Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschätzter Gegenstandswert in Streitigkeiten über Beitragspflicht eines Blutspendedienstes
Leitsatz (amtlich)
Zur Bestimmung des Gegenstandswertes einer Anfechtungs- und Feststellungsklage über die Mitgliedschaft eines Unternehmers bei einer Berufsgenossenschaft.
Orientierungssatz
In Streitigkeiten über die Mitgliedschaft eines Unternehmers (hier: Blutspendedienst des Deutschen Roten Kreuzes) bei einer Berufsgenossenschaft hat das Gericht den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit nach billigem Ermessen zu bestimmen. Um Abweichungen gegenüber vergleichbaren Verfahren möglichst zu vermeiden, ist § 13 des Gerichtskostengesetzes ergänzend heranzuziehen (vgl BSG vom 1977-11-14 6 BKa 7/76 = SozR 1930 § 8 Nr 2).
Normenkette
BRAGebO § 8 Abs. 2 Fassung: 1975-08-20, § 116 Abs. 2 Nr. 2 Fassung: 1975-08-20; GKG § 13; SGG § 54 Fassung: 1953-09-03, § 55 Fassung: 1953-09-03; RVO § 646
Verfahrensgang
Gründe
Nach Beendigung des Revisionsverfahrens hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die Festsetzung des Gegenstandswertes beantragt.
Nach § 116 Abs 2 Nr 2 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGebO) vom 26. Juli 1957 (BGBl I 907) idF des Kostenänderungsgesetzes vom 20. August 1975 (BGBl I 2189) werden ua in Verfahren aufgrund öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und einer Berufsgenossenschaft die Gebühren der Rechtsanwälte nach dem Gegenstandswert berechnet. Über eine Streitigkeit im Sinne dieser Vorschrift ist hier entschieden worden. Die beklagte Berufsgenossenschaft hatte den Kläger mit dessen Blutspendedienst vom 1. Januar 1974 an in ihr Unternehmerverzeichnis aufgenommen und im Mitgliederschein-Aufnahmebescheid ausgeführt, der Kläger habe - anders als gegenüber der bisher als Versicherungsträger der Unfallversicherung für zuständig erachteten Bundesrepublik Deutschland (Beigeladene) - künftig Beiträge zur Unfallversicherung für die in seinem Blutspendedienst Beschäftigten zu zahlen. Das Sozialgericht hat dem Antrag des Klägers entsprechend den Bescheid der Beklagten aufgehoben und festgestellt, daß die Beigeladene zuständiger Versicherungsträger für den Blutspendedienst des Klägers ist. Berufung und Revision der Beklagten und der Beigeladenen sind ohne Erfolg geblieben.
Für die Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren nach dem Gegenstandswert (§ 116 Abs 2 BRAGebO) gelten außer den sinngemäß anwendbaren Vorschriften des Dritten Abschnitts (§ 116 Abs 2 Satz 2 BRAGebO) die allgemeinen Vorschriften des Ersten Abschnitts der BRAGebO (BSG SozR 1930 § 8 Nr 2; s auch Schuwerack, SGb 1978, 100, 101; Wilde/Homann, NJW 1981, 1070, 1072).
Nach § 8 Abs 1 Satz 1 BRAGebO bestimmt sich im gerichtlichen Verfahren der Gegenstandswert für die Anwaltsgebühren grundsätzlich nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Vorschriften. Sind jedoch - wie im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit (s §§ 183 ff des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) - für die Gerichtsgebühren keine Wertvorschriften vorgesehen, ist der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit durch das Gericht des Rechtszugs auf Antrag nach bestimmten sinngemäß anzuwendenden Vorschriften der Kostenordnung (KostO) festzusetzen (§ 8 Abs 1 Satz 3 iVm Abs 2, § 10 Abs 1 BRAGebO). Soweit sich der Gegenstandswert auch aus diesen Vorschriften der KostO nicht ergibt und auch sonst - wie hier - nicht feststeht, ist er nach billigem Ermessen zu bestimmen; in Ermangelung genügender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung und bei nicht vermögensrechtlichen Gegenständen ist der Gegenstandswert auf 4.000,-- DM, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht unter 300,-- DM und nicht über eine Million DM anzunehmen (§ 8 Abs 2 Satz 2 BRAGebO). Da sich aus den Vorschriften der KostO mit Rücksicht auf die privatrechtlichen Tatbestände, deren Kosten sie regeln, der Gegenstandswert im vorliegenden Fall nicht herleiten läßt, ist er nach billigem Ermessen zu bestimmen, dh zu schätzen: dabei ist § 13 des Gerichtskostengesetzes (GKG) ergänzend heranzuziehen, um Abweichungen gegenüber vergleichbaren Verfahren möglichst zu vermeiden (BSG SozR 1930 § 8 Nrn 2 und 3; Hartmann, Kostengesetze, 20. Aufl 1981, § 116 BRAGebO Anm 3 Buchst B).
Nach § 13 Abs 1 Satz 1 GKG ist in Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Finanzgerichtsbarkeit der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Die Bedeutung der Sache für den Kläger entspricht in der Regel seinem wirtschaftlichen Interesse an der erstrebten Entscheidung und ihren Auswirkungen. Erstrecken sich die Auswirkungen auf eine längere Zeit, so ist dies gebührend zu berücksichtigen (s BSG SozR 1930 § 8 Nr 2; Hartmann aaO § 13 GKG Anm 2 Buchst B c).
