Entscheidungsstichwort (Thema)
Honorarverteilungsmaßstab. Honorarverteilungsgerechtigkeit. Beitragssatzstabilität. finanzielle Stabilität. Funktionsfähigkeit. gesetzliche Krankenversicherung. Verfassungsmäßigkeit. Fallpunktzahl. Aufschlag. Gemeinschaftspraxis
Orientierungssatz
1. Regelungen im Rahmen eines Honorarverteilungsmaßstabes sind vorrangig am Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit (Art 12 iVm Art 3 Abs 1 GG) zu messen. Des weiteren setzen das Gesamtvergütungssystem sowie der Grundsatz der Beitragssatzstabilität und die finanzielle Stabilität der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung der ärztlichen Berufsausübung und damit auch der Honorierung ärztlicher Leistungen Schranken (vgl BSG vom 3.3.1999 - B 6 KA 8/98 R = SozR 3-2500 § 85 Nr 30 sowie BVerfG vom 31.10.1984 - 1 BvR 35/82 ua = BVerfGE 68, 193 = SozR 5495 Art 5 Nr 1, BVerfG vom 14.5.1985 - 1 BvR 449/82 ua = BVerfGE 70, 1 = SozR 2200 § 376d Nr 1).
2. Der Regelung über den Aufschlag bei der Fallpunktzahl für Gemeinschaftspraxen liegen sachliche Erwägungen zu Grunde. Zum einen soll die Tätigkeit in Gemeinschaftspraxen gefördert werden. Zum anderen trägt die Regelung dem Bemühen Rechnung, den interkollegialen Aufwand bzw die Kosten für konsiliarische Rücksprachen zwischen den Partnern einer Gemeinschaftspraxis abzugelten, zumal die mit 50 Punkten bewertete konsiliarische Erörterung nach Nr 44 EBM-Ä zwischen zwei oder mehr Ärzten derselben Gebietsbezeichnung nicht berechnungsfähig ist, wenn diese Mitglieder derselben Gemeinschaftspraxis sind.
3. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 2. Kammer vom 8.6.2004 - 1 BvR 507/04).
Normenkette
SGB 5 § 71 Abs. 1, § 85 Abs. 4; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; EBM-Ä Nr. 44; SGB 5 § 87 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der als Gynäkologe an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger wandte sich mit zahlreichen Beanstandungen gegenüber den Vorschriften, die der Berechnung der ihm zustehenden Vergütung zu Grunde lagen, gegen die Honorarbescheide der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) für die Quartale III/1998 bis II/1999.
In dem nach erfolglosem Widerspruchs- und Klageverfahren durchgeführten Berufungsverfahren hat er insbesondere geltend gemacht, die Bevorzugung der Gemeinschaftspraxen bei der Ausgestaltung der Praxisbudgets gemäß A I, Teil B, Nr 1.6 der Allgemeinen Bestimmungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) stelle eine willkürliche Schlechterstellung der Einzelpraxen dar. Da Gemeinschaftspraxen ohnehin eine günstigere Kostenstruktur als Einzelpraxen hätten, sei der Zuschlag für die Gemeinschaftspraxen nicht zu rechtfertigen. Weiterhin hat er gerügt, die Regelung in § 9 des Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) der Beklagten sei fehlerhaft geworden. Diese sehe eine Honorarverteilung nach festen, arztgruppenbezogenen Honorarkontingenten vor. Die Größe der Kontingente sei seit Jahren nicht verändert worden, obwohl die Kostensätze in den einzelnen Arztgruppen sich deutlich unterschiedlich entwickelt hätten. Dem hätte die Beklagte durch Änderung der Honorarkontingente ua zu Gunsten der Frauenärzte Rechnung tragen müssen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen, weil die Einwände des Klägers gegen die Gültigkeit der für die Honorierung der vertragsärztlichen Leistungen im streitbefangenen Zeitraum maßgeblichen Vorschriften nicht berechtigt seien (Urteil vom 21. Mai 2003).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), und rügt die Abweichung der des berufungsgerichtlichen Urteils von einem Urteil des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Weiterhin rügt er eine unzulängliche Sachaufklärung des Berufungsgerichts (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
Soweit der Kläger eine unzulängliche Sachaufklärung des Berufungsgerichts als Verfahrensmangel rügt, ist seine Beschwerde unzulässig. Nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG muss in der Beschwerdebegründung ua "der Verfahrensmangel bezeichnet" werden. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann ein Verfahrensmangel auf eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§ 103 SGG) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein solcher Beweisantrag wird in der Beschwerdebegründung nicht angeführt. Soweit der Kläger eine Verletzung des § 128 Abs 2 SGG rügt, wonach das Urteil nur auf Tatsachen oder Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, entspricht seine Begründung nicht den aus § 160a Abs 3 Satz 2 SGG abzuleitenden Anforderungen. Der Kläger legt nicht dar, welche konkreten Tatsachen oder Beweisergebnisse das Berufungsgericht seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat, zu denen er sich im Berufungsrechtszug nicht habe äußern können.
