Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsgrund. grundsätzliche Bedeutung. Verfassungswidrigkeit. Leistungsbemessung. Existenzminimum. Prozesskostenhilfe. Bevollmächtigter
Leitsatz (redaktionell)
Macht ein Beschwerdeführer den Revisionsgrund der grundsätzlichen Bedeutung geltend, muss er eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog. Breitenwirkung) darlegen, letzteres jedoch nur, soweit sich nicht bereits aus der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit die behauptete Breitenwirkung ergibt.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1; SGG §§ 73a, 160 Abs. 2 Nr. 1; ZPO § 114
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 23.08.2001) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. August 2001 wird als unzulässig verworfen.
Der Antrag des Klägers, ihm zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil des Landessozialgerichts Prozesskostenhilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg), Unterhaltsgeld (Uhg), Anschluss-Uhg und Arbeitslosenhilfe (Alhi) für einzelne Zeiträume ab 1. Mai 1998, weil die entsprechenden Berechnungsvorschriften des Sozialgesetzbuchs – Arbeitsförderung – (SGB III) verfassungswidrig seien; nach seiner Ansicht verstoßen diese Berechnungsvorschriften gegen das Grundgesetz, soweit Bürger, die nicht pflichtversichert gewesen seien und keine Versicherungsbeiträge entrichtet hätten, die Geldmittel zur Deckung ihres Bedarfs ohne eigenen Einsatz über die Sozialhilfe erhielten, während Beschäftigte, die sich der Beitragspflicht und -entrichtung nicht entziehen könnten, die Deckung selbst erarbeiten und finanzieren müssten und dabei als Geringverdiener sogar Ansprüche in Höhe unterhalb der Sozialhilfe erwerben könnten.
Nach dem Vortrag der Beschwerde blieb die Klage erstinstanzlich erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 9. Mai 2000) und das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen und die Klage hinsichtlich einzelner erst im Berufungsverfahren ergangener Folgebescheide abgewiesen (Urteil vom 23. August 2001). Zur Begründung seiner Entscheidung habe das LSG ausgeführt, dass die Argumentation des Klägers bereits aus tatsächlichen Gründen nicht durchgreife, weil die ihm bewilligten Leistungen oberhalb des Sozialhilfesatzes lägen, sodass die von ihm gerügte Ungleichbehandlung ihn selbst jedenfalls nicht treffe. Dies gelte auch für die dem Kläger bewilligte Alhi, bei der außerdem zu berücksichtigen sei, dass sie ebenso wie die Sozialhilfe eine Fürsorgeleistung darstelle, die nicht aus Versicherungsbeiträgen der Beitragspflichtigen, sondern aus Steuermitteln des Bundes finanziert werde. Dem Gesetzgeber stehe nach der im Einzelnen zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) deshalb ein weiter Spielraum im Rahmen des Art 20 Abs 1 Grundgesetz (GG) (Sozialstaatsprinzip) zu, wie er eine solche Leistung gestalten wolle. Im Übrigen habe der Kläger nach den gesetzlichen Regelungen ohnedies keinen Anspruch auf Leistungen mindestens in Höhe des Sozialhilfesatzes zzgl des durch Beitragsentrichtung erworbenen Leistungsanspruchs. Das System der Leistungsgewährung sei nach im Einzelnen bezeichneter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BSG auch nicht verfassungswidrig; insbesondere sei der Gleichheitssatz nicht verletzt.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Hierzu trägt er vor, die Entscheidung des LSG halte einer rechtlichen Prüfung insgesamt nicht stand. Bereits der Ansatz des LSG, er (der Kläger) sei nicht betroffen, weil die Zahlungen der Beklagten an ihn die Sozialhilfesätze überstiegen, sei unzutreffend. Der Ansatz des Gerichts, er – der Kläger – habe tatsächlich mehr erhalten als der zum jeweiligen Zeitpunkt gültige Sozialhilfesatz, sei nur grob rechnerisch zutreffend. Die Leistungssätze seien eben nicht so hoch gewesen, dass sie regelmäßig über den Sozialhilfesätzen gelegen hätten. Insbesondere habe das LSG Sonderzahlungen, einmalige Hilfen sowie Sachzuwendungen außer Acht gelassen. Rechne man diese Zuwendungen hinzu, ergebe sich ein anderes Bild, nämlich, dass die gesamten Leistungen der Sozialhilfe über seinen Leistungssätzen lägen. Dies führe dazu, dass Bürger, die nie pflichtversichert gewesen seien und keine Versicherungsbeiträge zu entrichten hätten, die Geldmittel zur Deckung dieses Bedarfs ohne eigenen Einsatz erhielten, während Beschäftigte, die sich der Beitragspflicht nicht entziehen konnten, die Deckung selbst erarbeiten und finanzieren müssten. Diese Ungleichbehandlung lasse das LSG völlig außer Acht. Zwar sei dem LSG zuzugestehen, dass dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum im Rahmen des Art 20 Abs 1 GG zustehe. Allerdings habe der Gesetzgeber auch die Grundrechte des Einzelnen zu berücksichtigen und zu wahren. Dies habe das LSG ebenfalls nicht beachtet. Die Argumentation, ihm (dem Kläger) sei ein Denkfehler unterlaufen, da er die Funktion des Grundbedarfs nicht verstanden habe, sei nicht nachvollziehbar. So führe das Gericht aus, die Sozialversicherung stelle ein Vorsorgesystem dar und helfe nur demjenigen, der sich selbst nicht helfen könnte und von anderen, insbesondere Sozialversicherungsträgern die erforderliche Hilfe nicht erhalte. Es stelle somit die durch den Staat gesicherte Grundversorgung dar, wenn der Einzelne nicht selbst seinen Lebenshalt sichern könne. Die Ungleichbehandlung liege jedoch nicht darin, dass es eine Pflichtversicherung überhaupt gebe, sondern sie sei darin zu sehen, dass er (der Kläger), obwohl er Pflichtversicherungsbeiträge gezahlt habe, einen viel zu geringen Betrag aus der Pflichtversicherung erhalte, der gerade mal den sozialhilferechtlichen Grundbedarf decke oder sogar darunter liege. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Leistungen aus den Pflichtversicherungen in keinem Verhältnis zur Beitragshöhe und Beitragslänge stünden. Vergleiche man sodann die erhaltenen Leistungen mit den Sozialhilfesätzen, liege eine deutliche Ungleichbehandlung vor. Eine Pflichtversicherung dürfe nicht missbräuchlich und widersinnig sein, nur um den Staat vor Ansprüchen aus der Sozialhilfe zu bewahren. Da das LSG gerade diese Aspekte nicht hinreichend berücksichtigt habe, sondern sich darauf berufe, er (der Kläger) sei nicht unmittelbar betroffen, sei seinem Antrag auf Zulassung der Revision stattzugeben. Die Rechtsfrage sei auch klärungsbedürftig. Sie sei höchstrichterlich noch nicht entschieden und habe eine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung, weil sie einen größeren Personenkreis betreffe. Von einer Entscheidung des BSG hierzu könne erwartet werden, dass sie in einer die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise das Recht oder die Rechtsanwendung fortentwickeln werde. Die Rechtsfrage sei auch in einem anschließenden Revisionsverfahren klärungsfähig und entscheidungserheblich.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ( § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) nicht in der erforderlichen Weise dargelegt ist ( § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ). Damit ist auch der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts unbegründet, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet ( § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114 , 121 Zivilprozessordnung ).
Unschädlich ist, dass sowohl der Kläger persönlich - nach Einlegung und Begründung der Beschwerde - dem Senat mitgeteilt hat, er entziehe seinem bisherigen Prozessbevollmächtigten das Mandat, als auch dieser selbst dem Senat erklärt hat, er lege das Mandat nieder. Eine fristgerecht von einem Prozessbevollmächtigten eingelegte und begründete Nichtzulassungsbeschwerde wird nicht dadurch unzulässig, dass die Vollmacht erloschen ist (vgl BSG SozR Nr 22 zu § 166 SGG).
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts oder Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, ggf sogar des Schrifttums, angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen, letzteres jedoch nur, soweit sich nicht bereits aus der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit die behauptete Breitenwirkung ergibt.
Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung schon deshalb nicht gerecht, weil der Kläger keine Rechtsfragen formuliert, sondern im Ergebnis lediglich Kritik an der Argumentation des LSG übt. Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist indes nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Selbst wenn man davon ausginge, dass der Kläger die Rechtsfrage aufgeworfen hat, ob es gegen das Grundgesetz verstößt, dass die Leistungsbemessung bei Alg, Uhg, Anschluss-Uhg und Alhi nicht von einem Mindestbetrag ausgeht, der das Existenzminimum iS des Sozialhilferechts sichert, wird die vorliegende Beschwerdebegründung den Anforderungen nicht gerecht.
Die Frage, ob eine der Entscheidung zu Grunde liegende Gesetzesnorm verfassungswidrig ist, hat zwar regelmäßig grundsätzliche Bedeutung. Aber auch dies ist darzulegen. Hierzu gehört nicht nur, dass herausgestellt wird, aus welchen Gründen die beanstandete Norm verfassungswidrig sein könnte, sondern auch, dass es sich um eine verfassungsrechtliche Frage handelt, die umstritten geblieben ist und über die auch vom BVerfG noch nicht abschließend entschieden ist (s BVerfGE 91, 93, 106 f). Ein diesen Anforderungen genügendes Vorbringen enthält die Beschwerdebegründung nicht.
Sie lässt zwar erkennen, dass die der Leistungsbemessung im Arbeitsförderungsrecht zu Grunde liegenden gesetzlichen Regelungen nach ihrer Ansicht gegen den Gleichheitssatz ( Art 3 Abs 1 GG ) und gegen das Sozialstaatsprinzip ( Art 20 Abs 1 GG ) verstoßen; es fehlt jedoch in jeglicher Hinsicht eine Auseinandersetzung mit den Inhalten, die die Rechtsprechung des BVerfG diesen Verfassungsnormen entnommen hat. Die reine Behauptung, die von der Beschwerde als klärungsbedürftig angesehene Rechtsfrage sei "höchstrichterlich noch nicht entschieden", kann hierüber nicht hinweghelfen.
Entspricht mithin die Begründung der Beschwerde nicht den gesetzlichen Anforderungen, muss die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG - ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter - als unzulässig verworfen werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 1 und 5).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .
Fundstellen