Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache bei kumulativ mehrfach begründeter Entscheidung im Berufungsurteil
Orientierungssatz
1. Ist das im Berufungsurteil gefundene Ergebnis nebeneinander auf mehrere, selbstständig tragende Begründungen gestützt, so ist in der Nichtzulassungsbeschwerde formgerecht darzulegen, dass die grundsätzliche Bedeutung alle Begründungen erfasst oder das hinsichtlich der anderen selbstständigen Begründung andere Zulassungsgründe gegeben sind (vgl BSG vom 19.6.1975 - 12 BJ 24/75 = SozR 1500 § 160a Nr 5).
2. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 4.10.2006 - 1 BvR 2072/06).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht des Klägers in der Kranken- und Rentenversicherung für von ihm im Rahmen des Maßregelvollzugs in einer Fachklinik für Psychiatrie, Neurologie und Rehabilitation der Beigeladenen zu 1) verrichtete Tätigkeiten. Die beklagte Krankenkasse stellte fest, dass der Kläger während dieser Zeit der Krankenversicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 8 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) und der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr 2 Buchst b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) nicht unterlegen habe. Widerspruch, Klage und Berufung sind erfolglos geblieben.
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Schleswig-Holstein vom 15. Juni 2005.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 2 und 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das Bundessozialgericht (BSG) darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Dagegen ist die inhaltliche Unrichtigkeit einer Entscheidung kein Revisionszulassungsgrund.
Den von ihm einzig in Betracht gezogenen Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat der Kläger nicht ausreichend dargelegt. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; BVerwG NJW 1999, 304; vgl auch BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtslage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 31). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger hält folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam:
"Ist eine Versicherungspflicht nach § 2 SVBG, bzw. § 5 Abs 1 Nr 8 SGB V und § 1 Satz 1 Nr 2b SGB VI ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen dieser Regelungen vorliegen, der Aufenthalt in der Einrichtung jedoch darauf zurückzuführen ist, dass der behinderte Mensch nach § 63 StGB dort untergebracht ist".
Er legt hierzu ua dar, dass das LSG die Versicherungspflicht nach den genannten Vorschriften im Ergebnis verneint, die "Frage seiner Behinderteneigenschaft sowie alle weiteren Voraussetzungen des § 2 des Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter vom 7. Mai 1975 (BGBl I 1061) bzw des § 5 Abs 1 Nr 8 SGB V und § 1 Satz 1 Nr 2 b SGB VI" jedoch nicht geprüft habe und auf die aufgeworfene Rechtsfrage deshalb nicht eingegangen sei. Das Berufungsgericht habe die Prüfung unterlassen, weil es aus § 5 Abs 6 Satz 1 SGB V einen Vorrang der für Beschäftigte geltenden allgemeinen Versicherungspflichttatbestände entnommen und die Anwendung der genannten Vorschriften für ausgeschlossen gehalten habe, obwohl die Voraussetzungen der allgemeinen Versicherungspflichttatbestände nicht erfüllt seien.
Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung hat das Berufungsgericht das Vorliegen der von ihm angesprochenen Versicherungspflichttatbestände nach Prüfung ihrer Voraussetzungen verneint. Zwar hat es auf Seite 14 seines Urteils ausgeführt, dass es auf die Frage der tatsächlichen Behinderung des Klägers im Sinne der genannten Vorschriften im Ergebnis nicht ankomme. Jedoch hat es zuvor - auf Seite 13 seines Urteils - entschieden, dass die Voraussetzungen des § 2 SVBG, des § 5 Abs 1 Nr 8 SGB V und des § 1 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI nicht erfüllt seien, "wie bereits das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat". Das Sozialgericht (SG) war vom Vorliegen der für Behinderte geltenden Versicherungspflichttatbestände ausgegangen, hatte eine Versicherungspflicht indessen verneint, weil der Kläger nicht auf Grund seiner Eigenschaft als behinderter Mensch, sondern im Rahmen des Maßregelvollzugs untergebracht gewesen sei. Wie sich aus dem Tatbestand seines Urteils - dort Seite 8 - ergibt, ist die erstinstanzliche Entscheidung auch so vom Berufungsgericht verstanden worden.
Ist das im Berufungsurteil gefundene Ergebnis danach nebeneinander auf mehrere, selbstständig tragende Begründungen gestützt - erstens auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen der vom Kläger genannten Versicherungspflichttatbestände, weil es an einer Unterbringung "in seiner Behinderteneigenschaft" fehle, zweitens auf den vom LSG angenommenen (Anwendungs)Nachrang dieser Tatbestände -, so wäre vom Kläger formgerecht darzulegen gewesen, dass die grundsätzliche Bedeutung alle Begründungen erfasst oder dass hinsichtlich der anderen selbstständigen Begründung andere Zulassungsgründe gegeben sind (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 5 und 38; ferner BVerwG Buchholz 310 § 132 Nr 158, 176, § 132 Abs 2 Ziff 1 Nr 4, § 153 Nr 22; vgl auch BAG NJW 1999, 1419). Entsprechende Darlegungen enthält die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger hat mit seiner oben aufgeworfenen Rechtsfrage eine Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam erklärt, die nur eine - nämlich die erste - der selbstständigen Begründungen des LSG betrifft (von der der Kläger allerdings - dem widersprechend - an anderer Stelle der Beschwerdebegründung annimmt, sie sei vom LSG gar nicht gegeben worden). Mit der Problematik des vom Berufungsgericht angenommenen Vorrangs der für Beschäftigte geltenden allgemeinen Versicherungspflichttatbestände hat sich der Kläger in der Beschwerdebegründung zwar auch befasst, hierzu jedoch weder eine (konkrete) Rechtsfrage gestellt noch andere Zulassungsgründe (Divergenz und/oder Verfahrensmängel) geltend gemacht.
Soweit der Kläger vorträgt, dass der vom Berufungsgericht aus § 5 Abs 6 Satz 1 SGB V abgeleitete Vorrang nicht bestehe, wenn es nicht zu einem Konkurrenzverhältnis komme, weil Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V nicht vorliege, und das LSG seine Sozialversicherungspflicht als gegen Arbeitsentgelt Beschäftigter unzutreffend mit der Begründung verneint habe, § 43 des Strafvollzugsgesetzes gelte auch für im Maßregelvollzug Untergebrachte, behauptet er die Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG, auf die eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden kann.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, da sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen, § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen