Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege (HKP). An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen. Komplexe oder gesonderte Vergütung. Maßgeblichkeit eines schriftlich fixierten eindeutigen Wortlauts einer Vereinbarung. Beigefügte Protokollnotiz. Preisvereinbarungen als öffentlich-rechtliche Verträge. Erfordernis der Schriftform. Krankenversicherung
Orientierungssatz
Die Auslegung eines Berufungsgerichts, wonach eine Preisvereinbarung vom Wortlaut her eindeutig und das Ergebnis durch den Kontext der Vergütungssätze für die anderen Leistungen der häuslichen Krankenpflege sowie durch die ab 2003 geltende Nachfolgeregelung gestützt wird, kann nur mit einer Verletzung von Bundesrecht angegriffen werden.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2, § 160a Abs 2 S 3, § 162; SGB 5 § 37 Abs 2, § 132a Abs 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Mit der Klage hat die klagende Gesellschaft die Vergütung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege (HKP) aus den Jahren 2000 bis 2002 begehrt, die ihrer Auffassung nach von der beklagten Krankenkasse nicht vollständig bezahlt worden sind. Die Beteiligten haben über die Auslegung eines im Jahre 1999 abgeschlossenen, bis Ende 2002 geltenden HKP-Vertrages nach § 132a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) über die Vergütung für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen gestritten. Die Klägerin bezieht den für die Position 2263 der Anlage 2 dieses Vertrages ("Kompressionsstrümpfe/-hose, An und Aus") vereinbarten Betrag von 14,95 DM bzw 7,64 € jeweils auf das Anziehen und das Ausziehen der Kompressionsstrümpfe, während die Beklagte damit das An- und Ausziehen komplex vergütet wissen will. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. März 2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 15. November 2006). Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht in der durch § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) festgelegten Form begründet worden. Sie ist deshalb nach § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (vgl BVerfGE 48, 246 = SozR 1500 § 160a Nr 30).
Die Beschwerdeführerin weist zwar auf Zulassungsgründe hin, die in § 160 Abs 2 SGG aufgeführt sind. Sie macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und das angegriffene Urteil beruhe auf einem Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Damit sind aber die behaupteten Zulassungsgründe noch nicht so dargelegt und bezeichnet, wie dies § 160a Abs 2 Satz 3 SGG verlangt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) verlangt diese Vorschrift, dass die Zulassungsgründe schlüssig dargetan werden: Eine vorschriftsmäßig begründete Verfahrensrüge liegt nur dann vor, wenn die sie begründenden Tatsachen im Einzelnen angegeben sind und in sich verständlich den behaupteten Verfahrensfehler ergeben (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Zur Begründung der Grundsätzlichkeit der Rechtssache muss erläutert werden, dass und warum in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Rechtsfrage erheblich sein würde, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 44; BSG SozR 1500 § 160a Nr 39). Diese Erfordernisse betreffen die gesetzliche Form iS des § 169 Satz 1 SGG (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 48).
1) Die Beschwerde ist in diesem Sinne nicht formgerecht begründet. Die Klägerin rügt als Verfahrensfehler eine Verletzung des § 103 SGG dadurch, dass das LSG einem ausdrücklich gestellten Beweisantrag nicht nachgegangen sei. Die Klägerin macht dazu geltend, das LSG habe nicht die bereits erstinstanzlich und erneut in der Berufungsschrift vom 19. Juli 2006 benannten Zeugen über den Verlauf der Vertragsverhandlungen vernommen, die ihren Vortrag bestätigt hätten, dass bei den Vertragsverhandlungen Einigkeit darüber bestanden habe, das Anziehen und das Ausziehen der Kompressionsstrümpfe gesondert zu vergüten; den Beweisantrag habe sie mit Schriftsatz vom 14. November 2006 unmittelbar vor der mündlichen Berufungsverhandlung wiederholt. Diesem Beweisantrag sei das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Denn selbst wenn man mit dem LSG davon ausginge, dass sich die Auslegung einer Preisvereinbarung grundsätzlich am Wortlaut der Vereinbarung zu orientieren und eng an diesem zu bleiben habe, heiße das nicht, dass nicht in Ausnahmefällen hiervon abgewichen werden könne. Die Auslegung, dass das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe jeweils - und nicht insgesamt - mit 14,95 DM bzw 7,64 € zu vergüten sei, entspreche dem übereinstimmenden Willen der vertragsschließenden Personen vom Zentralverband Hamburger Pflegedienste eV und den Ersatzkassenverbänden und der bis Februar 2000 von der Beklagten geübten Praxis.
