Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des rechtlichen Gehörs
Orientierungssatz
Vor einem rechtskundigen Verbandsvertreter muß erwartet werden, daß er ein Abschneiden des Sachvortrags rechtzeitig beanstandet und damit dem Gericht Gelegenheit gibt, entweder weiteren Sachvortrag zuzulassen oder ihm gemäß § 73 Abs 6 SGG iVm § 157 Abs 2 ZPO durch förmlichen Beschluß zu untersagen.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 3, § 160a Abs 2 S 3, § 62; GG Art 103 Abs 1; SGG § 73 Abs 6; ZPO § 157 Abs 2
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 27.04.1990; Aktenzeichen L 4 V 104/89) |
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht in der in §§ 160 Abs 2 und 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) festgelegten Form begründet worden. Sie ist deshalb entsprechend §§ 169, 193 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).
Der Kläger rügt als wesentlichen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG die Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Art 103 Abs 1 Grundgesetz, § 62 SGG. Damit ist aber der Zulassungsgrund nicht so "dargelegt" und "bezeichnet", wie dies § 160a Abs 2 Satz 3 SGG verlangt. Eine vorschriftsmäßig begründete Verfahrensrüge liegt nur dann vor, wenn die begründenden Tatsachen im einzelnen genau angegeben sind und in sich verständlich den behaupteten Verfahrensfehler ergeben (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Dies Erfordernis betrifft die gesetzliche Form iS des § 169 Satz 1 SGG (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 48).
Die Beschwerde ist in diesem Sinne nicht formgerecht begründet, weil eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht schlüssig dargetan ist. Der Kläger behauptet zwar, seiner Mutter, die ihn in der mündlichen Verhandlung vertreten habe, sei durch das Landessozialgericht (LSG) "das Wort abgeschnitten worden". Zur schlüssigen Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs gehört aber, daß der Kläger auch darlegt, wann und wo er dies bereits in der Vorinstanz gerügt hat oder weshalb er dazu keine Gelegenheit hatte. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs gehört zu den Verfahrensverstößen, in denen bei nicht rechtzeitiger Rüge gem § 202 SGG iVm § 295 Zivilprozeßordnung (ZPO) ein Verlust des Rügerechts eintritt (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, Rz 200 mit Rechtsprechungsnachweisen). Daß das Abschneiden des Sachvortrags vor dem LSG gerügt worden sei, behauptet der Kläger nicht. Es ergibt sich auch nicht aus dem Sitzungsprotokoll über die mündliche Verhandlung oder aus dem angefochtenen Urteil. Es werden auch keine Umstände vorgetragen, aus denen sich entnehmen ließe, daß keine Gelegenheit bestanden hätte, die Verfahrensweise des LSG zu rügen. Der Kläger war nicht nur durch seine Mutter vertreten, sondern auch durch einen rechtskundigen Verbandsvertreter, von dem erwartet werden muß, daß er ein Abschneiden des Sachvortrags rechtzeitig beanstandet und damit dem Gericht Gelegenheit gibt, entweder weiteren Sachvortrag zuzulassen oder ihm gem § 73 Abs 6 SGG iVm § 157 Abs 2 ZPO durch förmlichen Beschluß zu untersagen. Nach dem Beschwerdevorbringen ist nicht auszuschließen, daß das LSG der Mutter des Klägers auf eine entsprechende Rüge hin noch Gelegenheit gegeben hätte, das vorzutragen, was jetzt mit der Beschwerde ergänzend vorgetragen wird. Es braucht deshalb nicht geprüft zu werden, ob das LSG der Mutter des Klägers zu Recht hätte das Wort entziehen dürfen. Durch die unterlassene Rüge wäre ein etwaiger Verfahrensfehler "geheilt".
Prozeßkostenhilfe ist nicht zu bewilligen, weil die unzulässige Beschwerde keine hinreichende Erfolgsaussicht bot (§ 73a SGG iVm § 114 PZO).
Fundstellen