Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Nachrangigkeit eines nachgehenden Leistungsanspruchs gegenüber Ansprüchen aus einem aktuellen Versicherungsverhältnis. Familienversicherung
Orientierungssatz
Der aus der früheren Mitgliedschaft abgeleitete Versicherungsschutz nach § 19 Abs 2 S 1 SGB 5 ist gegenüber Ansprüchen aus einem aktuellen Versicherungsverhältnis grundsätzlich nachrangig. Vorrang vor einem nachgehenden Leistungsanspruch hat auch eine Familienversicherung nach § 10 SGB 5 (vgl BSG vom 16.12.2014 - B 1 KR 37/14 R = BSGE 118, 52 = SozR 4-2500 § 192 Nr 7, RdNr 31).
Normenkette
SGB V § 19 Abs. 2 Sätze 1-2, § 10
Verfahrensgang
SG Chemnitz (Gerichtsbescheid vom 19.05.2017; Aktenzeichen S 18 KR 38/17) |
Sächsisches LSG (Urteil vom 12.08.2019; Aktenzeichen L 1 KR 490/17) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 12. August 2019 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Das LSG hat mit Urteil vom 12.8.2019 die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 19.5.2017 zurückgewiesen, weil die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes (im Folgenden: Versicherter) keinen Anspruch auf die begehrte Zahlung von Krankengeld (Krg) ab 21.2.2014 habe. Der Versicherte habe seinerseits diesen Anspruch gegen die beklagte Krankenkasse nach Maßgabe von § 44 Abs 1 und § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V in der bis 22.7.2015 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) iVm § 192 Abs 1 SGB V nicht gehabt, weil er am 21.2.2014, dem Tag der Erstfeststellung von Arbeitsunfähigkeit (AU) nach seiner Entlassung aus einer Rehabilitationsmaßnahme am 20.2.2014 als arbeitsfähig, nicht mehr mit Anspruch auf Krg versichert gewesen sei. Seine wegen des Bezugs von zunächst Krg und sodann von Übergangsgeld bis 20.2.2014 erhalten gebliebene Pflichtmitgliedschaft habe am 21.2.2014 nicht mehr fortbestanden. Für den Versicherten habe dagegen ab dem 21.2.2014 nach § 10 Abs 1 SGB V eine Familienversicherung bestanden, die nach § 44 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V keinen Anspruch auf Krg vermittelt habe.
Ein nachgelagerter Anspruch auf Zahlung von Krg nach Beendigung der Mitgliedschaft folge auch nicht aus § 19 Abs 2 SGB V, da der Versicherte ab dem 21.2.2014 familienversichert gewesen sei. Ende die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger, bestehe Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werde (§ 19 Abs 2 Satz 1 SGB V). Eine Versicherung nach § 10 SGB V habe Vorrang vor dem Leistungsanspruch nach § 19 Abs 2 Satz 1 SGB V(§ 19 Abs 2 Satz 2 SGB V) .
Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG im vorgenannten Urteil hat die Klägerin Beschwerde eingelegt und beruft sich auf das Vorliegen einer Abweichung (Divergenz) vom BSG, hilfsweise auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
II. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 12.8.2019 ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 SGG).
Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision ua zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder wenn die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2). Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache "richtig" entschieden hat, erfolgt im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht. Beide hier geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) hat die Klägerin in der Begründung der Beschwerde nicht schlüssig dargelegt oder bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Für die Bezeichnung einer Abweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) ist aufzuzeigen, mit welchem genau bezeichneten entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz die angefochtene Entscheidung des LSG von welchem ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz des BSG im Grundsätzlichen abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG aufgestellt hat, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen vermag die Zulassung der Revision wegen Abweichung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, dass das LSG dem BSG im Grundsätzlichen widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl zB BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 196 mwN).
Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht, weil Rechtssätze des LSG, mit denen es eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat, nicht bezeichnet werden. Mit der oben unter I wiedergegebenen Passage zum Vorrang der Familienversicherung gegenüber einem nachgelagerten Anspruch, auf die die Klägerin für ihre Divergenzrüge Bezug nimmt, stellt das LSG lediglich den Inhalt der gesetzlichen Regelung des § 19 SGB V nach dessen Wortlaut dar, ohne einen hierüber hinausgehenden eigenständigen abstrakten Rechtssatz zu entwickeln, mit dem es dem BSG widersprochen haben könnte. Soweit die Klägerin hierin gleichwohl eine Abweichung zum BSG sieht (Hinweis auf BSG vom 7.5.2002 - B 1 KR 24/01 R - BSGE 89, 254 = SozR 3-2500 § 19 Nr 5), zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf, dass und warum insoweit eine Divergenz vorliegen und das Urteil des LSG auf dieser beruhen könnte, obwohl der für das LSG maßgebliche § 19 Abs 2 Satz 2 SGB V zum Zeitpunkt der bezeichneten Entscheidung des BSG noch nicht galt, sondern erst mit Wirkung vom 1.1.2004 in Kraft getreten (Art 1 Nr 7 des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190) und zudem eine Reaktion auf die Entscheidung des BSG gewesen ist (Gesetzentwurf eines GKV-Modernisierungsgesetzes, BT-Drucks 15/1525 S 82 zu Art 1 Nr 7).
2. Die Darlegung einer - vorliegend hilfsweise geltend gemachten - grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prüfen zu können (Krasney/Udsching, aaO, IX. Kap, RdNr 181). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Daher ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet worden sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint (vgl Krasney/Udsching, aaO, IX. Kap, RdNr 65 f). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG vom 16.12.1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Hierfür ist eine substantielle Auseinandersetzung mit den einschlägigen oberstgerichtlichen Entscheidungen ebenso erforderlich wie die Darlegung, dass sich aus diesen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben (vgl BSG vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8).
Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet sie die Frage: "Ist die Bewilligung von Krankengeld gem. § 19 Abs. 2 SGB V während des Bestehens einer Familienversicherung gem. § 10 Abs. 1 SGB V möglich?".
Die Klägerin legt nicht dar, warum sich die Antwort auf diese Frage nicht bereits aus § 19 Abs 2 Satz 2 SGB V ergibt, nach dem eine Versicherung nach § 10 SGB V Vorrang vor dem nachgehenden Anspruch auf Leistungen nach § 19 Abs 2 Satz 1 SGB V hat. Die Beschwerdebegründung setzt sich auch nicht damit auseinander, dass in der Rechtsprechung des BSG in Krg-Fällen § 19 Abs 2 SGB V in der Weise Anwendung gefunden hat, dass der aus der früheren Mitgliedschaft abgeleitete Versicherungsschutz nach § 19 Abs 2 Satz 1 SGB V gegenüber Ansprüchen aus einem aktuellen Versicherungsverhältnis grundsätzlich nachrangig ist und dass nach § 19 Abs 2 Satz 2 SGB V Vorrang vor einem nachgehenden Leistungsanspruch auch eine Familienversicherung nach § 10 SGB V hat (vgl BSG vom 16.12.2014 - B 1 KR 37/14 R - BSGE 118, 52 = SozR 4-2500 § 192 Nr 7, RdNr 31). Warum die aufgeworfene Frage dennoch grundsätzlich klärungsbedürftig sein könnte, lässt die Beschwerdebegründung nicht erkennen.
3. Erkennen lässt die Beschwerdebegründung indes, dass die Klägerin davon ausgeht, dass ein nachgehender Krg-Anspruch des Versicherten noch vor Beendigung seiner fortbestandenen Pflichtmitgliedschaft entstanden sei. Dem entgegen hat das LSG festgestellt, dass die Pflichtmitgliedschaft des Versicherten mit dem Auslaufen des Bezugs von Übergangsgeld am 20.2.2014 geendet habe und erst am 21.2.2014 eine neue AU ärztlich festgestellt worden sei. Den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) bezogen auf diese Feststellungen hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Ausgehend von diesen Feststellungen enthält die Beschwerdebegründung weder die schlüssige Bezeichnung einer Abweichung noch die schlüssige Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung. Dies würde zudem eine Auseinandersetzung mit der stRspr des BSG erfordert haben, nach der es sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für das Krg vorliegt, bestimmt, ob und in welchem Umfang Versicherte Krg beanspruchen können (vgl nur BSG vom 16.12.2014 - B 1 KR 37/14 R - BSGE 118, 52 = SozR 4-2500 § 192 Nr 7, RdNr 8; BSG vom 11.5.2017 - B 3 KR 22/15 R - BSGE 123, 134 = SozR 4-2500 § 46 Nr 8, RdNr 15).
4. Für die von der Klägerin vorsorglich beantragte Beiladung des GKV-Spitzenverbands bestand im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde kein Anlass (vgl auch für das Revisionsverfahren § 168 SGG).
5. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
6. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
7. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13880508 |