Leitsatz (amtlich)
Eine Zwangsstrafe nach AVG § 200 ist keine "einmalige Leistung" iS des SGG § 144 Abs 1 Nr 1 (so auch BSG 1955-12-28 1 RA 71/55 = unveröffentlicht).
Normenkette
AVG § 200 Fassung: 1924-05-28; SGG § 144 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Celle vom 27. Mai 1955 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
1. Die Landesversicherungsanstalt (LVA) Hannover verhängte gegen den Kläger am 15. August 1951 auf Grund von § 200 Angestelltenversicherungsgesetz eine Zwangsstrafe von DM 50,-, weil er trotz ihrer Aufforderung sein Einkommen nicht angegeben sowie seine Einkommensteuerbescheide, Handwerks- und Versicherungskarte nicht eingesandt habe. Seine Beschwerde wies das Oberversicherungsamt (OVA) Hannover am 9. April 1952 zurück. Seiner Berufung an das Oberverwaltungsgericht ( OVerwGer .) Lüneburg gab das Landessozialgericht (LSGer.) Celle, auf das nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) das Verfahren übergegangen war, durch Urteil vom 27. Mai 1955 statt; es hob den Bescheid der LVA und die Entscheidung des OVA auf. Hiergegen legte die Beklagte Revision ein.
2. Die Revision ist unzulässig. Das LSGer. hat sie nicht zugelassen. Sie könnte deshalb im vorliegenden Fall nur statthaft sein, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt worden wäre und auch tatsächlich vorläge (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; Urteil des 8. Senats des Bundessozialgerichts ( BSGer .) vom 14.7.1955 - 8 RV 177/54). Dies trifft nicht zu.
Die Beklagte hat ausgeführt, das Verfahren der Vorinstanz leide an einem wesentlichen Mangel, weil das LSGer. ein Sachurteil erlassen habe, anstatt die Berufung des Klägers als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung des OVA sei endgültig gewesen (§ 1500 RVO); endgültige Entscheidungen dieses Inhalts könnten vom LSGer. nicht mehr nachgeprüft werden (§ 214 SGG).
Diese Rüge ist unbegründet. Es ist zwar richtig, daß ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt, wenn ein LSGer. über die Berufung sachlich entschieden hat, obwohl sie als unzulässig zu verwerfen war (§ 158 Abs. 1 SGG; Urteil des 4. Senats des BSGer . vom 27.10.1955 - Az.: 4 RJ 105/54 für den umgekehrten Fall, daß das LSGer. die Berufung als unzulässig verworfen hat, obwohl sie zulässig war). Diese Voraussetzung ist hier aber nicht gegeben, denn das Berufungsgericht hat mit Recht ein Sachurteil erlassen. Die Streitsache war beim Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes bei einem allgemeinen Verwaltungsgericht des zweiten Rechtszugs rechtshängig. Da es sich bei ihr um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung handelt, ist sie am 1. Januar 1954 auf das LSGer. übergegangen (§§ 51, 215 Abs. 8 SGG). In einem solchen Fall richtet sich die Zulässigkeit der Berufung nach dem Sozialgerichtsgesetz (§ 215 Abs. 8 SGG). Dies bedeutet, daß die allgemeinen Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes über die Berufung (§§ 143 ff) anzuwenden sind, nicht dagegen die für "Altfälle" geltenden besonderen Bestimmungen des § 214 SGG. Die Vorschriften der §§ 214 und 215 SGG ordnen verschiedene Gruppen von Fällen nach verschiedenen Gesichtspunkten; mit dieser unterschiedlichen Behandlung wäre es nicht vereinbar, die Zulässigkeit eines Rechtsmittels in einer im Sinne des § 215 SGG rechtshängigen Sache nach den ganz anderen Grundsätzen des § 214 SGG zu prüfen. War demnach gegen das Urteil eines OVA Berufung eingelegt und die Sache zur Zeit des Inkrafttretens des Sozialgerichtsgesetzes bei einem OVerwGer . rechtshängig, dann ist die Berufung statthaft, wenn kein Ausschließungsgrund nach den Vorschriften der §§ 144 bis 149 SGG vorliegt; dies gilt auch dann, wenn die Entscheidung des OVA nach den Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung endgültig war (ebenso Urteil des 3. Senats des BSGer . vom 16.6.1955 - Az.: 3 RJ 83/54 und Urteil des 4. Senats des BSGer . vom 27.10.1955 - Az.: 4 RJ 105/54). Die Berufung ist im vorliegenden Fall nach dem Sozialgerichtsgesetz nicht ausgeschlossen. Es handelt sich bei der Zwangsstrafe zwar in der Regel um eine einmalige Zahlung; die Vorschrift des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG, wonach die Berufung bei Ansprüchen auf einmalige Leistungen unzulässig ist, findet jedoch auf die Zwangsstrafe keine Anwendung; eine Zwangsstrafe ist keine "einmalige Leistung" im Sinn dieser Vorschrift (ebenso im Ergebnis Demiani, Betriebsberater 1955, S. 479 ff).
Die Revision war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG). Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen