Verfahrensgang
SG Darmstadt (Entscheidung vom 02.11.2020; Aktenzeichen S 13 KR 1908/18) |
Hessisches LSG (Beschluss vom 19.04.2021; Aktenzeichen L 1 KR 473/20) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. April 2021 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt B, beizuordnen wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. April 2021 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger leidet insbesondere unter Beschwerden im Bereich der linken Schulter. Seine ihn behandelnden Ärzte übersandten der Beklagten die "Anregung einer ambulanten Vorsorgeleistung in anerkannten Kurorten gem. § 23 Abs. 2 SGB V". Hierauf beantragte der Kläger diese Leistung für die Dauer von drei Wochen, die die Beklagte ablehnte (Bescheid vom 15.9.2015). Der Kläger beantragte 2016 die Überprüfung des Bescheids. Hierauf bestätigte die Beklagte ihren ablehnenden Bescheid (Bescheid vom 9.3.2018; Widerspruchsbescheid vom 12.12.2018). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 2.11.2020). Das LSG hat unter Bezugnahme auf die Gründe des SG-Urteils die Berufung zurückgewiesen: Soweit der Kläger "eine Abfindung für sämtliche Leistungen der Krankenversicherungen" begehre, sei die Klage wegen des fehlenden Verwaltungsverfahrens unzulässig, im Übrigen sei das Überprüfungsbegehren unbegründet. Es seien für das Jahr 2015 keine medizinischen Befunde ersichtlich oder vom Kläger vorgetragen, aus denen die Erforderlichkeit der beantragten Komplexleistung abgeleitet werden könne (Beschluss vom 19.4.2021).
Das LSG hat zunächst zweimal erfolglos versucht, dem Kläger den Beschluss mittels Postzustellungsurkunde zuzustellen. Hierauf hat es ihm den Beschluss gegen Empfangsbekenntnis (EB) übermittelt. Der Kläger hat handschriftlich auf dem EB-Formular am 17.5.2021 bestätigt, dass er den Beschluss am 14.5.2021 erhalten habe.
Mit seiner anwaltlich eingelegten Beschwerde, die dem BSG am 15.6.2021 zugegangen ist, wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss und beantragt, ihm dafür Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung des Rechtsanwalts B, zu gewähren.
II
Die Bewilligung von PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen (dazu 1.), die Beschwerde des Klägers ist zu verwerfen (dazu 2.).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte PKH unter Beiordnung eines anwaltlichen Bevollmächtigten. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn ua die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es. Der Kläger kann aller Voraussicht nach mit seinem Begehren auf Zulassung der Revision nicht durchdringen, weil es keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Nach Durchsicht der Akten fehlen auch unter Würdigung seines Vorbringens Anhaltspunkte dafür, dass er einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte. Hierfür ist nichts ersichtlich. Der Kläger hat in der Beschwerdebegründung auch keine Zulassungsgründe vorgetragen, aus denen sich eine hinreichende Erfolgsaussicht ergeben könnte.
a) Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Auch ist nichts dafür ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend bewusst von Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
b) Schließlich ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren die Revisionszulassung rechtfertigende Verfahrensfehler bezeichnen könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Danach ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
aa) Eine erfolgreiche Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) erfordert, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (stRspr; vgl nur BSG vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Es muss insbesondere ein für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbarer Beweisantrag bezeichnet werden können, dem das LSG nicht gefolgt ist (stRspr; vgl zB BSG vom 16.5.2019 - B 13 R 222/18 B - juris RdNr 12 mwN). Zwar sind an Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines Beweisantrags verminderte Anforderungen zu stellen, wenn ein Beteiligter - wie hier der Kläger - in der Berufungsinstanz nicht durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten war (vgl BSG vom 18.9.2003 - B 9 SB 11/03 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5 = juris RdNr 6; BSG vom 1.3.2006 - B 2 U 403/05 B - juris RdNr 5). Aber auch ein unvertretener Beteiligter muss dem Gericht deutlich machen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 103/12 B - juris RdNr 7; BSG vom 27.7.2016 - B 1 KR 38/16 B - juris RdNr 4; BSG vom 12.5.2020 - B 12 KR 1/20 B - juris RdNr 10). Hierfür ist nichts ersichtlich.
