfallchirurgischem Gebiet zu bewerten seien. Dass das LSG sich dennoch zu einer Einholung eines schmerzmedizinischen Sachverständigengutachtens hätte gedrängt fühlen müssen, zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf. Soweit der Kläger mit der (chirurgischen) Bewertung der MdE nicht einverstanden ist und die für ihn günstigeren Bewertungen aus dem Verwaltungsverfahren aus den Jahren 2014 und 2015 für richtig hält, wendet er sich gegen die nicht mit der Verfahrensrüge angreifbare Beweiswürdigung des LSG(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 iVm§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG ) . Die Würdigung voneinander abweichender ärztlicher Auffassungen gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung(zB BSG Beschlüsse vom 6.9.2023 - B 2 U 90/22 B - juris RdNr 21 mwN, vom 21.2.2023 - B 2 U 47/22 B - juris RdNr 6 mwN und vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 = juris RdNr 10) . Insoweit hätte der Kläger aufzeigen müssen, welche weiteren Erkenntnisse sich aus der Einvernahme der Zeugen hätten ergeben können und aus welchen Gründen das LSG sich trotz der Ermittlungen im gesamten Gerichtsverfahren zu ihrer Anhörung hätte gedrängt fühlen müssen. Hierzu enthält die Beschwerdebegründung indes keinen über die unbeachtliche Rüge der Beweiswürdigung(§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG ) hinausgehenden Vortrag.

Dem Senat ist es auch nicht möglich, ein potentielles Beruhen der Entscheidung des LSG auf dem vorgetragenen Mangel zu beurteilen. Denn auch hierfür mangelt es an der Darlegung des vom LSG festgestellten Sachverhaltes(§ 163 SGG ) und der vollständigen Verfahrensgeschichte(dazu bereits a).

c) Die Beschwerdebegründung legt auch nicht dar, dass das LSG den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör(Art 103 Abs 1 GG ;§ 62 SGG ) verletzt haben könnte. Mit seinem Vorbringen dazu, dass das LSG zu Unrecht die Zeugen nicht gehört und seine Beweisanträge außer Acht gelassen habe, macht der Kläger eine unzureichende Sachaufklärung(§ 103 SGG ) geltend. Dies unterliegt den aufzeigten Beschränkungen nach§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG , die nicht durch eine formale Einkleidung in eine Rüge anderer Gestalt umgangen werden können(stRspr; zB BSG Beschlüsse vom 6.9.2023 - B 2 U 90/22 B - juris RdNr 17 mwN, vom 21.3.2023 - B 2 U 148/22 B - juris RdNr 9 mwN und vom 6.2.2007 - B 8 KN 16/05 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 7).

2. Soweit der Kläger mit seinem Vorbringen ua zur Bewertung der Aussagen einzelner im Verwaltungsverfahren gehörten Mediziner durch das LSG zum Ausdruck bringt, dass er das Urteil des LSG im Ergebnis für falsch hält, macht er eine im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unbeachtliche Subsumtionsrüge geltend. Denn die Frage der inhaltlichen Richtigkeit der instanzgerichtlichen Entscheidung im Einzelfall ist kein Zulassungsgrund iS von§ 160 Abs 2 SGG(vgl nur BSG Beschlüsse vom 6.11.2023 - B 2 U 1/23 B - juris RdNr 9 mwN; vom 6.9.2023 - B 2 U 90/22 B - juris RdNr 22 mwN und vom BSG Beschluss vom 25.7.2011 - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4) .

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab(§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ) .

4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen(§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2,§ 169 Satz 2 und 3 SGG ) .

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der§§ 183 ,193 SGG .

Roos

Wahl

Karl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16338999

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