Verfahrensgang
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 27.01.2021; Aktenzeichen S 3 R 5948/18) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 08.03.2022; Aktenzeichen L 13 R 805/21) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. März 2022 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung in Streit.
Am 14.12.2017 beantragte der Kläger die begehrte Rente. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 20.3.2018; Widerspruchsbescheid vom 4.12.2018). Das SG hat ua ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L eingeholt, der lediglich qualitative Leistungseinschränkungen festgestellt hat, und die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 27.1.2021). Das LSG hat gemäß § 109 SGG ein Sachverständigengutachten bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. N eingeholt, der das Leistungsvermögen des Klägers auf weniger als drei Stunden täglich selbst für leichte Arbeiten eingeschätzt hat, und die Berufung zurückgewiesen. Das Gutachten des Dr. N sei nicht überzeugend. Dr. N habe die anamnestischen Angaben des Klägers zur Alltagsgestaltung nicht kritisch geprüft und er habe auf Beschwerdevalidierungstests verzichtet, obwohl bereits bei einem von Dr. L erhobenen Fragebogen simulierter Symptome (SIMS) der Cut-Off-Wert deutlich überschritten gewesen sei (Urteil vom 8.3.2022).
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Er rügt einen Verfahrensmangel.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form begründet wurde. Sie ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen. Der Kläger bezeichnet die geltend gemachte Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) nicht anforderungsgerecht.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Mangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG auf dem Mangel beruhen kann. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; s etwa Senatsbeschluss vom 13.5.2022 - B 5 R 20/22 B - juris RdNr 6 mwN).
Diesen Anforderungen genügt das Beschwerdevorbringen nicht. Der Kläger macht geltend, das LSG hätte entsprechend dem von ihm gestellten Hilfsantrag von Amts wegen ein Obergutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet mit orthopädischer Zusatzbegutachtung einholen müssen, weil erhebliche Widersprüche zwischen dem Partei- und dem gerichtlichen Sachverständigengutachten bestanden hätten. Während Dr. L eine Beschwerdeaggravation angenommen habe, habe Dr. N einen chronifizierten, sich verschlechternden Verlauf der seit dem Jahr 2009 bestehenden Erkrankung festgestellt und sei zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass eine Beschwerdevalidierung aufgrund der langjährigen gravierenden psychiatrischen Erkrankungen nicht durchzuführen sei. Weiterhin habe Dr. L das Schmerzsyndrom verkannt, das Dr. N festgestellt habe.
Dahinstehen kann, ob der Kläger überhaupt einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt hat, indem er ohne weitere Konkretisierung die Einholung "eines Obergutachtens" beantragt hat (zu den Anforderungen an einen Beweisantrag nach § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO s Senatsbeschluss vom 26.9.2019 - B 5 R 268/18 B - juris RdNr 9 mwN). Jedenfalls hat er nicht dargelegt, dass das LSG Veranlassung zu weiterer Sachaufklärung hatte. Eine Verpflichtung zur Einholung eines "Obergutachtens" besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält es eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl BSG Beschluss vom 18.6.2020 - B 3 KR 19/19 B - juris RdNr 11; Senatsbeschluss vom 24.5.2017 - B 5 R 42/17 B - juris RdNr 9).
Dass er solche Umstände gegenüber dem LSG geltend gemacht hat, hat der Kläger nicht vorgetragen. Mit den im LSG-Urteil ausgeführten Gründen für das Absehen von der Einholung des beantragten Obergutachtens setzt er sich nicht auseinander. Die Beschwerdebegründung zeigt lediglich auf, an welchen Punkten die Gutachten des Dr. L und des Dr. N zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt sind. Inwiefern die Abweichungen im Gutachten des Dr. L auf groben Mängeln oder inneren Widersprüchen beruhen, hat der Kläger hingegen nicht dargetan. Einen fachlichen Mangel hat er insbesondere nicht mit dem Vorbringen substantiiert bezeichnet, Dr. L habe ihm eine Aggravation vorgeworfen, ohne dabei auf die seit 2009 bestehende Behandlung im psychiatrischen Fachbereich einzugehen. Warum die klinische Bewertung der Beschwerdepräsentation in der Untersuchungssituation eine Berücksichtigung der bisherigen Behandlungsdauer voraussetzt, führt die Beschwerdebegründung nicht näher aus. Entsprechendes gilt für den Vortrag, Dr. L habe ein massives Schmerzsyndrom aufgrund psychischer und orthopädischer Faktoren verkannt bzw ignoriert.
Soweit der Kläger das Gutachten des Dr. N für überzeugender hält, greift er letztlich die Beweiswürdigung des LSG an. Auf eine angeblich fehlerhafte Beweiswürdigung (vgl § 128 Abs 1 Satz 1 SGG) kann nach der ausdrücklichen Anordnung in § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG die Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein nicht gestützt werden.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.
Gasser Körner Hahn
Fundstellen
Dokument-Index HI15320208 |