Der Kläger hat in Reaktion auf das gerichtliche Anhörungsschreiben vom 5.3.2021 zur beabsichtigen Entscheidung durch Beschluss in seinem Schriftsatz vom 22.3.2021 nur ausführlich zu verschiedenen Verwaltungsverfahren ab dem Jahr 2010 berichtet, ansonsten um Unterlagen für die Beantragung von Krankengeld gebeten und schließlich die Erstattung ihm entstandener Kosten für Medikamente, Injektionen und Infiltrationen geltend gemacht. Einen konkreten Aufklärungsbedarf im Hinblick auf die beantragte ambulante Vorsorgeleistung in anerkannten Kurorten gemäß § 23 Abs 2 SGB V hat er nicht formuliert. In der Beschwerdebegründung hat er auch nur allgemein vorgetragen, die Vorinstanzen hätten nicht ausreichend ermittelt und aufgeklärt.
bb) Dem Kläger dürfte es auch nicht gelingen, einen entscheidungserheblichen Verstoß gegen das jedermann gewährleistete Recht auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 EMRK) aufzuzeigen.
Dieses Recht ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das Gebiet des gerichtlichen Verfahrens (vgl BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190 = juris RdNr 7). Es steht in funktionalem Zusammenhang mit der Rechtsschutzgarantie und der Justizgewährungspflicht des Staates. Der Einzelne darf nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern soll vor einer Entscheidung, die seine individuellen Rechte betrifft, zu Wort kommen können, um in angemessener Weise Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (BVerfG ≪Kammer≫ vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - BVerfGK 19, 377, 381 = juris RdNr 18 mwN). Bei der Verletzung des § 185 GVG (Hinzuziehung eines Dolmetschers) iVm § 61 Abs 1 SGG handelt es sich um eine spezielle Form der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl BSG vom 19.7.2010 - B 8 SO 35/10 B - juris RdNr 7).
Der Kläger trägt nur vor, "soweit möglicherweise sprachliche Schwierigkeiten zu Verständnisproblemen geführt haben mögen", seien die Vorinstanzen zu weiteren Ermittlungen verpflichtet gewesen. Weder hieraus noch aus den Akten ergibt sich, dass der Kläger nicht in der Lage gewesen ist, der mündlichen Verhandlung vor dem SG zu folgen. Auch sein schriftsätzliches Vorbringen bietet keine entsprechenden Anhaltspunkte. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich hieraus ein Verfahrensmangel ergeben haben könnte, der im Berufungsverfahren fortgewirkt hat.
cc) Schließlich gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das LSG unter Verstoß gegen § 153 Abs 4 SGG durch Beschluss über die Berufung des Klägers entschieden hat. Insbesondere hat das LSG den Kläger hierzu angehört. Von dieser Möglichkeit hat der Kläger auch Gebrauch gemacht (vgl aa).
dd) Der Kläger greift auch die Beweiswürdigung des LSG an, um die inhaltliche Unrichtigkeit des LSG-Beschlusses in seinem Einzelfall geltend zu machen. Die Behauptung, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, kann aber nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl BSG vom 17.7.2020 - B 1 KR 34/19 B - juris RdNr 6 mwN). Denn eine Verfahrensrüge kann nicht auf den Verfahrensmangel einer Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
c) Der Kläger hat den PKH-Antrag erst nach Ablauf der Beschwerdefrist (§ 160a Abs 1 Satz 2 SGG) durch seinen Prozessbevollmächtigten gestellt (vgl zur Heilung von Zustellungsmängeln und der Maßgeblichkeit des tatsächlichen Zugangs § 63 Abs 2 Satz 1 SGG iVm § 189 ZPO). Ob insoweit dem Kläger eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Frist zur Einlegung der Beschwerde zu gewähren wäre (§ 67 SGG), was fern liegt, kann angesichts fehlender Anhaltspunkte für Revisionszulassungsgründe offenbleiben.
2. Dies kann auch für die Beschwerde selbst offenbleiben. Sie ist auch bei unterstellter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der Revisionszulassungsgründe (vgl dazu 1. b aa, bb und dd).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Schlegel Scholz Estelmann
Fundstellen
Dokument-Index HI15365050 |