Tenor
1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
2. Dem Bundesverfassungsgericht wird die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 3 Abs 3 BKGG in der ab 1. Januar 1994 gültigen Fassung des Art 5 Ziff 3b des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I S 2353) mit Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes vereinbar ist.
Tatbestand
I
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Kindergeldbewilligung für seinen Sohn M … -B … (geb 8. April 1987) ab dem Monat März 1994.
Der Kläger lebt mit der Mutter seines Sohnes in einem Haushalt, ist mit ihr jedoch nicht verheiratet. Beide hatten den Kläger zum Kindergeldberechtigten für M … -B … bestimmt. Neben M … -B … lebt auch K …, ein Kind aus einer früheren Ehe, für das dem Kläger das Sorgerecht übertragen worden war, im Haushalt des Klägers. Der Kläger hat noch weitere Kinder aus einer früheren Ehe, die nicht in seinem Haushalt leben. Dem Kläger war bis Februar 1994 Kindergeld iHv 280,00 DM gezahlt worden. Wegen der Berücksichtigung zweier Zählkinder aus früherer Ehe galten K … als 3. Kind und M … -B … als 4. Kind.
Durch Bescheid vom 7. März 1994 hob die Beklagte die Bewilligung von Kindergeld für M … -B … gemäß § 48 Abs 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) ab dem Monat März 1994 in Höhe von 140,00 DM mtl auf. Sie begründete dies damit, daß aufgrund einer Änderung des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) eine Berechtigtenbestimmung bei unverheirateten Eltern sowie dauernd getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten nicht mehr zulässig sei. Das Kindergeld erhalte nunmehr derjenige Elternteil, der die alleinige Personensorge bzw das alleinige Erziehungsrecht innehabe oder der den überwiegenden Unterhalt erbringe. Das sei die Kindesmutter. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1994).
Auch Klage und Berufung waren ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Oldenburg vom 27. Januar 1995 und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Niedersachsen vom 8. August 1995). Nach Auffassung des LSG hat die Beklagte die Kindergeldbewilligung für M … -B … zu Recht aufgehoben, weil der Kläger aufgrund der zum 1. Januar 1994 in Kraft getretenen Änderung des § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG nicht mehr zum Kindergeldberechtigten habe bestimmt werden können. Eine entsprechende Anwendung des § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG (idF des 1. SKWPG) auf nichtverheiratete Elternpaare komme nicht in Betracht, weil es gerade der Zweck der Neuregelung gewesen sei, die Möglichkeit der Berechtigtenbestimmung unter nichtverheirateten Elternpaaren auszuschließen. Die Neuregelung des § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG verstoße nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Eine Ungleichbehandlung nichtverheirateter Elternpaare gegenüber Ehegatten sei nach der Wertordnung des GG sachlich gerechtfertigt, da das GG Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stelle und damit gegenüber nichtverheirateten Elternpaaren privilegiere.
Hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Klägers, mit der er eine Verletzung von § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG rügt. Eine Berechtigtenbestimmung laufe der gesetzlichen Zielsetzung der Neuregelung nur dann entgegen, wenn der benannte Elternteil sein Kind weder überwiegend unterhalte noch sorgeberechtigt sei. Die Auslegung des § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG durch das LSG verstoße gegen Art 6 Abs 1 und Art 3 Abs 3 GG.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Oldenburg vom 27. Januar 1995 und des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 8. August 1995 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. März 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 1994 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Das Verfahren ist gemäß Art 100 Abs 1 GG auszusetzen, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu der Frage einzuholen, ob § 3 Abs 3 BKGG idF des Art 5 Ziff 3b des 1. SKWPG mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar ist.
1. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt davon ab, ob § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG idF des 1. SKWPG als verfassungsgemäß oder als verfassungswidrig anzusehen ist.
a) Ist die Regelung verfassungsgemäß, hat der Senat das angefochtene Urteil zu bestätigen. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die mit Wirkung vom 1. Januar 1994 in Kraft getretene Änderung des § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG eine wesentliche Änderung der bei Erlaß des Kindergeldbescheides maßgebenden rechtlichen Verhältnisse darstellt, die die Beklagte gemäß § 48 Abs 1 SGB X zur Aufhebung des Bescheides berechtigte, weil der Kläger seine Bezugsberechtigung für M … -B … verloren hatte.
