Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung der Sachaufklärungspflicht. Mitwirkung des Kassenarztes
Orientierungssatz
1. Bei der Prüfung einer gerügten Verletzung der Sachaufklärungspflicht ist von der Rechtsansicht der Vorinstanz auszugehen. Nur wenn die Tatsacheninstanz aufgrund ihrer Rechtsansicht sich zu einer weiteren Sachaufklärung hätte gedrängt fühlen müssen, beruht die Entscheidung des Gerichts auf einem Mangel seines Verfahrens.
2. Dem Kassenarzt obliegt im Prüfverfahren eine Mitwirkungspflicht. Soweit tatsächliche Verhältnisse nur ihm bekannt sind, hat er sie, wenn er Rechtsnachteile vermeiden will, den Prüfgremien mitzuteilen. Dazu ist er vor allem dann verpflichtet, wenn die Abrechnungsunterlagen (Überweisungsscheine) zweifelhafte Eintragungen enthalten.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 3, § 103; RVO § 368n Abs 5
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 06.05.1987; Aktenzeichen L 1 Ka 2354/85) |
Gründe
Der Kläger war bis Dezember 1984 als praktischer Arzt zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen. Aus parallelen Streitverfahren ergibt sich, daß seine Honoraranforderungen für die letzten Jahre seiner kassenärztlichen Tätigkeit wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise gekürzt wurden. Bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit seiner Behandlungsweise berücksichtigten die Prüfungsgremien, daß der Kläger ein sogenanntes "großes Labor" betrieb. Im Juni 1981 setzte die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) Bayerns, Bezirksstelle S. in A., die KÄV des Klägers, die Beigeladene zu 1., davon in Kenntnis, daß bei der Bearbeitung der Kassenabrechnung eines Internisten in A. für das Quartal I/1981 267 Überweisungsscheine des Klägers mit äußerst ungewöhnlichen Eintragungen ermittelt worden seien. Der Kläger habe "Auftragsleistungen - im Einsendeverfahren - ... neben nuklearmedizinischen Leistungen in erheblichem Ausmaß auch Laborleistungen" veranlaßt. Die Beigeladene zu 1. forderte daraufhin den Kläger auf, in 25 Fällen sämtliche Laborbefunde aus dem Quartal I/1981 vorzulegen. Dieser Aufforderung kam der Kläger trotz dreier Mahnungen nicht nach. In der Folgezeit überprüfte der Prüfungsausschuß die vom Kläger für Mitglieder der Allgemeinen Ortskrankenkasse T. veranlaßten Auftragsleistungen in der internistischen Praxis in A. Er kam aufgrund einer Überprüfung der Einzelfälle zu dem Ergebnis, daß die veranlaßten Leistungen weitgehend unwirtschaftlich gewesen seien. Dementsprechend stellte er gegenüber dem Kläger Regreßansprüche fest, deren Höhe sich daraus ergab, daß für einige Quartale keine Auftragsleistungen, für andere Quartale nur wenige Auftragsleistungen anerkannt wurden. Die Regreßforderungen bezüglich der Quartale III/1980 bis IV/1982 wurden durch zwei Bescheide vom 16. Dezember 1983, bezüglich der Quartale I/1983 und II/1983 durch Bescheide vom 18. Mai 1984 und bezüglich des Quartals III/1983 durch Bescheid vom 27. August 1984 festgesetzt. Die hiergegen erhobenen Widersprüche des Klägers wies der beklagte Beschwerdeausschuß durch Bescheide vom 20. September 1984 und 17. Oktober 1984 zurück. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Revision nicht zugelassen.
Die dagegen erhobene Beschwerde stützt der Kläger in erster Linie auf § 160 Abs 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - Divergenzrüge -, in zweiter Linie auf § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - Verfahrensrüge -.
Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, daß einer der geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegt. Die Prüfung des Senats hat sich auf die Beschwerdebegründung zu beschränken (folgt aus § 160a Abs 2 Sätze 1 und 3 SGG).
Die Divergenzrüge ist nicht begründet, weil sich aus dem Vorbringen des Klägers nicht ergibt, daß das LSG eine revisible Rechtsfrage anders als das Bundessozialgericht (BSG) entschieden hat. Vom Kläger wird nicht dargelegt, daß sich seine Rüge gegen die Auslegung einer revisiblen Rechtsvorschrift richtet. Er beanstandet die dem Berufungsurteil zugrunde liegende Auslegung des § 8 der hier maßgeblichen Prüfvereinbarung. Wie das LSG in seiner Urteilsbegründung ausgeführt hat, bestimmt der jeweils gleichlautende § 15 der zwischen der Beigeladenen zu 1. und den Beigeladenen zu 2. bis 5. geschlossenen Gesamtverträge, daß das Verfahren vor den Prüfungseinrichtungen in einer gesonderten Prüfvereinbarung geregelt wird. Der Geltungsbereich der Gesamtverträge und der aufgrund der Gesamtverträge getroffenen Prüfvereinbarungen erstreckt sich in der Regel nicht über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus (§ 162 SGG; § 368k Abs 1 Reichsversicherungsordnung). Dagegen handelt es sich bei der Vorschrift, mit der sich das vom Kläger zitierte Urteil des Senats (BSGE 38, 201) befaßt, um eine revisible Norm (§ 3 Abs 2 der - gemäß § 22 Abs 6 des Bundesmantelvertrages für Kassenzahnärzte als dessen Anlage 4 vereinbarten - Verfahrensordnung). Vom Kläger wird ferner nicht beachtet, daß der Senat in der zitierten Entscheidung über die Bindungswirkung des dem Kassenarzt erteilten Honorarbescheides entschieden und dabei die Auffassung vertreten hat, die Bindungswirkung werde durch Rechte der Krankenkassen - das Recht der Kassen, die Prüfung der Wirtschaftlichkeit für die letzten acht Quartalsabrechnungen zu beantragen - eingeschränkt. Das LSG hatte dagegen über einen Regreßanspruch der KÄV gegen einen Kassenarzt zu entscheiden, dem kein bindender Verwaltungsakt entgegenstand.
Auch die Verfahrensrüge greift nicht durch. Die Beschwerdebegründung läßt nicht den Schluß zu, daß das LSG dem Beweisantrag des Klägers ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Da die Prüfungsgremien Einzelfälle prüften - ein statistischer Vergleich war angeblich nicht möglich, weil über veranlaßte Laborleistungen, bezogen auf den überweisenden Arzt, keine EDV-Daten vorlagen - und den Prüfbescheiden Listen mit den jeweiligen Patientennamen sowie mit den Diagnosen des Klägers und den veranlaßten Leistungen beifügten, hat das LSG dem Antrag des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens begründet entgegengehalten, daß der Kläger im einzelnen hätte vortragen müssen, warum er bei den jeweiligen Patienten die einzelnen Leistungen veranlaßt hat. Dieser Darlegungslast ist der Kläger, wie von ihm nicht bestritten wird, trotz mehrfacher entsprechender Ankündigungen nicht nachgekommen. Soweit der Kläger nun dagegen vorbringt, daß LSG habe seine (des Klägers) Darlegungslast falsch beurteilt, wendet er sich gegen eine Rechtsansicht des LSG. Bei der Prüfung einer gerügten Verletzung der Sachaufklärungspflicht ist aber von der Rechtsansicht der Vorinstanz auszugehen. Nur wenn die Tatsacheninstanz aufgrund ihrer Rechtsansicht sich zu einer weiteren Sachaufklärung hätte gedrängt fühlen müssen, beruht die Entscheidung des Gerichts auf einem Mangel seines Verfahrens. Zudem entspricht es der in wiederholten Entscheidungen geäußerten Rechtsansicht des Senats, daß dem Kassenarzt im Prüfverfahren eine Mitwirkungspflicht obliegt. Soweit tatsächliche Verhältnisse nur ihm bekannt sind, hat er sie, wenn er Rechtsnachteile vermeiden will, den Prüfgremien mitzuteilen. Dazu ist er vor allem dann verpflichtet, wenn, wie im vorliegenden Fall von den beteiligten Kassenärztlichen Vereinigungen geltend gemacht wird, die Abrechnungsunterlagen (Überweisungsscheine) zweifelhafte Eintragungen enthalten. Der Kläger selbst hatte im Prüfverfahren angekündigt, anhand der (ihm mitgeteilten) Patientennamen genau aufzuzeigen, weshalb die angeforderten Laborparameter erforderlich gewesen seien. Da, wie in den Prüfbescheiden angegeben, die einzelnen Überweisungsaufträge jeweils die verschiedensten diagnostischen Angaben enthielten, wäre jedenfalls zunächst eine genaue Aufklärung der Verhältnisse der Einzelfälle veranlaßt gewesen. Es ist deshalb überzeugend, wenn das LSG zu dem Ergebnis kommt, eine mögliche weitere Aufklärung des Sachverhalts habe aufgrund der fehlenden Mitwirkung des Klägers nicht durchgeführt werden können. Die gutachtliche Anhörung eines Sachverständigen ist in der Regel erst sinnvoll, wenn die für die Begutachtung bedeutsamen tatsächlichen Verhältnisse geklärt sind.
Die Beschwerde war aus diesen Gründen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen