Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Form und Unterzeichnung des Vermerks über die Verhinderung eines Senatsmitgliedes.
Normenkette
SGG § 153 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Juli 1960 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Der Ehemann der Klägerin wurde im Oktober 1953 bei Ausübung seines Kraftfahrerberufs von einem amerikanischen Soldaten getötet. Die Beklagte, die der Klägerin Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährte, veranlaßte die Klägerin, bei der Geltendmachung ihres Schadensersatzanspruchs gegenüber dem Besatzungskostenamt auch den an sich nach § 1542 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung auf die Beklagte übergegangenen Teil mit anzumelden - in der Erwartung, die Klägerin werde den hierfür erhaltenen Betrag an die Beklagte herausgeben. Der Klägerin wurde vom US-Claims-Office eine Kapitalabfindung von über 17 000 DM zugebilligt. Darin war als kapitalisierte Witwenrente ein Betrag von rd. 10 000 DM enthalten. Die Klägerin verwendete das ganze Kapital für den Bau eines Hauses und leistete dem Verlangen der Beklagten auf Erstattung von rd. 10 000 DM keine Folge. Der Rückgriffsausschuß der Beklagten erklärte hierauf durch Beschluß vom 13. Juni 1955 die Aufrechnung des der Klägerin zustehenden Rentenanspruchs gegen einen von der Beklagten geltend gemachten Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung in Höhe von rd. 10 000 DM. Die Beklagte teilte der Klägerin diesen Beschluß durch Schreiben vom 24. Juni 1955 unter Hinweis auf den Klageweg mit und stellte zugleich die Rentenzahlung ein.
Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage die Weiterzahlung der Rente. Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 15. November 1956 den Bescheid vom 24. Juni 1955 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Witwenrente über den 30. Juni 1955 hinaus weiterzugewähren.
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 15. Juli 1960 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die hiergegen von der Beklagten form- und fristgerecht eingelegte Revision wäre, da das LSG sie nicht gemäß § 162 Abs.1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen hat und § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG hier von vornherein unanwendbar ist, nur statthaft, wenn ein gerügter wesentlicher Mangel des Verfahrens vorläge (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; vgl. BSG 1, 150). Dies ist nicht der Fall.
Die Revision rügt einen Verstoß gegen § 153 Abs. 2 Satz 2 SGG und bezeichnet es als einen wesentlichen Mangel des Verfahrens, daß der Vorsitzende des Senats beim LSG nicht - wie es diese Vorschrift erfordere - das Urteil zweimal mit seiner Unterschrift versehen habe. Diese Rüge ist unbegründet. Das angefochtene Urteil, an dem als Berufsrichter der Senatspräsident Dr. B und die Landessozialgerichtsräte R und Dr. S mitgewirkt haben trägt - in Urschrift und Ausfertigung übereinstimmend - anschließend an die Rechtsmittelbelehrung auf der rechten Seite die Unterschrift “R„, auf der linken Seite die Unterschrift “Dr. B„. Unmittelbar oberhalb der letztgenannten Unterschrift befindet sich der mit Schreibmaschine geschriebene Vermerk: “LSGR Dr. S ist infolge Beurlaubung an der Unterschrift verhindert„. Diese Form genügt nach Ansicht des beschließenden Senats den Erfordernissen des § 153 Abs. 2 SGG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist das Urteil von den mitwirkenden Berufsrichtern (vgl. BSG 1, 1) zu unterschreiben. Satz 2 schreibt sodann vor, daß bei Verhinderung eines - berufsrichterlichen - Senatsmitglieds der Vorsitzende ... dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrundes zu vermerken hat. Die Meinung der Revision, diesen Vermerk müsse der Senatsvorsitzende