§ 3 Abs 3 BKGG hatte (seit Erlaß des BKGG im Jahre 1964) bis zum 31. Dezember 1993 folgenden Wortlaut:
„Erfüllen für ein Kind Vater und Mutter die Anspruchsvoraussetzungen, so wird das Kindergeld demjenigen gewährt, den sie zum Berechtigten bestimmen. Solange sie diese Bestimmung nicht getroffen haben, wird das Kindergeld demjenigen gewährt, der das Kind überwiegend unterhält; es wird jedoch der Mutter gewährt, wenn ihr die Sorge für die Person des Kindes allein zusteht.”
Satz 2, 2. Halbs wurde durch den Einigungsvertrag ≪EV≫ vom 31. August 1990 iVm Art 1 des Zustimmungsgesetzes vom 23. September 1990, (BGBl II S 885) wie folgt geändert:
„…; es wird jedoch dem Elternteil gewährt, dem die Sorge für die Person des Kindes oder das elterliche Erziehungsrecht für das Kind allein zusteht”.
Die zum 1. Januar 1994 in Kraft getretene Fassung von § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG lautet:
„Erfüllen für ein Kind Ehegatten, die nicht dauernd getrennt leben, die Anspruchsvoraussetzungen, so wird das Kindergeld demjenigen gewährt, den sie zum Berechtigten bestimmen.” Satz 2 enthält im wesentlichen die frühere Fassung. Geändert wurde lediglich die einleitende Formulierung des 1. Halbsatzes: „Solange eine Bestimmung nicht vorliegt, wird das Kindergeld demjenigen gewährt, der das Kind überwiegend unterhält; …”
Diese Fassung der Vorschrift war bis zum Ablauf des Jahres 1995 in Kraft. Sie wurde durch die Neuregelung des Kindergeldrechts im Jahressteuergesetz 1996 (BGBl I995 I S 1250) mit Wirkung vom 1. Januar 1996 wieder aufgehoben. Die Regelung befindet sich seither in § 3 Abs 2 BKGG bzw § 64 Abs 2 Einkommensteuergesetz (EStG). Die Sätze 1 und 2 der genannten Vorschriften lauten:
„Bei mehreren Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Ist ein Kind in den gemeinsamen Haushalt von Eltern, einem Elternteil und dessen Ehegatten, Pflegeeltern oder Großeltern aufgenommen worden, so bestimmen diese untereinander den Berechtigten.”
Danach ist die Berechtigtenbestimmung bei Eltern, die mit dem Kind in einem Haushalt leben, nicht mehr auf Ehegatten beschränkt. § 3 Abs 3 BKGG idF des 1. SKWPG ließ dagegen eine Berechtigtenbestimmung unter nicht miteinander verheirateten, unter verheirateten, aber nicht zusammenlebenden sowie geschiedenen Eltern durch übereinstimmende Erklärung nicht zu.
Der durch die Neuregelung 1994 eingeführte Ausschluß der Berechtigtenbestimmung erfaßt auch solche Fälle, in denen – wie beim Kläger – die Bestimmung schon längere Zeit vor deren Inkrafttreten getroffen worden war. Zwar könnte aus der Formulierung „…, den sie zum Berechtigten bestimmen” im letzten Halbsatz des § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG idF des 1. SKWPG bei wörtlicher Auslegung auch geschlossen werden, daß die Beschränkung des Bestimmungsrechts auf zusammenlebende Ehegatten nur auf Neufälle anzuwenden sei, also nur Berechtigtenbestimmungen erfassen sollte, die erstmals nach dem 1.1.1994 getroffen wurden. Eine solche Auslegung ließe jedoch die im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Absicht außer acht, mit der Gesetzesänderung eine gerade im Hinblick auf den angestrebten Einsparungseffekt gewollte unmittelbar wirksam werdende Änderung zu erreichen (vgl BT-Drucks 12/5502, S 19, 20).
