Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Oktober 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Der im Jahr 1970 geborene Kläger erhielt vom beklagten Rentenversicherungsträger aufgrund der funktionellen Auswirkungen einer schweren depressiven Episode ab Juni 2011 eine zunächst bis April 2012 befristete und nachfolgend mehrfach - zuletzt bis Oktober 2018 - verlängerte Rente wegen voller Erwerbsminderung. Seinen Antrag auf Weitergewährung der Rente vom Mai 2018 lehnte die Beklagte auf der Grundlage der Ergebnisse zweier von ihr eingeholter Sachverständigengutachten ab (Bescheid vom 22.1.2019, Widerspruchsbescheid vom 24.5.2019).
Der im Klageverfahren vom SG beauftragte Sachverständige W gelangte in seinem neurologischpsychiatrischen Gutachten vom 7.5.2020 zu der Beurteilung, der Kläger könne körperlich leichte Tätigkeiten unter Berücksichtigung gewisser qualitativer Einschränkungen arbeitstäglich noch mindestens sechs Stunden verrichten; seine Wegefähigkeit sei nicht beeinträchtigt. Demgegenüber stellte das auf Kosten des Klägers nach § 109 SGG von S angefertigte neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 12.10.2020 fest, der Kläger sei aufgrund einer gegenwärtig mittelgradig ausgeprägten Angst und Depression unter betriebsüblichen Bedingungen nur noch in der Lage, leichte Tätigkeiten arbeitstäglich drei bis unter sechs Stunden auszuführen. Das SG hat nach ergänzender Stellungnahme von W die Klage abgewiesen (Urteil vom 5.8.2021). Die Berufung des Klägers hat das LSG ohne weitere Sachaufklärung nach entsprechenden Hinweisen gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zurückgewiesen (Beschluss vom 20.10.2022). Der Kläger erfülle bis Mai 2020 die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung (sog Drei-Fünftel-Belegung). Für den Zeitraum von November 2018 bis Mai 2020 sei bei ihm eine volle oder teilweise Erwerbsminderung aber nicht feststellbar. Daran ändere auch die stationäre psychiatrische Aufnahme des Klägers im Juli 2020 nichts, da sie außerhalb des rechtlich relevanten Zeitraums liege. Dies gelte auch für das Gutachten des S, der seine Einschätzung im Oktober 2020 ausdrücklich auf eine "jetzt" eingetretene Verschlechterung bezogen habe. Vor diesem Hintergrund dränge sich eine weitere medizinische Sachermittlung nicht auf.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er rügt einen Verfahrensmangel.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat einen Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Sofern - wie hier - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (vgl § 103 SGG) gerügt wird, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 16.11.2022 - B 5 R 112/22 B - juris RdNr 17; Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX RdNr 321).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht. Er trägt vor, das LSG sei einem von ihm ausdrücklich gestellten Beweisantrag ohne tragfähige Begründung nicht nachgegangen. Bereits in der Berufungsbegründung vom 9.11.2021 habe er "ausführlich auf Widersprüche zwischen den diversen ärztlichen Berichten und Gutachten hingewiesen". Im Schriftsatz vom 28.4.2022 habe er sodann beantragt,
"von Amts wegen ein medizinisches Gutachten des neurologisch/psychiatrischen Fachgebiets zu den Fragen einzuholen, ob der Kläger im Sinne einer chronischen Krankheitsentwicklung an einer rezidivierenden depressiven Störung mit schwergradigen Episoden leidet, seit wann dies der Fall ist und ob dieser gesundheitliche Zustand im Zeitraum vom 01.11.2018 bis aktuell besteht, - bei Bejahung der Diagnosen - welche körperlichen Arbeiten der Kläger noch leisten kann und in welchem zeitlichen Ausmaß und mit welchen sonstigen Einschränkungen er noch tätig sein kann".
An diesem Antrag habe er im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens auch nach den Hinweisen des LSG dazu, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg habe, festgehalten. Die Gründe für seine Einwände insbesondere gegen das Gutachten des W habe er bereits in der Berufungsschrift dargelegt. Dennoch habe es das LSG nicht für notwendig erachtet, seinem Beweisantrag nachzugehen. Die hierfür im Beschluss des LSG angeführte Begründung sei nicht tragfähig und in sich nicht schlüssig. Gerade "die Widersprüchlichkeit zwischen den diversen divergierenden medizinischen Befunderhebungen und Beurteilungen" sei der Grund dafür, "dass eine weitere, 'dritte' Meinung in Form einer weiteren neurologisch-psychiatrischen Begutachtung und Beurteilung erforderlich und geboten war".