Damit ist ein Verfahrensfehler des LSG nicht schlüssig dargetan, weil die Klägerin nicht von der materiell-rechtlichen Beurteilung des LSG ausgeht, sondern ihre eigene materiell-rechtliche Auffassung zu Grunde legt, wonach nicht allein die schriftlich fixierte Preisvereinbarung maßgebend sei, sondern auch Umstände und Erklärungen im Laufe der Vertragsverhandlungen zur Auslegung des Vertragsinhalts berücksichtigt werden müssten. Der angefochtenen Entscheidung liegt die Rechtsauffassung des LSG zugrunde, dass ein schriftlich fixierter eindeutiger Wortlaut einer Vereinbarung maßgebend sei und ein dem Wortlaut entgegenstehender gemeinsamer Wille der Vertragspartner nur dann zu berücksichtigen sei, wenn er - zB in einer dem Vertrag beigefügten Protokollnotiz - dokumentiert sei. Das LSG hebt damit, ohne dies ausdrücklich auszusprechen, auf das Erfordernis der Schriftform öffentlich-rechtlicher Verträge nach § 56 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch ab, zu denen jedenfalls ab dem Jahr 2000 auch Preisvereinbarungen nach § 132a SGB V gehören (vgl § 69 SGB V). Die Klägerin geht nicht darauf ein, aus welchem Grunde das LSG angesichts dieser Rechtsauffassung gehalten gewesen sein könnte, die Zeugen zum Beweis einer nicht schriftlich fixierten, vom Wortlaut des Vertrages abweichenden Preisvereinbarung zu vernehmen.
2) Die Klägerin hat auch die grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht formgerecht dargelegt. Sie hat sinngemäß die Rechtsfrage aufgeworfen, ob der Wortlaut der Vergütungsregelung der Position 2263 eindeutig sei und, falls dies verneint werden müsse, ob für die Auslegung der Regelung der tatsächliche Parteiwille maßgebend sei. Die Klärung dieser Frage sei trotz Auslaufens der Preisvereinbarung Ende 2002 erforderlich, weil weitere gleichartige Rechtsstreite anderer Pflegedienste noch anhängig seien. Die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage wird damit jedoch nicht dargelegt. Ob der Wortlaut der Vergütungsregelung eindeutig ist, ist eine konkrete Rechtsfrage des vorliegenden Falles, aber keine allgemein zu beantwortende Frage. Weshalb es höchstrichterlicher Klärung bedarf, ob zur Auslegung vom Wortlaut her unklarer Vereinbarungen das von den Vertragspartnern übereinstimmend Gewollte als maßgeblich anzusehen, wird nicht nachvollziehbar ausgeführt. Davon abgesehen weicht die Klägerin dabei vom festgestellten Sachverhalt ab, weil das LSG von einer klaren Vertragsregelung ausgeht. Zudem wird nicht zu der Frage Stellung genommen, ob das Revisionsgericht in einem späteren Revisionsverfahren die Vertragsauslegung des LSG überhaupt überprüfen könnte. Die Klägerin geht auch nicht darauf ein, dass nach § 162 SGG die Auslegung eines Vertrages durch das LSG, der nur im Zuständigkeitsbereich dieses LSG gilt, für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend ist und die Revision nur auf die Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts gestützt werden kann. Die Auslegung des LSG, die streitige Preisvereinbarung sei vom Wortlaut her eindeutig und das Ergebnis werde durch den Kontext der Vergütungssätze für die anderen Leistungen der häuslichen Krankenpflege sowie durch die ab 2003 geltende Nachfolgeregelung gestützt, hätte daher nur mit einer Verletzung von Bundesrecht angegriffen werden können. Dies ist nicht geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Verwaltungsgerichtsordnung; die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs 2, § 52 Abs 3 und § 47 Abs 3 Gerichtskostengesetz.
Fundstellen