Der Wegfall der Berechtigtenbestimmung durch übereinstimmende Erklärung hat zur Folge, daß seit Januar 1994 nur noch die Kindesmutter bezugsberechtigt ist, weil sie das alleinige Sorgerecht besitzt (§ 1705 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫). § 3 Abs 3 BKGG läßt allerdings nicht ohne weiteres erkennen, wonach sich die Bezugsberechtigung bei den nicht von § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG erfaßten Eltern richten sollte. § 3 Abs 3 Satz 2 BKGG erweckt zunächst den Anschein, als beziehe er sich lediglich auf Satz 1 und erfasse nur die grundsätzlich zur Berechtigtenbestimmung legitimierten verheirateten und zusammenlebenden Eltern. Die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 12/5929, S 5) machen jedoch deutlich, daß ein solcher eingeschränkter Bezug der Regelung nicht beabsichtigt war, sondern daß man davon ausgegangen ist, daß sich die Bezugsberechtigung auch in den Fällen nach § 3 Abs 2 Satz 2 BKGG – also in erster Linie nach dem Sorgerecht – richten sollte, in denen eine Berechtigtenbestimmung nicht zulässig war. Der Gesetzgeber wollte danach die von § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG nicht erfaßten Eltern nicht auf eine Berechtigtenbestimmung durch das Vormundschaftsgericht verweisen, die § 3 Abs 4 BKGG „in anderen Fällen” vorsieht.
b) Ist § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG idF des 1. SKWPG verfassungswidrig, müßte der Senat das Verfahren bis zu einer gesetzlichen Neuregelung aussetzen. Der Gesetzgeber hätte, wie noch darzulegen sein wird, mehrere Möglichkeiten, einen verfassungsmäßigen Zustand herzustellen. Dies steht jedoch der Vorlagepflicht nach Art 100 Abs 1 GG nicht entgegen. Auf die Gültigkeit einer Norm kommt es iS von Art 100 GG auch dann an, wenn das BVerfG lediglich die Unvereinbarkeit der maßgebenden Vorschrift mit dem GG feststellen kann und dies dem Kläger die Chance offenhält, an einer etwaigen Erweiterung der begünstigenden Regelung durch den Gesetzgeber teilzuhaben (BVerfGE 61, 138, 146; 71, 224, 228; 74, 182, 195).
2. § 3 Abs 3 Satz 1 idF des 1. SKWPG verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG). Zum einen ist die Regelung willkürlich (2.1.), zum anderen führt sie zu einer Differenzierung zwischen zusammenlebenden Ehegatten einerseits sowie getrennt lebenden Ehegatten und nichtehelichen Lebensgemeinschaften, die mit gemeinsamen Kindern zusammenleben, andererseits, die mit Art 6 Abs 1 GG nicht zu vereinbaren ist (2.2).
2.1. Das Willkürverbot läßt eine evident unsachliche Differenzierung durch den Gesetzgeber nicht zu (BVerfGE 12, 326, 333; 18, 121, 124; 23, 135, 143; 52, 277, 281; 71, 39, 58; 89, 132, 141). Sachlich unter keinem Gesichtspunkt vertretbar ist eine Differenzierung, die eine bestimmte Personengruppe benachteiligt, ua dann, wenn das vom Gesetzgeber legitimierweise verfolgte Ziel mit der getroffenen Regelung nicht oder nur unzulänglich zu erreichen ist. Das ist hier der Fall.
Die durch das 1. SKWPG eingeführte Fassung von § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG wurde im Gesetzgebungsverfahren wie folgt begründet (BT-Drucks 12/5502, S 45; vgl auch Bericht des Haushaltsausschusses: BT-Drucks 12/5929, S 4 f):
„Es entspricht dem Grundsatz der Kindergeldzahlung entsprechend der tatsächlichen Unterhaltsleistung, wenn unter nichtverheirateten Eltern das Kindergeld demjenigen gezahlt wird, der das Kind überwiegend unterhält oder dem die Sorge für die Person des Kindes allein zusteht. Die bisher zulässige Berechtigtenbestimmung auch unter nichtverheirateten Eltern ermöglicht eine Erhöhung des Kindergeldanspruchs durch die Berücksichtigung von nicht gemeinschaftlichen Kindern eines Elternteils auch dann, wenn dieser keines seiner Kinder überwiegend unterhält und ihm auch nicht die Sorge für die Person des Kindes zusteht. Auch von verheirateten, aber dauernd von ihren Ehegatten getrennt lebenden Berechtigten können bisher derartige Vorteile in Anspruch genommen werden.”
Das SG Magdeburg hat in seinem Vorlagebeschluß vom 31. Mai 1995 (S 5 Kg 39/94) bereits zutreffend deutlich gemacht, daß die Begründung zum Gesetzentwurf von einer unzutreffenden Prämisse ausgeht, wenn dort als Grundsatz der Kindergeldzahlung angegeben wird, daß unter nichtverheirateten Eltern derjenige bezugsberechtigt sei, der das Kind überwiegend unterhalte oder dem die Sorge für die Person des Kindes allein zustehe. Die Gesetzesbegründung beachtet nicht, das kindbezogene staatliche Leistungen gleichrangig dem Elternteil zustehen, der die Pflege und Erziehung durchführt wie auch demjenigen, der durch Zuwendung von Geldmitteln den Unterhalt des Kindes sicherstellt (so: BVerfGE 45, 104, 130). Dies folgt bereits aus § 1606 Abs 3 BGB, der von der Gleichrangigkeit der Betreuungsleistung und der finanziellen Zuwendung ausgeht. Die Bezugsberechtigung nur eines Elternteils mit Vorrang des Sorgeberechtigten oder des Zahlers einer Unterhaltsrente hat das BVerfG nur dann als zulässig angesehen, wenn es sich lediglich um eine vorläufige Zuordnung handelt, die innerfamiliär – über die Verrechnung mit Unterhaltszahlungen – ausgeglichen wird und sich nicht auf die Höhe des Kindergeldes auswirkt.
Letztere Voraussetzung ist bei einer zahlreich vertretenen Fallgruppe von Eltern, nämlich denjenigen, die über Kinder aus einer früheren Verbindung verfügen, zu denen auch der Kläger zählt, nicht gegeben. Bei ihnen wirkt sich die Bezugsberechtigung über die Ausnutzung eines Zählkindervorteils auf die Höhe des Kindergeldes aus. Der Zählkindervorteil ist Folge der in § 10 Abs 1 BKGG geregelten unterschiedlichen Höhe des Kindergeldes, je nachdem, ob es sich um das 1., 2., 3., 4. oder ein weiteres Kind (Ordnungszahl des Kindes) handelt. Die Ordnungszahl eines Kindes ist bei den Elternteilen verschieden, wenn neben gemeinsamen Kindern noch Kinder aus früheren Verbindungen vorhanden sind. Ein Kind aus einer früheren Verbindung wirkt sich auf die Ordnungszahl eines später geborenen Kindes (etwa aus der aktuellen Verbindung) auch dann aus, wenn der andere Elternteil (aus der früheren Verbindung) kindergeldberechtigt ist. Denn § 10 Abs 1 BKGG stellt nur auf die Elternschaft gegenüber einem Kind ab; die Kindergeldberechtigung, das Sorgerecht oder Unterhaltsbeziehungen sind insoweit unerheblich.
Dem Kläger entgeht durch die Aufhebung der Kindergeldbewilligung für M … -B … Kindergeld in Höhe von mtl 140,00 DM, während der Mutter des Kindes als Berechtigter Kindergeld nur in Höhe von 70,00 DM zusteht. Hieraus folgt, daß der Kläger mit dem Entzug des Kindergeldes für M … -B … einen Zählkindervorteil eingebüßt hat, den die Mutter des Kindes nicht geltend machen kann. Die mit dem Bescheid vollzogene Rechtsänderung ist daher nicht nur mit einer Änderung der formalen Zuordnung der Kindergeldberechtigung verbunden, die innerfamiliär – über eine Entlastung von der Unterhaltsverpflichtung in gleicher Höhe – ausgeglichen wird. Der Kläger ist vielmehr materiell betroffen. Da seiner Partnerin nur Kindergeld in Höhe von 70,00 DM zusteht, wird seine Unterhaltsverpflichtung durch die Kindergeldzahlung an die Mutter des Kindes nicht in der Höhe ausgeglichen, in der ihm bei eigener Berechtigung Kindergeld zustände. Der Kläger zählt damit zur Gruppe der nichtverheirateten Eltern, die durch die Änderung des § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG insgesamt als Familie eine Minderung des Kindergeldes hinnehmen mußten.