Soweit der Kläger geltend macht, dass das Berufungsgericht ohne Einholung von Sachverständigengutachten bzw ohne Vernehmung des (damals) stellvertretenden Hauptgeschäftsführers der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. K. Ausführungen zur Entwicklung der Kostensätze in den einzelnen Arztgruppen gemacht habe, wird der Zusammenhang zu der als verletzt gerügten Vorschrift des § 128 Abs 2 SGG nicht deutlich. Zudem trägt die Beschwerdebegründung nichts dazu vor, dass das Urteil auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen muss. Sie setzt sich nicht damit auseinander, dass das LSG ausdrücklich offen gelassen hat, ob es der Einschätzung des Klägers hinsichtlich der Erhöhung der Kostensätze in frauenärztlichen Praxen zwischen 1994 und 2003 folgen könne. Es hat eine - unterstellte - Erhöhung der Kostensätze in dem vom Kläger vorgetragenen Umfang für rechtlich unerheblich gehalten und sich in diesem Zusammenhang auf die zum 1. Juli 1998 beschlossenen Änderungen im HVM der Beklagen sowie den Gesichtspunkt der Erprobungsregelung hinsichtlich eines komplexen Sachverhaltes bezogen. Von seinem - insoweit maßgeblichen (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 20002, § 160 RdNr 16b) - Rechtsstandpunkt aus hat das Berufungsgericht sich deshalb nicht zu näherer Sachaufklärung gedrängt sehen müssen.
Unzulässig ist die Beschwerde auch, soweit sie eine Abweichung des berufungsgerichtlichen Urteils von der Senatsentscheidung vom 15. Mai 2002 - B 6 KA 33/01 R - rügt. Wird eine Rechtsprechungsabweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG geltend gemacht, so ist die behauptete Divergenz entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG durch Gegenüberstellung miteinander unvereinbarer Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts und in einer höchstrichterlichen Entscheidung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG zu "bezeichnen". Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie bezeichnet insbesondere keinen Rechtssatz des landessozialgerichtlichen Urteils so konkret, dass der Senat prüfen könnte, ob er mit den tragenden Ausführungen des zur gerichtlichen Kontrolle der Kostensätze für das Praxisbudget ergangenen Senatsurteils vom 15. Mai 2002 (BSGE 89, 259 = SozR 3-2500 § 87 Nr 34) in Übereinstimmung steht. Die Beschwerdebegründung zitiert aus dem Senatsurteil vom 15. Mai 2002, dass die Kostensätze zum Regelungsgefüge der Praxisbudgets gehören und ihre Rechtmäßigkeit für die Honorarverteilung insgesamt relevant ist. Sie bezeichnet aber keinen Rechtssatz des Berufungsgerichts, der dazu in Widerspruch stehen könnte. Die Ausführungen der Beschwerdebegründung können vielmehr allenfalls dahin verstanden werden, dass das Berufungsgericht die Aussagen des Senats zu den Maßstäben der gerichtlichen Kontrolle von Kostensätzen in seiner Entscheidung nicht angemessen angewandt habe. Damit wird jedoch keine Abweichung hinsichtlich der für die Entscheidung maßgeblichen Rechtssätze aufgezeigt.
Teilweise unzulässig ist die Beschwerde auch insoweit, als sie geltend macht, im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang die für die Honorarverteilung maßgebenden Vorschriften im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für verfassungswidrig hält, entspricht die Beschwerdebegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Darlegung des Revisionsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung. Für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung ist auf der Grundlage des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlich, dass in der Beschwerdebegründung eine Rechtsfrage in eigener Formulierung klar bezeichnet sowie dargelegt wird, inwiefern diese Rechtsfrage dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) und klärungsbedürftig (dh auch über den Einzelfall hinaus) von Bedeutung ist. Die Ausführungen des Klägers genügen dem nicht.
Die Beschwerde setzt sich mit der teilweise auch vom LSG zitierten umfangreichen Rechtsprechung des Senats zu den gesetzlichen Grundlagen für die Honorierung vertragsärztlicher Leistungen und zur Recht- bzw Verfassungsmäßigkeit der maßgeblichen Regelungen auf Bundesebene (EBM-Ä) sowie in den Honorarverteilungsmaßstäben einzelner KÄVen nicht auseinander. Sie beruft sich ohne hinreichenden Bezug zum Recht der vertragsärztlichen Honorarverteilung pauschal auf Verfassungsrecht. Der Senat hat wiederholt den weiten Gestaltungsspielraum der Normgeber in diesem Bereich hervorgehoben und betont, dass HVM-Regelungen vorrangig am Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit (Art 12 iVm Art 3 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫) zu messen sind. Zudem setzen das Gesamtvergütungssystem sowie der Grundsatz der Beitragssatzstabilität und die finanzielle Stabilität der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung der ärztlichen Berufsausübung und damit auch der Honorierung ärztlicher Leistungen Schranken (vgl BSG SozR 3 § 85 Nr 30 S 228 f sowie BVerfG 68, 193, 218; 70, 1, 29). Soweit der Kläger schließlich pauschal "die Regelung des Gesundheitsstrukturgesetzes 1992, mit dem die Betriebskrankenkassen geöffnet wurden und mit dem gleichzeitig die mit dem Jahre 1991 festgelegten Kopfpauschalen nicht mehr als die Entwicklung der Grundlohnsummen gestalten durften" für verfassungswidrig hält, wird schon nicht der Zusammenhang zu dem Streitgegenstand (Höhe des vertragsärztlichen Honorars des Klägers in den Quartalen III/1998 bis II/1999) erkennbar. Hinsichtlich der Höhe der Kopfpauschalen, die von den Krankenkassen an die KÄV zu zahlen sind, setzt sich der Kläger nicht damit auseinander, dass die Vorschriften über den Abschluss der Gesamtverträge durch Art 1 des Gesetzes zur Einführung des Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarung für Ärzte und Zahnärzte vom 11. Dezember 2001 (BGBl I S 3526) zum 1. Januar 2002 geändert worden sind. Auf die Probleme im Zusammenhang mit dem Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenkassen (§§ 266 ff SGB V) hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 10. Dezember 2001 (BGBl I S 3465) reagiert. Auch das erwähnt die Beschwerdebegründung nicht.
Soweit der Kläger schließlich für grundsätzlich bedeutsam hält, ob die Privilegierung von Gemeinschaftspraxen bei der Festsetzung der Fallpauschalen für das Praxisbudget rechtswidrig ist, ist die Beschwerde unbegründet. Der Senat lässt ebenso wie das Berufungsgericht offen, ob der Kläger durch eine - unterstellte - Rechtswidrigkeit der Regelung der Allgemeinen Bestimmungen A I, Teil B, Nr 1.6 EBM-Ä über die Berechnung der Fallpunktzahl bei Gemeinschaftspraxen und insbesondere über den Aufschlag von 10 vH für Gemeinschaftspraxen zwischen Hausärzten oder Fachärzten derselben Gebietsbezeichnung beschwert sein kann. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt es nicht auf der Hand, dass er bei Nichtigkeit der entsprechenden Regelung ein höheres Honorar erhalten würde, weil nicht erkennbar ist, wie die Normgeber des EBM-Ä auf eine evtl Feststellung der Unwirksamkeit der Begünstigungsregelung in Nr 1.6, aaO, EBM-Ä reagieren würden. Dies bedarf jedoch keiner Vertiefung, weil die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die Regelung über den prozentualen Aufschlag zur Fallpunktzahl für Gemeinschaftspraxen im EBM-Ä rechtmäßig ist, keiner Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Sie ist vielmehr auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats zur Gestaltungsfreiheit des Bewertungsausschusses (zB BSGE 89, 259, 264 = SozR 3-2500 § 87 Nr 34 S 192) ohne weiteres zu bejahen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Bewertungsausschuss als Normgeber des EBM-Ä die ihm zukommende Gestaltungsfreiheit im Rahmen des § 87 Abs 2 SGB V verletzt haben könnte.
Der Regelung über den Aufschlag bei der Fallpunktzahl für Gemeinschaftspraxen liegen - wie SG und LSG überzeugend dargelegt haben - sachliche Erwägungen zu Grunde. Zum einen soll die Tätigkeit in Gemeinschaftspraxen gefördert werden. Zum anderen trägt die Regelung dem Bemühen Rechnung, den interkollegialen Aufwand bzw die Kosten für konsiliarische Rücksprachen zwischen den Partnern einer Gemeinschaftspraxis abzugelten, zumal die mit 50 Punkten bewertete konsiliarische Erörterung nach Nr 44 EBM-Ä zwischen zwei oder mehr Ärzten derselben Gebietsbezeichnung nicht berechnungsfähig ist, wenn diese Mitglieder derselben Gemeinschaftspraxis sind. Selbst wenn sich - wie der Kläger geltend macht - der Normgeber bei der Einführung des Aufschlags zur Fallpunktzahl für Gemeinschaftspraxen auch von der Erwägung hätte leiten lassen, die mit den Einschränkungen bei der Ordinationsgebühr verbundenen Mindereinnahmen für Gemeinschaftspraxen zu kompensieren (vgl Kölner Kommentar zum EBM, S 146, zur Regelung über die Ordinationsgebühr bei Gemeinschaftspraxen), um damit die Attraktivität von Gemeinschaftspraxen gegenüber Praxisgemeinschaften zu steigern, wäre das nicht zu beanstanden. Das gilt jedenfalls, solange die Regelungen über die Praxisbudgets nicht insgesamt dazu führen, dass eine Einzelpraxis wirtschaftlich nicht mehr betrieben werden kann. Dafür gibt der Vortrag des Klägers im Hinblick auf seine Praxissituation nichts her, und der Umstand, dass nach wie vor die Mehrzahl der vertragsärztlichen Praxen in Deutschland Einzelpraxen sind, lässt es als ausgeschlossen erscheinen, dass die - geringfügige - Privilegierung von Gemeinschaftspraxen bei der Festsetzung der Fallpunktzahl für das Praxisbudget nennenswerte Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Erfolg von vertragsärztlichen Einzelpraxen hat.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Absätze 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung.
Fundstellen