Diese Begründung lässt bereits nicht hinreichend erkennen, dass der Kläger einen Beweisantrag bis zum Schluss aufrechterhalten hat. Der Vortrag, er habe an dem von ihm bezeichneten Beweisantrag "auch nach den Hinweisen des Landessozialgerichts dazu, dass die Berufung nach dortiger Auffassung keinen Erfolg habe, weiter festgehalten", reicht nicht aus. Es bleibt offen, welchen Inhalt die Hinweise des Berufungsgerichts gehabt haben und wann und auf welche Weise er darauf reagiert hat, bevor das LSG im Oktober 2022 den angefochtenen Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG gefasst hat (vgl dazu BSG Beschluss vom 6.2.2007 - B 8 KN 16/05 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 7; BSG Beschluss vom 14.3.2019 - B 5 R 22/18 B - juris RdNr 22).
Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich zudem nicht, dass er gegenüber dem Berufungsgericht einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag angebracht hat. Ein solcher Beweisantrag muss benennen, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO) und mit welchem Ziel Beweis erhoben werden soll. Im Rahmen des Verfahrens auf Erlangung einer Erwerbsminderungsrente muss dazu der negative Einfluss von weiteren, dauerhaften Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene Leistungsvermögen behauptet und möglichst genau dargetan werden (vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6). Je mehr Aussagen von Sachverständigen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller von ihm behauptete Unterschiede zum Gegenstand des Beweisthemas machen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 8.11.2022 - B 5 R 155/22 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 16.11.2022 - B 5 R 112/22 B - juris RdNr 19; jeweils mwN). Der vom Kläger wiedergegebene Beweisantrag erfüllt diese Anforderungen nicht. Er enthält zwar die Tatsachenbehauptung, bei ihm - dem Kläger - bestehe eine rezidivierende depressive Störung "mit schwergradigen Episoden". Selbst wenn der Kontext einbezogen wird, dass das vorangegangene nervenärztliche Gutachten des R vom 12.12.2018 nur eine gegenwärtig leichtgradig ausgeprägte depressive Störung festgestellt hatte und das neurologisch-psychiatrische Gutachten des W vom 7.5.2020 eine leicht ausgeprägte Neurasthenie, ergibt sich aus dem Beweisantrag des Klägers nicht, für welche genauen Zeiträume er behauptet, bei ihm habe in Wirklichkeit eine schwergradige depressive Störung vorgelegen. Das wäre aber insbesondere auch deshalb erforderlich gewesen, weil es nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG entscheidungserheblich ausschließlich auf das Leistungsvermögen des Klägers im Zeitraum von November 2018 bis Mai 2020 ankommt. Zudem gibt der Beweisantrag nicht an, welches Ergebnis die beantragte weitere Beweiserhebung erbringen sollte. Angesichts der bereits vorliegenden Gutachten reicht die allgemein gehaltene Frage, "in welchem zeitlichen Ausmaß und mit welchen sonstigen Einschränkungen er noch tätig sein kann", nicht aus (vgl BSG Beschluss vom 16.11.2022 - B 5 R 112/22 B - juris RdNr 19 zu bloßen Beweisausforschungsanträgen).
Schließlich legt die Beschwerdebegründung des Klägers auch nicht dar, das Gutachten des W sei ungenügend iS des § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO. Zu weiteren Beweiserhebungen ist das Tatsachengericht nur dann verpflichtet, wenn das Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthält, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters gibt (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 14.12.2022 - B 5 R 147/22 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 27.4.2021 - B 13 R 125/20 B - juris RdNr 7 mwN). Hinreichende Ausführungen hierzu enthält die Beschwerdebegründung nicht (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.9.2021 - B 5 R 174/21 B - juris RdNr 10). Soweit der Kläger eine Widersprüchlichkeit aus Unterschieden zwischen anamnestischen Angaben und festgestellten Befunden herleitet, betrifft dies die medizinische Bewertung subjektiver Aussagen und ist nicht geeignet, die Mangelhaftigkeit des Gutachtens aufzuzeigen. Ein Sachverständiger ist vielmehr verpflichtet, die Beschwerdeschilderungen des Untersuchten unter Berücksichtigung der weiteren von ihm erhobenen Befunde bei seiner Beurteilung sachgerecht einzuordnen.
Soweit der Kläger die Ausführungen des LSG für unzureichend und unplausibel hält, beanstandet er letztlich, dass das Berufungsgericht trotz gewisser divergierender medizinischer Befunde und Beurteilungen insbesondere dem Gutachten des W gefolgt sei. Er habe den Beweisantrag gestellt, weil in einer solchen Situation eine weitere "dritte" Meinung erforderlich sei. Dabei übersieht der Kläger, dass die kritische Würdigung unterschiedlicher Aussagen in Sachverständigengutachten zur Kernaufgabe der Tatsachengerichte gehört (vgl BSG Beschluss vom 20.5.2020 - B 13 R 49/19 B - juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 11.5.2022 - B 9 SB 67/21 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 15.7.2022 - B 1 KR 9/22 B - juris RdNr 6). Das Ergebnis der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts kann im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen werden (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 iVm § 128 Abs 1 Satz 1 SGG).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15702557 |