Das Ziel des Gesetzgebers, „ungerechtfertigte” Zählkindervorteile zu vermeiden, insbesondere in den Fällen, in denen die früher zulässige Berechtigtenbestimmung eine Erhöhung des Kindergeldanspruchs durch Berücksichtigung nicht gemeinsamer Kinder auch dann zuließ, wenn gegenüber diesen Kindern weder Unterhaltspflichten bestanden noch das Sorgerecht ausgeübt wurde, kann mit der Neuregelung des § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG durch das 1. SKWPG allenfalls in Bezug auf nichtverheiratete Eltern erreicht werden, und das auch nur mittelbar. Denn tatsächlich hat der Gesetzgeber zum Zwecke der Einsparung nicht den Zählkindervorteil abgebaut, sondern beim „Zahlkind” angesetzt und dort den gesamten Anspruch entfallen lassen, um ihn auf den anderen Elternteil zu verlagern. Die Regelung schießt aber in den Fällen über das Ziel hinaus, in denen tatsächlich auch noch die Zählkinder unterhalten werden. Der Ausschluß des Zählkindervorteils erfaßt selbst solche Kinder aus einer früheren Verbindung, die im Haushalt des Vaters leben und für deren Unterhalt er sorgt, wie dies beim Kläger im Hinblick auf seine Tochter K … der Fall ist. Bei verheirateten Eltern müssen demgegenüber auch bei Anwendung der hier maßgebenden Fassung der Vorschrift Kinder beider Ehegatten aus früheren Verbindungen oder nichteheliche Kinder auch dann als Zählkinder berücksichtigt werden, wenn insoweit weder Unterhaltspflichten bestehen, noch das Sorgerecht ausgeübt wird. Diese Kinder führen bei Ehegatten auch nach der Neuregelung zur Erhöhung des Kindergeldes für Kinder aus der aktuellen Ehe. Denn maßgebend für die Ausnutzung des Zählkindervorteils ist allein die Elternschaft gegenüber Kindern aus früheren Verbindungen, ohne daß es – worauf bereits hingewiesen wurde – auf Unterhalts- oder Sorgerechtsbeziehungen gegenüber diesen Kindern ankommt.
Das Ziel, den Zählkindervorteil in den Fällen auszuschalten, in denen gegenüber einem Kind weder Unterhalts- noch Sorgerechtsbeziehungen bestehen, hätte nur durch eine Begrenzung des Zählkindervorteils in § 10 Abs 1 BKGG erreicht werden können. So hätte es nahegelegen, in § 10 Abs 1 BKGG festzulegen, daß bei Anwendung des Satzes 1 solche Kinder nicht berücksichtigt werden, denen gegenüber der Antragsteller keinen bzw nicht den überwiegenden Unterhalt gewährt und für die er auch das Sorgerecht nicht ausübt. § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG idF des 1. SKWPG führt demgegenüber dazu, daß nichtverheiratete Eltern vom Zählkindervorteil ausgeschlossen sind, der sich in der Person des Vaters errechnen würde, weil gem § 1705 Abs 1 BGB grundsätzlich der Mutter das Sorgerecht für das der aktuellen Verbindung entstammende Kind, um dessen Kindergeld es geht, zusteht.
Nichtverheiratete Mütter können demgegenüber – entgegen der mit der Änderung verfolgten Zielvorstellung – Kinder aus früheren Verbindungen weiterhin als Zählkinder geltend machen. Hieraus wird deutlich, daß das durch die Neufassung des § 3 Abs 3 BKGG durch das 1. SKWPG verfolgte Ziel, Zählkindervorteile bei der Bemessung des Kindergeldes zu beschränken, nur bei nichtehelichen oder getrennt lebenden Vätern erreicht wurde. Für eine derartige Differenzierung ist ein sachlicher Grund nicht zu erkennen.