eigenhändig schreiben, wird durch Wortlaut und Sinn des Gesetzes nicht gestützt. Eine maschinenschriftliche Abfassung des Vermerks genügt vielmehr jedenfalls dann, wenn der Vermerk nicht beziehungslos zwischen oder neben die richterlichen Unterschriften gesetzt wird (vgl. hierzu BGH, NJW 1961, 782), sondern, wie im vorliegenden Fall, mit der Unterschrift des Vorsitzenden räumlich so eng verbunden ist, daß sich diese Unterschrift deutlich erkennbar auch auf den Vermerk bezieht; in diesem Fall besteht kein Zweifel, daß es sich nicht um einen bloßen Entwurf, sondern um den rechtswirksamen Vermerk im Sinne des § 153 Abs. 2 Satz 2 SGG handelt. Unzutreffend ist auch die von der Revision vertretene Auffassung, auf Grund des § 153 Abs. 2 SGG hätte Senatspräsident Dr. B außerdem noch ein zweites Mal seine Unterschrift unter das Urteil setzen müssen. Ob dies zur besonderen Klarstellung zweckmäßig gewesen wäre, bedarf keiner Prüfung. Als zwingend erforderlich ist ein zweimaliges Unterzeichnen in einem Fall dieser Art nicht anzusehen. Dies folgt daraus, daß der Verhinderungsvermerk - statt der hier von Senatspräsident Dr. B gewählten Form - wirksam auch in der Weise angebracht werden kann, daß unter die Unterschrift des Vorsitzenden die Worte “zugleich für den durch ... verhinderten ...„ gesetzt werden (vgl. BGH aaO). Wenn bei diesem Vorgehen insgesamt zwei richterliche Unterschriften genügen, so ist nicht einzusehen, weshalb es in dem hier gegebenen Fall anders sein soll. Der beschließende Senat hält es deshalb nicht für geboten, eine - trotz der erhobenen Revisionsrüge zulässige (BGHZ 18, 351, 356; Urteil des beschließenden Senats vom 21. September 1960 - 2 RU 28/58) - Nachholung der von der Beklagten vermißten Unterschrift zu veranlassen.
Weiterhin rügt die Revision, das LSG habe seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 103 SGG) dadurch verletzt, daß es die Unfallakten und die Rückgriffsakten der Beklagten nicht beigezogen habe. Dieses Vorbringen entspricht nicht den Anforderungen des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG; denn es wird hieraus nicht ersichtlich, zu welchem Ergebnis nach Ansicht der Beklagten die als erforderlich bezeichnete Aktenbeiziehung geführt hätte (vgl. SozR SGG, § 164 Da 10 Nr. 28).
Im übrigen bewegen sich die Revisionsausführungen - trotz gelegentlicher Bezugnahmen auf §§ 103, 128 SGG - auf dem Gebiet des materiellen Rechts und sind daher nicht geeignet, Mängel im Verfahren des LSG darzulegen. Sie laufen kurz zusammengefaßt darauf hinaus, das LSG hätte den Streitstoff rechtlich tiefer durchdringen müssen; dabei hätte es erkennen müssen, daß der von der Beklagten selbst in ihren Erklärungen gegenüber der Klägerin geäußerte Rechtsstandpunkt irrtümlich gewesen sei und daß in Wirklichkeit die amerikanische Dienststelle in Geschäftsführung ohne Auftrag die der Beklagten obliegenden Leistungen erbracht habe; hiernach enthalte der angefochtene Verwaltungsakt vom 24. Juni 1955 entgegen seinem Wortlaut weder eine Aufrechnung mit einem Bereicherungsanspruch noch eine Rentenentziehung, sondern nur die deklaratorische Feststellung, daß der Rentenanspruch für die Zukunft erfüllt sei; einer Klage hiergegen hätte nach § 79 Nr. 1 SGG ein Vorverfahren vorangehen müssen. Wirksame Rügen gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG sind in diesen weitreichenden Ausführungen nicht zu erblicken, da bei der Prüfung der Frage, ob ein wesentlicher Mangel des Verfahrens vorliegt, stets von der dem Berufungsurteil tatsächlich zugrunde gelegten sachlich-rechtlichen Beurteilung auszugehen ist (BSG 2, 84; SozR SGG § 162 Da 21 Nr. 79).
Die Revision ist hiernach nicht statthaft, sie war deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 169 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen