Verfahrensgang

LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 10.10.1996; Aktenzeichen L 5 V 23/96)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 10. Oktober 1996 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger bezieht als Kriegsbeschädigter im Beitrittsgebiet „abgesenkte” Grundrente. Er meint, die „Absenkung” gegenüber den in den alten Bundesländern geltenden Leistungssatz verstoße gegen Art 3 Abs 1 und Abs 3 Satz 2 des Grundgesetzes (GG). Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

Die Beschwerde ist nicht begründet, weil der behauptete Zulassungsgrund nicht vorliegt. Der Senat hat bereits mehrere gleichlautende Beschwerden zurückgewiesen (zuletzt mit Beschluß vom 18. Dezember 1996 – 9 BV 85/96), weil die vom Kläger für grundsätzlich gehaltene Frage im Urteil des Senats vom 10. August 1993 (BSGE 73, 41 = SozR 3-3100 § 84 Nr 1) beantwortet und deshalb nicht mehr klärungsbedürftig sei. In dem zitierten Beschluß wurde dazu die Begründung eines früheren Beschlusses (vom 19. Juni 1996 – 9 BV 176/95) zitiert wie folgt:

Eine Verletzung von Art 14 Abs 1 GG ist deshalb nicht gesehen worden, weil dem Beschädigten vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland weder ein Anspruch noch eine Anwartschaft auf Auszahlung von Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zugestanden hat. Auch eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art 3 Abs 1 GG ist verneint worden. Es habe dem Gesetzgeber freigestanden, der durch die Vereinigung der beiden deutschen Staaten eingetretenen besonderen Lage dadurch Rechnung zu tragen, daß er Leistungen der sozialen Sicherheit im Beitrittsgebiet nur in dem Umfang gewährt, in dem auch das dort vorhandene Lohn- und Gehaltsniveau hinter den Durchschnittsverdiensten im früheren Bundesgebiet zurückbleibt. Eine allmähliche Anpassung bis zur völligen Gleichstellung dürfe angestrebt werden. Selbst wenn das unterschiedliche Lohnniveau allein noch kein sachlicher Grund für die unterschiedliche Höhe der BVG-Leistungen sein sollte, dürfe der Gesetzgeber eine Ungleichbehandlung für eine Übergangszeit vorsehen, wenn anders nicht vor allem die finanzielle Dimension des Problems bewältigt werden kann.

Zur Frage, ob die vom Kläger für grundsätzlich gehaltene Frage durch die seit dem Urteil vom 10. August 1993 (BSGE 73, 41 = SozR 3-3100 § 84 Nr 1) verstrichene Zeit wieder klärungsbedürftig geworden sei, wird – ebenfalls durch Übernahme der Begründung aus dem Beschluß vom 19. Juni 1996 (9 BV 176/95) – des weiteren ausgeführt:

Dem Beschwerdeführer ist einzuräumen, daß die Dauer der schrittweisen Anpassung bis zur Erreichung des gleichen Leistungsniveaus vor etwa drei Jahren, zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils möglicherweise kürzer eingeschätzt worden ist, als dies aus heutiger Sicht geschehen würde. Es kann auch davon ausgegangen werden, daß das tatsächliche Rentenniveau in den neuen Bundesländern im Gegensatz zur sog Standardrente das durchschnittliche Rentenniveau in den alten Bundesländern teilweise schon erreicht oder sogar überschritten hat. Dies allein ist aber kein Grund, das immer noch deutliche Zurückbleiben der Kriegsopferversorgung in den neuen Bundesländern als Verstoß gegen den Gleichheitssatz zu werten. Denn für die Partner des Einigungsvertrages war für die Höhe der sog Standardrenten wie der Versorgungsrenten allein die Entwicklung der Erwerbseinkommen maßgebend, nicht das tatsächliche Rentenniveau, das vor allem aufgrund längerer und regelmäßiger Erwerbstätigkeit der Frauen in den neuen Bundesländern die Renten der Frauen in den alten Bundesländern übersteigt. Die Anknüpfung der Renten für Kriegsopfer an die Entwicklung der Erwerbseinkünfte ist ein sachlicher Gesichtspunkt, weil er an die volkswirtschaftliche Leistungskraft anknüpft, aus der die Sozialleistungen finanziert werden müssen. Soweit der Beschwerdeführer einwendet, auch im alten Bundesgebiet habe es seit jeher regional erhebliche Einkommensunterschiede gegeben, ohne daß sich dies in der Kriegsopferversorgung ausgewirkt habe, verkennt er die neue Dimension der Lasten, die dem Gesamtstaat infolge der deutschen Einigung erwachsen sind, die es nicht mehr erlauben, die niedrigere wirtschaftliche Leistungskraft in den neuen Bundesländern wie früher im Rahmen des normalen Finanzausgleichs aufzufangen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers wird durch die unterschiedliche Höhe der Grundrenten in den alten und neuen Bundesländern nicht der Gesamtstaat „künstlich aufgeteilt”, sondern nur finanziellen Notwendigkeiten Rechnung getragen, die infolge einer jahrzehntelangen Teilung entstanden sind. Bereits die alljährliche Anpassung der Renten in den neuen Bundesländern, die deutlich über der Höhe der Rentenanpassung in den alten Bundesländern liegt, verursacht Mehraufwendungen in Milliardenhöhe (vgl Entwurf der 11. Rentenanpassungsverordnung mit Begründung, BR-Drucks 739/95). Daß ostdeutsche Versorgungsempfänger auch dann noch nur eine abgesenkte Rente erhalten, wenn sie ihren Wohnsitz in die alten Bundesländer verlegt haben oder verlegen, läßt sich ersichtlich schon damit rechtfertigen, keinen zusätzlichen wirtschaftlichen Anreiz für eine Ost-West-Wanderung zu bieten, der die Leistungskraft der neuen Bundesländer nur noch weiter schwächen würde.