2.2. Die Ungleichbehandlung verheirateter und zusammenlebender Eltern einerseits und nichtverheirateter bzw verheirateter und nicht zusammenlebender Eltern andererseits kann nicht, wie das LSG annimmt, durch Art 6 Abs 1 GG gerechtfertigt werden. Zwar läßt Art 6 Abs 1 GG womöglich eine Privilegierung der Ehe gegenüber der nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu. Darum geht es hier jedoch nicht. Bei der in § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG vorgenommenen Differenzierung kann nicht allein auf den Familienstand des formal Leistungsberechtigten abgestellt werden, denn das Kindergeld soll nicht nur ihm zugute kommen, sondern der Gemeinschaft aus Eltern und Kind. Bei dem hier streitigen Kindergeldanspruch sind nicht nur der Kläger und seine nichteheliche Lebenspartnerin betroffen, sondern auch deren gemeinsames Kind M … -B …, für das Kindergeld gezahlt wird. Es geht deshalb nicht um eine Besserstellung der Ehe gegenüber der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, sondern der sog Normalfamilie gegenüber der aus nicht miteinander verheirateten Eltern und Kind bestehenden Familie, was Art 6 Abs 1 GG nicht zuläßt. Im übrigen führt § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG idF des 1. SKWPG auch zu einer Differenzierung unter Ehegatten, da nur die zusammenlebenden privilegiert werden.
Art 6 Abs 1 GG stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Der verfassungsrechtliche Schutz gilt deshalb nicht nur für intakte Ehen, er bezieht sich in gleicher Weise auf die Gemeinschaft von Eltern und Kindern und erfaßt, wie das BVerfG mehrfach entschieden hat, auch die Lebensgemeinschaft nichtehelicher Kinder mit ihren nicht miteinander verheirateten Eltern bzw einem Elternteil (vgl BVerfGE 18, 97, 105: nichteheliche Kinder im Verhältnis zu ihrer Mutter; BVerfGE 79, 256, 267; 45, 104: Ausschluß geschiedener, getrenntlebender und unverheirateter Elternteile, denen das Kind nicht zugeordnet ist, die aber ihrer Unterhaltspflicht nachkommen, von kinderbedingten Vergünstigungen im Steuerrecht).
Hat eine Regelung familienbenachteiligende Wirkung, so ist bei einer Prüfung am Maßstab des Art 3 Abs 1 GG zu beachten, daß die dem Gesetzgeber zustehende Gestaltungsfreiheit bei der Gewährung staatlicher Leistungen aus allgemeinen Haushaltsmitteln durch die Grundsatznorm des Art 6 Abs 1 GG beschränkt ist (BVerfGE 18, 257, 259; BSGE 72, 125, 128 = SozR 3-7833 § 5 Nr 2). Art 6 Abs 1 GG läßt eine unterschiedliche Behandlung von Eltern bei der Zubilligung des Rechts zur Bestimmung des Kindergeldberechtigten je nach ihrem Familienstand und der Organisation ihrer Lebensführung nicht zu.
Das Kindergeldrecht enthält allerdings seit langem auch insoweit eine Besserstellung von Ehegatten gegenüber nichtehelichen Lebensgemeinschaften, als die vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommenen Kinder seines Ehegatten auch als (Zähl)Kinder berücksichtigt werden (§ 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BKGG, früher: § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 5 BKGG). Die Kinder des nichtehelichen Lebenspartners werden demgegenüber auch dann nicht als Kinder des anderen Partners berücksichtigt, wenn sie in dessen Haushalt aufgenommen sind. Die hierin liegende Benachteiligung von Partnern nichtehelicher Lebensgemeinschaften und ihren Kindern berührt indes nicht den Schutzbereich des Art 6 Abs 1 GG. Denn in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft bildet grundsätzlich jeder Partner mit den eigenen Kindern eine Teilfamilie (vgl BSG SozR 3-5870 § 2 Nr 19). Beide Partner sind dagegen zusammen mit einem gemeinsamen Kind als Familie iS von Art 6 Abs 1 GG anzusehen (vgl Eva-Marie von Münch, in: I. von Münch/Kunig, GG-Kommentar, 4. Aufl 1992, Art 6 RdNr 8).
