Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Begründung der Untätigkeitsklage
Orientierungssatz
Für die Begründung der Untätigkeitsklage ist es ohne Bedeutung, welche eventuellen Rechtswirkungen sich aus dem bestandskräftigen Honorarbescheid ergeben, sondern allein von Bedeutung, ob ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung des Widerspruches vorliegt.
Normenkette
SGG § 88
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. November 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2867 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Arztes Dr. B., der im maßgeblichen Zeitraum zur vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung zugelassen war, die Bescheidung eines von ihm eingelegten Widerspruches. Die Beklagte rechnete mit Bescheid vom 26.4.2011 das Honorar des Dr. B. für seine vertragsärztliche Tätigkeit im Quartal IV/2010 ab. Im Bescheid wird ein Saldovortrag in Höhe von 113 149,56 Euro aufgeführt, der faktisch mit den Honoraransprüchen des Dr. B. in Höhe von 28 673,68 Euro verrechnet wurde. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und nachfolgend Untätigkeitsklage. Das SG hat die Beklagte zur Bescheidung verpflichtet (Gerichtsbescheid vom 14.12.2012). Auch die Berufung, mit der die Beklagte geltend gemacht hat, dem Kläger fehle das Bescheidungsinteresse, da der aus dem Bescheid für das Quartal IV/2010 folgende Saldobetrag in Höhe von 84 651,07 Euro in den bestandskräftig gewordenen Abrechnungsbescheid für das Quartal I/2011 übernommen worden sei, ist erfolglos geblieben (Urteil des LSG vom 12.11.2014). Das LSG hat ausgeführt, die Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage seien erfüllt. Es sei auch nicht ansatzweise nachvollziehbar, auf welcher Grundlage der Bescheid für das Quartal I/2011 den Bescheid für das Quartal IV/2010 rechtserheblich auch nur tangieren könne.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht die Beklagte die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
II. Die Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg, weil sie unbegründet ist.
Die Revisionszulassung setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 5 RdNr 3). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist und/oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt (hierzu s zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f sowie BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Nichts anderes gilt, wenn kein vernünftiger Zweifel an der Richtigkeit der vom LSG dazu gegebenen Auslegung bestehen kann, weil sich die Beantwortung bereits ohne Weiteres aus der streitigen Norm selbst ergibt (vgl hierzu BSG Beschluss vom 2.4.2003 - B 6 KA 83/02 B - Juris RdNr 4). Die Bedeutung über den Einzelfall hinaus ist nicht gegeben, wenn die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des vorliegenden Einzelfalls einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich ist (vgl zB BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 50/07 B - RdNr 6 iVm 11). Diese Anforderungen, die verfassungsrechtlich unbedenklich sind (s die BVerfG-Angaben in BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 sowie BVerfG ≪Kammer≫ SozR 4-1500 § 160a Nr 16 RdNr 4 f), sind vorliegend nicht gegeben.
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Die Rechtsfrage, |
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ob die Richtigkeit eines Abrechnungsbescheides bindend dadurch festgestellt wird, dass der sich aus diesem ergebende Saldobetrag in den bestandskräftigen Abrechnungsbescheid des Folgequartals übernommen worden ist, |
ist nicht klärungsfähig (entscheidungserheblich). Gegenstand des nach § 88 SGG geführten Rechtsstreits ist allein die Frage, ob die Beklagte den vom Kläger erhobenen Widerspruch zu bescheiden hat. Für die Begründetheit der Untätigkeitsklage ist es ohne Belang, welche eventuellen Rechtswirkungen sich aus dem bestandskräftigen Honorarbescheid für das Quartal I/2011 ergeben, sondern allein von Bedeutung, ob ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung des Widerspruches vorliegt (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 88 RdNr 9 ff). Der Einwand der Beklagten, aus der - behaupteten - Bestandskraft ergebe sich zugleich ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung, geht fehl. Selbst wenn ihr Vortrag zutreffend wäre, dass aus der Übernahme eines Saldobetrages in den bestandskräftigen Abrechnungsbescheid für das Folgequartal die - materiell-rechtliche - Folgerung zu ziehen wäre, dass damit zugleich auch die Richtigkeit bzw Rechtmäßigkeit des vorangegangenen Abrechnungsbescheides bindend festgestellt ist, wirkte sich dies allein auf das Ergebnis des Widerspruchsverfahrens aus. Es steht jedoch nicht im Belieben einer Behörde, von der Bescheidung eines Widerspruches abzusehen, nur weil sie diesen rechtlich für "verfehlt" hält (s hierzu auch Leitherer aaO § 88 RdNr 4a). |
Auf das von der Beklagten angeführte "Bescheidungsinteresse" kommt es im Rahmen des nach § 88 SGG geführten Verfahrens nicht an. Der Kläger hat Anspruch auf eine Bescheidung seines Widerspruches, weil das Gesetz die Durchführung eines Vorverfahrens vorschreibt (§§ 78 ff SGG). Ist die Beklagte der Auffassung, dass dem Kläger ein "Bescheidungsinteresse" - gemeint sein dürfte die "Beschwer" des Widerspruchsführers - fehlt, mag sie hieraus die Unzulässigkeit des Widerspruches herleiten und den Widerspruch als unzulässig verwerfen. Sie ist jedoch nicht berechtigt, eine Bescheidung abzulehnen; dies käme einer Rechtsverweigerung gleich. Selbst wenn man davon ausginge, dass eine Behörde bei einer offensichtlich missbräuchlichen Rechtsverfolgung die Bescheidung eines Widerspruches ablehnen dürfte, käme dies nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht. Im vorliegenden Fall ist eine missbräuchliche Rechtsverfolgung auch nicht ansatzweise erkennbar. Das Gegenteil ist der Fall, denn die Beklagte macht ja gerade geltend, dass die Frage, welche Folgerungen sich aus der Übernahme eines Saldobetrages in den bestandskräftigen Abrechnungsbescheid für das Folgequartal ergeben, von grundsätzlicher Bedeutung sei und der Klärung in einem Revisionsverfahren bedürfe. Ist die Frage ungeklärt, kann eine Berufung auf eine gegenteilige Rechtsauffassung nicht rechtsmissbräuchlich sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Danach hat die Beklagte auch die Kosten des von ihr ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der Festsetzung der Vorinstanz vom 12.11.2014, die von keinem der Beteiligten in Frage gestellt worden ist (§ 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG).
Fundstellen