Das vom Gedanken der Gleichbehandlung für die erbrachten Opfer an Leben und Gesundheit gerechtfertigte Verlangen des Klägers, mit Kriegsopfern in den alten Bundesländern gleichgestellt zu werden, würde bei einer generellen Regelung ebenfalls Finanzmittel in Milliardenhöhe erfordern, die nur im Rahmen einer längerfristigen Planung bereitgestellt werden können. Dabei muß trotz des meist fortgeschrittenen Alters der Kriegsopfer ein längerer Anpassungszeitraum in Kauf genommen werden, wenn infolge einer allgemeinen ungünstigen Wirtschaftslage auch die Haushaltsmittel knapp sind. Entscheidend ist, daß das Ziel der Gleichstellung sämtlicher Kriegsopfer vom Gesetzgeber anerkannt und im Rahmen der jeweils zur Verfügung stehenden Mittel konsequent angestrebt wird.

Soweit der Kläger mit der vorliegenden Beschwerde zusätzlich geltend macht, daß der vom Gesetzgeber gewählte Anpassungsmechanismus niemals zu gleich hohen Leistungen der Kriegsopferversorgung führen werde, wirft er damit keine grundsätzlich bedeutsame Frage auf. Die Grundrenten im Beitrittsgebiet nähern sich dem Westniveau mit dem Tempo, mit dem die verfügbare Standardrente Ost zur verfügbaren Standardrente West aufschließt. Zur Zeit (seit dem 1. Juli 1996) ist ein Prozentsatz von 82,28 erreicht (BArbBl 1996, 7/94). Zum 1. Juli 1997 soll ein Prozentsatz von 85,2 erreicht werden (vgl Entwurf zur Rentenanpassungsverordnung 1997 – BR-Drucks 270/97). Daran zeigt sich, in welchem Maße es bisher gelungen ist, das bereits in der Präambel zum Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 (BGBl II S 537) formulierte Ziel zu erreichen, die Lebens- und Beschäftigungsbedingungen der Bevölkerung im Beitrittsgebiet zu verbessern. In diesen langwierigen Anpassungsprozeß nach einer historisch einmaligen Umbruchsituation sind auch die Kriegsopfer eingebunden. Solange das Angleichungsziel (vgl zur „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse als Verfassungsgebot”: Däubler in Festschrift für Mahrenholz, S 455 ff) nachhaltig verfolgt wird, ist ein an den noch unterschiedlichen Lebensverhältnissen ausgerichtetes differenziertes Leistungsniveau gerechtfertigt. Daß eine Angleichung der Lebensverhältnisse unmöglich und deshalb auf diesem Wege eine vollständige Gleichbehandlung der Kriegsopfer nicht zu erreichen ist, läßt sich trotz des langsamer als erwartet verlaufenden Anpassungsprozesses nicht feststellen.

Auch die vom Kläger nunmehr ins Feld geführte Änderung des GG durch Gesetz vom 27. Oktober 1994 (BGBl I S 3146) hat keinen neuen Klärungsbedarf gebracht. Durch das Gesetz zur Änderung des GG wurde dem Art 3 Abs 3 GG ein Satz 2 mit folgendem Wortlaut angefügt: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden”. Der Kläger legt nicht dar, inwiefern dieses für Behinderte geschaffene Abwehrrecht sich auf die Rechtmäßigkeit des für Beschädigte aus dem Beitrittsgebiet geltenden abgesenkten Leistungssatzes auswirken kann. Offensichtlich knüpft die Absenkung des Leistungssatzes nicht an die Behinderung, sondern an den ständigen Aufenthalt der Beschädigten oder ihrer Hinterbliebenen zu einem bestimmten Stichtag an. Das zeigt sich schon daran, daß Hinterbliebene von schädigungsbedingt verstorbenen Beschädigten und Bezieher von Renten der gesetzlichen Rentenversicherungen, die nicht notwendig behindert sein müssen, eine vergleichbare Rentenabsenkung hinnehmen müssen wie die versorgungsberechtigten Kriegsbeschädigten, die zu einem bestimmten Stichtag ihren ständigen Aufenthalt im Beitrittsgebiet hatten.

Wenn der Kläger im übrigen bemängelt, daß über die grundsätzlichen Einwendungen, die in den Begründungen zu verschiedenen Nichtzulassungsbeschwerden gegen das Urteil des Senats vom 10. August 1993 (BSGE 73, 41 = SozR 3-3100 § 84 Nr 1) vorgebracht wurden, immer wieder nur im Beschlußwege entschieden worden sei, so ist dem entgegenzuhalten, daß offenbar auch die Vorinstanzen (Landessozialgerichte) keinen neuerlichen Klärungsbedarf gesehen haben, weil sie in der Regel in diesen Fällen die Revision nicht zugelassen haben. Im übrigen hat der Senat zwischenzeitlich in einem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 9. April 1997 (9 RV 13/96), in der die Revision wegen einer Zusatzfrage (Übersiedlung eines Beschädigten mit abgesenkter Grundrente in eines der alten Bundesländer) zugelassen worden war, seinen unveränderten Standpunkt zum Problem der abgesenkten Grundrente nochmals dargelegt.

Die Kostenentscheidung ist entsprechend § 193 SGG ergangen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174740

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