4. Die Ungleichbehandlung verheirateter und nichtverheirateter Eltern bei der Bestimmung des Kindergeldberechtigten läßt sich auch nicht damit rechtfertigen, daß bei der Ermittlung des Einkommens (§ 11b BKGG), das im hier maßgebenden Zeitraum für die einkommensabhängige Kindergeldminderung von Bedeutung ist (§ 10 Abs 2 und 3 BKGG), bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften im Gegensatz zu Ehepaaren nur das Einkommen des Berechtigten, nicht aber das des anderen Partners berücksichtigt wurde. Soweit mit dieser Überlegung die Neufassung der Berechtigtenbestimmung im Jahressteuergesetz 1996 (dort § 3 Abs 2 BKGG bzw § 64 Abs 2 EStG; vgl BT-Drucks 13/1558, S 165) gerechtfertigt wird, die – erneut – eine Berechtigtenbestimmung auch unter Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zuläßt, wird verkannt, daß beide Regelungsbereiche nur teilweise identische Personengruppen betreffen. Vom Verlust des Zählkindervorteils wurden nach der hier zu beurteilenden Rechtslage im Hinblick auf § 1705 BGB grundsätzlich Väter nichtehelicher Kinder benachteiligt, die Kinder aus früheren Verbindungen hatten. Mütter nichtehelicher Kinder konnten demgegenüber wegen des ihnen in der Regel zustehenden Sorgerechts ihre aus vorhergehenden Verbindungen stammenden Kinder als Zählkinder geltend machen. Von der unterbliebenen Anrechnung des Partnereinkommens wurde dagegen der jeweils einkommensschwächere oder einkommenslose Partner begünstigt; ob sich bei ihm zugleich ein Zählkindervorteil realisieren ließ, hing dagegen vom Zufall ab. Dies wird auch aus den Verhältnissen des vorliegenden Falles deutlich: der allein erwerbstätige Kläger hatte im Hinblick auf die einkommensabhängige Minderung des Kindergeldes keinerlei Vorteile aus der Nichtanrechnung des Partnereinkommens, da die Mutter des Kindes nicht über Erwerbseinkünfte verfügte. Hätte diese dagegen Kinder aus einer früheren Verbindung als Zählkinder geltend machen können, so wäre ihr die Nichtanrechnung des Partnereinkommens zugute gekommen.
5. Die verfassungswidrigen Auswirkungen des § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG idF des 1. SKWPG lassen sich bei Berücksichtigung der vom Gesetzgeber mit der Einführung der Norm verfolgten Ziele nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung vermeiden. Der Wortlaut der Regelung steht einer Berechtigtenbestimmung, von der die Ausnutzung des Zählkindervorteils abhängt, bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften eindeutig entgegen. Soweit § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung (vgl Wickenhagen/Krebs, BKGG, § 3 RdNr 31a) im Hinblick auf nichtverheiratete Elternpaare eine Lücke enthält, soll diese durch eine analoge Anwendung von § 3 Abs 3 Satz 2 BKGG geschlossen werden. Das führt jedoch zum selben Ergebnis wie die hier vertretene Gesetzesauslegung.
Eine erweiterte Anwendung des § 3 Abs 4 BKGG führt ebenfalls nicht zu einer verfassungskonformen Lösung, weil die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts nicht von denselben Kriterien abhängt, die für die Entscheidung der Eltern ausschlaggebend sein können. So kann das Vormundschaftsgericht nicht ohne weiteres den Zählkindervorteil, als wirtschaftlichen Vorteil der Gesamtfamilie und damit auch des Kindes, berücksichtigen, weil es hierdurch das vom Gesetzgeber mit der Neufassung des § 3 Abs 3 BKGG verfolgte Ziel konterkarieren würde.
Der Vorlage steht nicht entgegen, daß die maßgebende Vorschrift (§ 3 Abs 3 BKGG idF des 1. SKWPG) durch das Jahressteuergesetz 1996 (aaO) geändert wurde und seither die als verfassungswidrig angesehene Regelung nicht mehr enthält. Die Vorlagepflicht nach Art 100 Abs 1 GG besteht auch bei außer Kraft getretenen Gesetzen, solange sich durch das Außerkrafttreten das Ausgangsverfahren nicht erledigt hat (BVerfGE 47, 46, 64).
Fundstellen