Entscheidungsstichwort (Thema)

Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 SGG

 

Orientierungssatz

Als prozeßerhebliche Betätigung beinhaltet die Einverständniserklärung gemäß § 124 Abs 2 SGG nicht nur den wirksamen Verzicht auf die mündliche Verhandlung, sondern auch die Verwirkung des Rechts, sich im anschließenden Rechtsmittelverfahren auf eine Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit berufen zu können.

 

Normenkette

SGG § 124 Abs 2

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 18.01.1989; Aktenzeichen L 3 U 12/87)

 

Gründe

Der Kläger ist mit seinem Begehren, wegen der Folgen des am 21. November 1980 erlittenen Verkehrsunfalls Verletztenrente zu erhalten, ohne Erfolg geblieben (Bescheid der Beklagten vom 26. Juli 1983; Urteile des Sozialgerichts -SG- vom 22. Oktober 1986 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 18. Januar 1989). Das LSG ist zu der Überzeugung gelangt, die Unfallfolgen hätten keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Grade hinterlassen; insbesondere sei die als Unfallfolge geltend gemachte Polymyalgia rheumatica nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen.

Mit seiner hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, das LSG habe gegen den Grundsatz der Mündlichkeit der Verhandlung verstoßen. Es habe gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) im schriftlichen Verfahren entschieden, obwohl er mit Schreiben vom 21. Dezember 1988 um Verlegung des auf den 18. Januar 1989 bestimmten Verhandlungstermins gebeten habe. Zwar habe er mit Schreiben vom 10. Januar 1989 sein Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt, doch beruhe diese Erklärung darauf, daß ihm der Vorsitzende des Berufungssenats fernmündlich mitgeteilt habe, er werde dem Verlegungsgesuch nicht stattgeben. An dieser Entscheidung habe der Vorsitzende Richter festgehalten, obwohl ihm erneut erklärt worden sei, weshalb die Prozeßbevollmächtigte des Klägers verhindert sei, den Termin wahrzunehmen (anderweitige Termine, notwendige Einarbeitungsdauer für einen Vertreter). Sie - die Prozeßbevollmächtigte - sei daher gezwungen gewesen, ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu erklären. Außerdem habe die Sache grundsätzliche Bedeutung. Es handele sich hier nämlich um die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe: Zum einen sei der Begriff der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs gegenüber der "bloßen" und der "sehr begründeten" Möglichkeit zu definieren; zum anderen sei zu klären, in welchem Umfang Gutachten unterschiedlich qualifizierter Sachverständiger bei der Entscheidung zu berücksichtigen seien.

Die Beschwerde ist unzulässig. Sie entspricht nicht den in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 SGG festgelegten Erfordernissen, wonach die Zulassungsgründe schlüssig dargetan werden müssen.

Die Beschwerde legt nicht schlüssig dar, daß das LSG gegen den Grundsatz der Mündlichkeit der Verhandlung verstoßen bzw den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 des Grundgesetzes -GG-, §§ 124 Abs 1, 62 SGG) verletzt hat. So behauptet sie selbst nicht, die Einverständniserklärung gemäß § 124 Abs 2 SGG sei unwirksam gewesen. Als prozeßerhebliche Betätigung (Prozeßhandlung) beinhaltete diese Erklärung nicht nur den wirksamen Verzicht auf die mündliche Verhandlung, sondern auch die Verwirkung des Rechts, sich im anschließenden Rechtsmittelverfahren auf eine Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit berufen zu können. Dieses letztgenannten Rechts hätte sich der Kläger nicht gezwungenermaßen begeben müssen.

Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist ebenfalls nicht dargetan. Die Beschwerdebegründung enthält keine Darlegungen zu der Frage, ob und inwieweit durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits Rechtsgrundsätze zur hinreichenden Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und dem geltend gemachten Leiden herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht erforderlich erscheint (vgl hierzu BSG SozR § 542 RVO aF Nr 20, § 128 SGG Nr 41). Das gleiche gilt für die als grundsätzlich bedeutsam bezeichneten Fragen zu dem Wert und dem Rang von Beweismitteln. Insoweit fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der zu § 128 Abs 1 Satz 1 SGG ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach das Tatsachengericht aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet, ohne festen Beweisregeln unterworfen zu sein (vgl BSG SozR 1500 § 128 Nr 31; zuletzt Urteil vom 6. April 1989 - 2 RU 55/88 - mwN).

Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648752

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