Die Anfechtungsklage diente dem Ziel, einer künftigen Beitragsforderung der Beklagten für die Versicherten im Blutspendedienst des Klägers die Grundlage zu entziehen. Mit dem Antrag auf Feststellung, daß die Beigeladene (weiterhin) zuständiger Versicherungsträger ist, erstrebte der Kläger, für die Versicherten in seinem Blutspendedienst - wie bisher - keine Beiträge zur Unfallversicherung zahlen zu müssen. Das wirtschaftliche Interesse des Klägers an der Entscheidung lag somit in der Freistellung von Beiträgen zur Unfallversicherung für die Versicherten in seinem Blutspendedienst, und danach beurteilt sich die Bedeutung der Sache, die der Festsetzung des Gegenstandswerts nach billigem Ermessen zugrunde zu legen ist. Die Höhe der Beiträge, die für die Zeit vom 1. Januar 1974 an von der Klägerin entrichtet und aufgrund des Urteils des erkennenden Senats von der Beklagten erstattet worden sind, bieten deshalb einen Anhalt für die Schätzung des Gegenstandswerts. In der allgemeinen Unfallversicherung werden die Beiträge der Unternehmer nach dem Jahresbedarf erhoben (s § 724 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-). Für die Berechnung des Streitwerts (Gegenstandswerts) bei wiederkehrenden Leistungen, Nutzungen usw wird - in hier allerdings nicht einschlägigen Fällen - verschiedentlich auf den Wert des einjährigen Bezugs abgestellt (s ua § 24 Abs 2 KostO, § 17 Abs 1 GKG, § 9 der Zivilprozeßordnung - ZPO-), der gegebenenfalls um ein Mehrfaches zu erhöhen ist. Nach der Lage des vorliegenden Falles bestehen keine Bedenken dagegen, bei der Bemessung (Schätzung) des Gegenstandswerts ebenfalls einen Jahresbetrag, und zwar die Gesamtsumme der Beiträge zugrunde zu legen, die der Kläger als Unternehmer seines Blutspendedienstes jährlich an die Beklagte hätte zahlen müssen. Das wirtschaftliche Interesse des Klägers an der Entscheidung, die eine beitragsfreie Versicherung seiner im Blutspendedienst Beschäftigten zur Folge hat, rechtfertigt es, ein Mehrfaches des Jahresbetrages anzunehmen.
Der Kläger und sein Prozeßbevollmächtigter (Antragsteller) halten 250.000,-- DM, die Beklagte und die Beigeladene 100.000,-- DM für den angemessenen Gegenstandswert; dabei gehen der Antragsteller von einem ca achtfachen, die Beklagte und die Beigeladene von einem ca dreifachen Jahresbetrag von rund 30.000,-- DM aus.
Der Kläger hat in der Zeit nach Aufnahme in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten (1. Januar 1974) insgesamt 120.265,86 DM, davon für die Jahre 1974 bis 1978 114.460,20 DM an Beiträgen gezahlt, und zwar mit jährlich - ungleichmäßig - steigenden Beträgen von rund 19.600,-- DM (1974) bis rund 26.125,-- DM (1978), im Jahresdurchschnitt in den ersten fünf Jahren also knapp 23.000,-- DM. Es kann davon ausgegangen werden, daß sich auch nach dem Jahr 1978 der von verschiedenen Berechnungsfaktoren (s § 725 RVO) abhängige Beitrag wahrscheinlich weiter erhöht hätte. Legt man eine Steigerung der Beiträge bis einschließlich 1981 auf rund 30.000,-- DM zugrunde, hätte der Kläger in den ersten acht Jahren nach der Aufnahme in das Mitgliederverzeichnis der Beklagten rund 200.000,-- DM an Beiträgen zu entrichten gehabt.
Diesen Betrag hat der Senat als Gegenstandswert festgesetzt. Er entspricht nach der Berechnungsweise dem vom Antragsteller für zutreffend gehaltenen achtfachen Jahresbetrag der Beitragsleistungen, allerdings nach einem durchschnittlichen Jahresbetrag von nur 25.000,-- DM. Ein nur dreifacher Jahresbetrag als Berechnungsgrundlage, wie von der Beklagten und der Beigeladenen angeregt worden ist, würde selbst bei dem von diesen Verfahrensbeteiligten angenommenen Wert von 100.000,-- DM deutlich unter dem wirtschaftlichen Interesse des Klägers an der erstrebten (und erreichten) Entscheidung liegen. Der Kläger ist durch die erfolgreiche Anfechtungsklage im Ergebnis nicht nur gegenüber der Beklagten, durch die Feststellung der Zuständigkeit des Bundes als Versicherungsträger vielmehr für seinen Blutspendedienst auch allgemein von der Beitragspflicht befreit worden. Andererseits ist bei der Ermittlung des sich hierdurch insgesamt ergebenden wirtschaftlichen Interesses des Klägers zu berücksichtigen, daß der rechtlichen Beurteilung der Streitsache durch das Revisionsgericht die vom Landessozialgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen zugrunde gelegen haben und nicht ausgeschlossen werden kann, daß ua bei eventuellen künftigen Änderungen in der Struktur des Blutspendedienstes des Klägers die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers und damit uU die Beitragspflicht erneut streitig werden. Die Auswirkung der Entscheidung ist somit nicht zeitlich unbegrenzt. Nach den Umständen des vorliegenden Falles trägt eine Schätzung des Gegenstandswerts auf 200.000,-- DM entsprechend einem achtfachen durchschnittlichen Jahresbetrag der Beitragsleistungen dem wirtschaftlichen Interesse des Klägers an der Entscheidung und ihren Auswirkungen angemessen Rechnung. Der Gegenstandswert für das Revisionsverfahren ist daher auf diesen Betrag festzusetzen.
Der Beschluß ergeht nach § 10 Abs 1 BRAGebO.
Fundstellen